Deutsche Wachstumskräfte lassen nach

Wirtschaftsleistung schrumpft im zweiten Quartal 2014 - Erstmals seit 1991 Etatüberschuss des Bundeshaushalts im ersten Halbjahr

Deutsche Wachstumskräfte lassen nach

Im deutschen Staatshaushalt wurde im ersten Halbjahr 2014 ein überraschend hoher Überschuss erzielt. Die Forderungen an Berlin, zur Unterstützung der lahmenden europäischen Konjunktur die Staatsausgaben anzukurbeln, dürften damit wieder lauter werden. Zugleich zeigen die neuen Wachstumszahlen für Deutschland aber auch, dass die Dynamik schnell nachlässt und sich zudem eine große Investitionslücke auftut.Von Stephan Lorz, FrankfurtDie deutsche Wirtschaft verliert überraschend schnell an Schwung. Das signalisieren die neuen Wachstumsdaten. Im zweiten Quartal sei das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 0,2 % zum Vorquartal gesunken, teilte das Statistische Bundesamt nach endgültigen Daten mit. Die Behörde bestätigte damit eine erste Schätzung. Für die größte europäische Volkswirtschaft. Im Vergleich zum Vorjahr wuchs die Wirtschaft im zweiten Quartal kalenderbereinigt um 1,2 %.Zugleich zeigen die erst jetzt vorgelegten detaillierten Einblicke über die Abschwungursachen, dass sich die Volkswirtschaft wohl auf eine längere Schwächephase einstellen muss. Den Dämpfer im zweiten Quartal zum Vorquartal erklärte das Bundesamt nämlich unter anderem mit einem Rückgang der Investitionen. Während die Bauinvestitionen in den Monaten April bis Juni deutlich um 4,2 % gesunken seien, gingen sie bei den Ausrüstungsinvestitionen immerhin noch um 0,4 % zum Vorquartal zurück.Auch die DZ Bank warnt in einer Studie vor der immer weiter aufklaffenden Investitionslücke im Land, was künftige Wachstumschancen verringert und vor dem Hintergrund der demografischen Veränderungen besonders kritisch zu sehen ist. Tendenziell werde weniger investiert als anderswo in Europa. Während die private Investitionszurückhaltung noch mit der verstärkten Hinwendung zu ausländischen Märkten erklärt werden kann, beklagt DZ Bank-Analyst Michael Holstein vor allem die Investitionszurückhaltung des Staates. “Der Trend zu immer weniger öffentlichen Investitionen bedroht die Zukunft des Wirtschaftsstandortes”, warnt er. Angesichts des Rekordwertes bei den Steuereinnahmen sollte die Finanzierung zusätzlicher staatlicher Investitionsausgaben vor allem eine Frage der richtigen Prioritätensetzung sein.Entsprechende Forderungen stehen jedoch im Gegensatz zu Aussagen aus der Bundesregierung wie etwa die von CDU-Haushaltspolitiker Norbert Barthle, der sich strikt für eine Beibehaltung des Sparkurses aussprach. Die Etatüberschüsse im ersten Halbjahr dürften nicht zu einer Politikänderung führen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte am Freitag noch die Tilgung der Schulden als oberstes Ziel bestätigt, ließ aber jetzt Zweifel daran erkennen. Steuerquellen sprudelnZuvor hatten die Wiesbadener Statistiker gemeldet, dass Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherungen von Januar bis Juli 16,1 Mrd. Euro mehr eingenommen als ausgegeben hatten. Das ist der höchste Überschuss seit der Wiedervereinigung. Auch der Bundeshaushalt lag in den ersten sechs Monaten mit 4,0 Mrd. Euro im Plus – erstmals seit 1991. Grund war in erster Linie der robuste Arbeitsmarkt, wodurch auch die Sozialkassen hohe Einnahmen verbuchen konnten, sowie allgemein das durch die gute Konjunktur massiv angestiegene Steueraufkommen.Dass diese Phase womöglich jetzt etwa wegen der Verunsicherung durch die geopolitischen Krisen und konkret durch die Folgen der Sanktionspolitik gegen Russland zu Ende geht, signalisieren die neuen Ergebnisse aus der Einkaufsmanagerumfrage. Schon im zweiten Quartal konnte der Außenbeitrag – also die Differenz aus Exporten und Importen – die deutsche Wirtschaftsleistung nicht mehr stützen. Zwar sind von April bis Juni etwas mehr Waren und Dienstleistungen exportiert worden als in den ersten drei Monaten des Jahres. Im selben Zeitraum stiegen die Importe wesentlich stärker.Insgesamt scheint der deutsche Aufschwung seine Dynamik verloren zu haben. Produktion und Aufträge stiegen nach Angaben der befragten Einkaufsmanager im August so langsam wie seit über einem Jahr nicht mehr. “Im deutschen Industriesektor blinken derzeit die Warnlampen”, sagte Oliver Kolodseike, Experte bei Markit für diese Umfragen. Die Firmen hielten sich wegen der vielen Krisen mit Investitionen zurück. So schrumpften die Ausgaben für Maschinen und Anlagen wegen der Unsicherheit um 0,4 %.Die zunehmenden Ausfälle im Russlandgeschäft können auch nicht mehr durch verstärktes europäisches Geschäft kompensiert werden. Denn auch die Industrie in der Eurozone wächst kaum noch. Der Einkaufsmanagerindex sank von Juli auf August um 1,1 auf 50,7 Punkte und blieb damit nur noch knapp über der Wachstumsschwelle von 50 Zählern. In Deutschland rutschte der Index um einen auf 51,4 Punkte. In Spanien und Italien trübte sich die Stimmung ein – in Spanien allerdings von hohem Niveau aus. Dagegen rutschte der Indexwert für Italien erstmals seit Mitte 2013 wieder unter die Expansionsschwelle von 50 Punkten. Und in Frankreich ist der Stimmungsindikator weiter auf Talfahrt.—– Bericht Seite 12