WELTWEITE ANGST VOR ABSCHWUNG

Deutsche Wirtschaft fordert Hilfe

BDI mahnt mehr staatliche Investition an - Ifo für frühere Soli-Abschaffung - Heil handelt bei Kurzarbeit

Deutsche Wirtschaft fordert Hilfe

Die Weltwirtschaft kühlt sich immer stärker ab, vor allem als Folge der anhaltenden Handelsstreitigkeiten. Darunter leidet diedeutsche Wirtschaft wegen ihrer Exportabhängigkeit besonders. Nun ist sie im Frühjahr gar geschrumpft, und es droht eine Rezession. Aus der Wirtschaft kommen Rufe nach dem Staat.ms Frankfurt – Das Schrumpfen der deutschen Wirtschaft im Frühjahr und die zunehmende Angst vor einer Rezession lassen Rufe nach neuen Konjunkturhilfen der Bundesregierung immer lauter werden. Gestern forderte gleich eine ganze Reihe prominenter Wirtschaftsvertreter und Volkswirte finanz- oder auch steuerpolitische Gegenmaßnahmen des Staates – parallel zum Wirkenlassen der sogenannten automatischen Stabilisatoren. Derweil kündigte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) an, die deutsche Wirtschaft mit neuen Kurzarbeit-Regelungen gegen eine Krise wappnen zu wollen.Die deutsche Wirtschaftsleistung ist im zweiten Quartal um 0,1 % geschrumpft. Da sich bislang keine Trendwende abzeichnet und die globalen Risiken durch den Handelsstreit, den Brexit oder die Regierungskrise in Italien immens sind, nehmen Sorgen vor einem Absturz zu. Besonders besorgniserregend ist, dass die anhaltende Schwäche der Industrie zunehmend auf andere Wirtschaftsbereiche überschwappt (siehe Bericht unten). Umdenken in Berlin?Die Bundesregierung hat bislang Forderungen nach einem Konjunkturpaket oder anderen Hilfen stets zurückgewiesen. Eine Regierungssprecherin sagte gestern erneut, die Regierung sehe keinen Bedarf für weitere Maßnahmen. Am Dienstag hatte auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gesagt, dass sie dafür keine Notwendigkeit sehe. Sie sagte aber zugleich, das gelte “im Augenblick”, und sie fügte hinzu, die Regierung werde “situationsgerecht agieren”. Einige Beobachter werteten das als Signal für ein allmähliches Umdenken in Berlin.Wirtschaftsvertreter und Volkswirte plädierten gestern für einen solchen Kurswechsel. “Es liegen trübe Monate vor uns, die drohen, zu Jahren zu werden – wenn die Politik nicht kräftig gegensteuert”, sagte etwa der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI), Joachim Lang. “Die Zeit ist reif für einen Kurswechsel”, sagte auch Claus Michelsen, Konjunkturchef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).Der BDI forderte, dass die Politik nun “rasch kräftige Impulse für die öffentliche und private Investitionstätigkeit setzen” müsse. Deutschland verfüge nach einem wirtschaftlich starken Jahrzehnt mit einem sehr hohen Beschäftigungsstand und solide finanzierten öffentlichen Haushalten trotz Schuldenbremse über Spielraum, sagte Lang. Das gelte umso mehr, als sich der Staat gegenwärtig zu negativen Zinsen verschulden könne. “Finanzpolitisch muss Deutschland jetzt umschalten”, sagte Lang. Die Schuldenbremse sei entscheidender als das Erreichen der schwarzen Null – also als das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts.Auch das DIW forderte höhere Investitionen und eine “Agenda für die Modernisierung des Standorts Deutschland”. “Der Staat sollte mehr Geld ausgeben, um beispielsweise Projekte der Energie- und Mobilitätswende, im Bereich der Digitalisierung, aber auch auf dem Wohnungsmarkt voranzubringen”, sagte Michelsen. Zudem müssten die Kommunen unterstützt werden. Laut DIW müssen “das Dogma der schwarzen Null überwunden und die Regeln der Schuldenbremse reformiert werden”.Viele Blicke richten sich aktuell auch auf den Solidaritätszuschlag. Das Münchener Ifo-Institut sprach sich dafür aus, den Zuschlag bereits 2020 abzuschaffen. “In den letzten Monaten hat die Wahrscheinlichkeit einer Rezession zugenommen”, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest. “Die Bundesregierung sollte gegensteuern, indem sie die für 2021 geplante Abschaffung des Solidaritätszuschlags für 90 % der Steuerzahler auf 2020 vorzieht.” Der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) forderte eine komplette Abschaffung des Soli-Zuschlags und Erleichterungen bei der Körperschaftsteuer.Solche Vorschläge stoßen aber nicht bei allen Ökonomen auf Gegenliebe. So gab etwa Katharina Utermöhl von der Allianz zu bedenken, dass ein staatliches Investitionsprogramm erst mit zeitlicher Verzögerung wirken dürfte und mit anhaltenden Kapazitätsengpässen im Baugewerbe zu kämpfen hätte. Steuersenkungen könnten dagegen zwar zügig umgesetzt werden, aber in einem Umfeld erhöhter Unsicherheit bestehe “die Gefahr, dass das zusätzliche Nettoeinkommen eher auf die Bank gebracht als ausgegeben wird”. Skeptisch äußerte sie sich auch zu einer Abwrackprämie zur Förderung der Elektromobilität.Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) sprach sich sogar klar gegen neue Hilfen des Staates aus. Der Staat solle die im Abgaben- und Transfersystem angelegten automatischen Stabilisatoren wirken lassen, sagte Stefan Kooths, Leiter des IfW- Prognosezentrums – mehr aber nicht: “Anlass zu konjunkturpolitischem Aktionismus besteht nicht.”Arbeitsminister Heil kündigte gestern an, er wolle bei der Kurzarbeit Vorsorge für den Krisenfall treffen und zudem Anreize schaffen, dass konjunkturbedingte Kurzarbeit stärker mit einer Qualifizierung verbunden werde. Heil will, dass die Bundesagentur für Arbeit (BA) die Arbeitgeber bei den Sozialbeiträgen entlastet, wenn deren Beschäftigte konjunkturbedingte Kurzarbeit mit Weiterbildung verbinden. Zudem soll der Bundestag ihm die Befugnis geben, im Krisenfall kurzfristig per Verordnung den Bezug von Kurzarbeitergeld auszuweiten.