HISTORISCHER EU-GIPFEL

Deutsche Wirtschaft mahnt Tempo bei Umsetzung an

Branchenverbände und Ökonomen loben das Gipfelergebnis - Appell zu Reformen in wachstumsschwachen Ländern

Deutsche Wirtschaft mahnt Tempo bei Umsetzung an

ba Frankfurt – Historisch sei das Ergebnis, die EU habe Handlungsfähigkeit und Solidarität bewiesen – so würdigen deutsche Wirtschaft und Ökonomen den Ausgang des EU-Gipfels. Zugleich mahnen sie eine schnelle Umsetzung an, um die Wirtschaft nachhaltig wieder anzukurbeln. Wegen der Corona-Pandemie droht Europa die tiefste Rezession der Nachkriegszeit. Jörg Zeuner, Chefvolkswirt bei Union Investment, beziffert den Wachstumsschub aus dem 750 Mrd. Euro schweren Hilfspaket auf jährlich bis zu 1 Prozentpunkt für die nächsten drei Jahre.Für den dringend notwendigen Schub müssten die verbleibenden Details schnell erarbeitet werden, betonte etwa Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Zudem müsse sichergestellt werden, “dass die Mittel für Maßnahmen eingesetzt werden, die die Wirtschaft effektiv ankurbeln und die Wettbewerbsfähigkeit der EU auch langfristig stärken”. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hofft, dass die Gelder “zum frühestmöglichen Zeitpunkt” bereitstünden. Er gebe sich nicht damit zufrieden zu sagen, “sie fließen erst im nächsten Jahr”. Angesichts der Einigung erwartet der CDU-Politiker, dass sich die wirtschaftliche Erholung beschleunigt und 2021 alle EU-Mitgliedsländer “wieder in eine Aufschwung- und Wachstumsphase eintreten”. Investitionen seien nun sicherer, der Binnenmarkt werde gestärkt.Für Schweitzer ist dies ein wichtiger Punkt, wegen der starken Verflechtung der Unternehmen in Europa über Lieferketten – allein die deutschen Unternehmen wickeln 60 % ihrer Im- und Exporte mit anderen EU-Ländern ab. “Die Betriebe werden sich daher nachhaltig nur erholen können, wenn auch die europäischen Nachbarn wieder auf die Beine kommen”, betonte der DIHK-Präsident. Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des Maschinenbauverbands VDMA, forderte: “Jetzt muss es darum gehen, die Hilfsgelder nicht wirkungslos versickern zu lassen”. Dafür müssten die EU-Mitgliedstaaten beim Einsatz der Gelder marktwirtschaftliche Prinzipien berücksichtigen: “Konkret brauchen wir technologieneutrale und sektorübergreifende Maßnahmen – ohne weitere staatliche Detailregelungen und ohne neue bürokratische Hürden für die Unternehmen”, so Brodtmann.Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands BDI, urteilte, mit dem Wiederaufbaufonds würden sich die Mitgliedstaaten “zu dringend notwendigen Investitionen in den Klimaschutz, die digitale Wirtschaft und die nationalen Gesundheitssysteme” bekennen. Richtig sei, “die Vergabe von Mitteln an hohe rechtsstaatliche Standards zu knüpfen und die Zweckmäßigkeit der nationalen Coronahilfen zu prüfen”. Christoph Weil von der Commerzbank lässt Skepsis mit Blick auf die Wachstumskluft zwischen den EU-Ländern durchblicken: Damit zusammenwachsen könne, was ökonomisch im Moment nicht genau zusammenpasse, müssten “die Länder, die seit Jahren mit zu niedrigen Wachstumsraten zu kämpfen und daher Schuldenberge aufgehäuft haben, die sich immer höher türmen, aufholen”. Ohne Strukturreformen erscheint Weil dies nach wie vor schwer vorstellbar. Dass der Kompromiss einen Reformdurchbruch befördere, erscheine nach den Erfahrungen der Vergangenheit zweifelhaft. Für Berenberg-Chefvolkswirt Holger Schmieding könnte die EU bis zu einem gewissen Grad die Auszahlungen aus dem Wiederaufbaufonds als Anreiz verwenden, “um Italien und andere Länder zu wachstumsfördernden Reformen anzustacheln”. Ifo-Präsident Clemens Fuest sagte, die Wirtschaft werde sich nur erholen, “wenn die betroffenen Länder selbst erhebliche Reformanstrengungen unternehmen”.Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft, bezweifelt, dass von dem Programm eine Konjunkturstabilisierung ausgeht. Dafür kämen die Auszahlungen zu spät. Das Programm werde vermutlich prozyklisch wirken. “Allenfalls erlaubt es eine Stabilisierung von Erwartungen, was den Aufschwung verstetigen dürfte.” Positiv wertet Felbermayr, dass die Zahlungen deutlich stärker an die tatsächliche Schwere der Rezession geknüpft werden und nicht an das Vorkrisenniveau der Wirtschaftsleistung.