Deutsche Wirtschaft auf Rezessionskurs
Unerwarteter Dämpfer
Ifo-Geschäftsklima sinkt – "Wirtschaft steckt in Rezession fest"
ba Frankfurt
Die überraschende Stimmungseintrübung zu Jahresbeginn zeigt, dass die deutsche Wirtschaft in der Rezession feststeckt. Das Geschäftsklima hat sich mit Ausnahme der Industrie in allen Bereichen verschlechtert. So trübe sah es zuletzt während der Corona-Lockdowns aus. Zumindest halten derzeit noch die Lieferketten.
Zu Jahresbeginn verglimmt der Hoffnungsschimmer für die deutsche Wirtschaft bereits wieder. Die Unternehmensstimmung hat sich im Januar erneut unerwartet eingetrübt und schürt damit die Konjunktursorgen. Denn die Aussichten sind trübe und zu den ohnehin zahlreichen Herausforderungen sind mit dem Lokführerstreik, den Bauernprotesten, den Sparmaßnahmen der Bundesregierung und den anhaltenden Angriffen der Huthi-Rebellen auf Frachtschiffe im Roten Meer weitere potenzielle Bremsklötze dazugekommen. Eine substanzielle konjunkturelle Erholung dürfte bis 2025 auf sich warten lassen.
Mieses Klima wie zu Corona-Zeiten
Der Ifo-Geschäftsklimaindex ist im Januar um 1,1 auf 85,2 Punkte gefallen. So schlecht war die Unternehmensstimmung zuletzt im Mai 2020, als die Wirtschaft von den coronabedingten Lockdowns empfindlich gestört worden war. Ökonomen wurden von dem zweiten Rückgang des wichtigsten Frühbarometers der deutschen Wirtschaft überrascht: Sie hatten mit einer Aufholbewegung auf 86,7 Zähler gerechnet. Sowohl die aktuelle Lage als auch die Erwartungen für die kommenden Monate wurden von den Unternehmen erneut pessimistischer beurteilt. "Die deutsche Wirtschaft steckt in der Rezession fest", kommentierte Ifo-Präsident Clemens Fuest das Ergebnis der monatlichen Umfrage unter 9.000 Unternehmen.
Nachdem bereits der Einkaufsmanagerindex des Finanzdienstleisters S&P Global und das Sentix-Konjunkturbarometer mit ihren Rückgängen einen verpatzten Jahresstart signalisiert haben, wird ein erneutes Schrumpfen des Bruttoinlandsprodukts auch im ersten Quartal zunehmend wahrscheinlicher. Ifo-Experte Klaus Wohlrabe rechnet mit einem Minus von etwa 0,1% oder 0,2%. Im Schlussabschnitt 2023 dürfte das BIP einer ersten Indikation des Statistischen Bundesamts zufolge um 0,3% gesunken sein, wie auch im Gesamtjahr 2023.
Politik belastet
Dass die Unsicherheit in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft deutlich zugenommen hat, erklärt Wohlrabe im Reuters-Interview vor allem mit dem wirtschaftspolitischen Kurs der Bundesregierung. "Die Unternehmen sehen keine klare Linie in der Wirtschaftspolitik", sagte Wohlrabe. "Der drückt auf die Stimmung." Nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Klima- und Transformationsfonds musste die Bundesregierung Sparmaßnahmen treffen, woraufhin das Ifo-Institut am Dienstag die Wachstumsprognose für das laufende Jahr von 0,9% auf 0,7% gekappt hat.
"Die meisten Volkswirte sind noch zu optimistisch", mahnt allerdings Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Er erwartet ebenso wie ING-Chefökonom Carsten Brzeski, dass das BIP im laufenden Jahr erneut um 0,3% fallen wird. "Es wäre das erste Mal seit den frühen 2000er Jahren, dass Deutschland eine zweijährige Rezession durchläuft, auch wenn es sich um eine flache Rezession handeln könnte", erinnert Brzeski.
Fehlende Aufträge sind weiteres Problem
Wohlrabe sieht die Konjunktur aber noch von einem anderen Problem belastet: "Es fehlen die Neuaufträge." Das sehe man jetzt auch bei den Dienstleistern, wo sich das Geschäftsklima deutlich eingetrübt hat. Die Industrie wiederum gehe von einer schwächelnden Exportnachfrage nach ihren Waren aus. Dort ist gegen den Trend die Stimmung gestiegen, auch wenn der Auftragsbestand weiter sinkt – wenn auch nicht mehr in dem Tempo wie zuletzt – und die Kapazitätsauslastung fällt. Diese ist um 0,9 Prozentpunkte auf 81,0% zurückgegangen und liegt nun rund zweieinhalb Prozentpunkte unter dem langfristigen Durchschnitt.
Ohne die volatilen Großaufträge sind die Bestellungen zuletzt dreimal in Folge gefallen, die Industrieproduktion zum sechsten Mal. Die Unternehmen haben größtenteils den während der Corona-Zeit aufgelaufenen Auftragsrückstand abgearbeitet, der sich durch die Lieferkettenprobleme ergeben hatte.
Immerhin halten die Lieferketten noch
Die Sorgen, die anhaltenden Angriffe der Huthi-Rebellen auf Frachtschiffe würden die Lieferketten erneut reißen lassen, haben sich bislang nicht manifestiert – auch wenn einzelne Unternehmen bereits wegen Materialmangel die Produktion gedrosselt haben. Bislang gebe es keine Engpässe bei Rohstoffen und Vorprodukten, betont Ifo-Experte Wohlrabe. Denn viele Schiffe würden den Umweg über das Kap der Guten Hoffnung in Kauf nehmen. Dieser verlängert allerdings die Lieferzeit um bis zu 20 Tage und hat bereits die Frachtraten wieder nach oben schnellen lassen.
Der Handel wiederum leidet nicht nur unter den Transportverzögerungen, sondern vor allem unter der Zurückhaltung der Verbraucher, deren Kaufkraft wegen der immer noch hohen Inflation erodiert. Das Geschäftsklima im Handel ist auf den niedrigsten Wert seit Oktober 2022 gefallen. Und im Bauhauptgewerbe machen sich immer noch die strikten Finanzierungsbedingungen und hohen Materialkosten bemerkbar. Der Klimaindex hat hier seine Talfahrt fortgesetzt.