Deutsche Wirtschaft taumelt in die Rezession
Von Alexandra Baude, Frankfurt
Der deutschen Wirtschaft stehen einige schwere Monate bevor. Ökonomen haben in den vergangenen Wochen reihenweise ihre Voraussagen für die Inflation erhöht, die Wachstumsprognosen gesenkt und sagen den Absturz in die Rezession voraus, sollte Russland vollständig den Gashahn zudrehen. Die in der abgelaufenen Woche veröffentlichten Konjunkturindikatoren signalisieren schon jetzt, dass sich die hiesige Wirtschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit in einer Rezession befindet. Die Konjunkturampel der Börsen-Zeitung und von Kiel Economics steht ganz klar auf Rot. Signalgeber sind mehr als 50 erwartungsbasierte Indikatoren, anhand derer sich die Wahrscheinlichkeit berechnet, dass sich die deutsche Wirtschaft in einer ausgeprägten Abschwungphase wie zuletzt zu Zeiten der Weltfinanzkrise 2008/2009 befindet.
Verbraucher verweigern sich
Wichtigstes Indiz für Carsten-Patrick Meier, Leiter von Kiel Economics, einer Ausgründung aus dem Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), ist die jüngste GfK-Konsumklimastudie. Alle drei Teilindizes – zu den Konjunkturerwartungen, den Einkommenserwartungen und der Anschaffungsneigung der privaten Haushalte – sind rückläufig und notieren nun auf einem sehr niedrigen Niveau. Die Einkommenserwartungen liegen mit −33,5 Zählern auf dem niedrigsten Stand, seitdem gesamtdeutsche Daten ermittelt werden. „Man muss schon in die Rezessionsjahre 1981/82 im früheren Bundesgebiet oder in das Jahr 1993 zurückgehen, um Einkommensaussichten zu finden, die überhaupt ähnlich ungünstig sind“, erklärt Meier. Anders als 1982 werden die Konsumausgaben der privaten Haushalte im laufenden Jahr wohl preisbereinigt nicht rückläufig sein; dem entgegen stehe der Nachholbedarf aus den Lockdown-Phasen der Jahre 2020 und 2021, dessen Reflex die in jener Zeit angesammelten zusätzlichen Ersparnisse darstellen. „Für viel mehr als eine Stagnation dürfte es jedoch nicht reichen“, mahnt Meier.
Die jüngsten Konjunkturprognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute sehen die privaten Konsumausgaben nach wie vor mit Zuwachsraten zwischen 3,5% und 5,5% als den maßgeblichen Treiber der Konjunktur im laufenden Jahr. Aktuell ist die Kauflaune allerdings auf dem Tiefpunkt, was auch die Einzelhändler deutlich zu spüren bekommen: Der scharfe Einbruch vom April ist im Mai nur zu einem geringen Teil aufgeholt worden. Insbesondere bei Lebensmitteln zeigten sich die Verbraucher in den vergangenen beiden Monaten knausrig.
Die vom Ifo-Institut gemessenen Geschäftserwartungen der Unternehmen befinden sich ebenfalls auf einem Niveau, das sonst nur in Rezessionen beobachtet wird. Der Juni-Stand des Indexes für die gewerbliche Wirtschaft – also Industrie, Handel und Bau – von 84,6 wurde in den vergangenen drei Dekaden nur dreimal unterboten: während des ersten Corona-Lockdowns im Mai 2020, im Winter 2008/2009, direkt nach der Lehman-Pleite und am Beginn der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise sowie während der Krise des Europäischen Währungssystems im August 1992, die das Ende des Wiedervereinigungsbooms und die erste gesamtdeutsche Rezession einleitete.
Auffällig ist für Meier, dass die Geschäftserwartungen nicht nur in der Industrie eingebrochen sind, sondern auch im Baugewerbe. Meiers Eindruck ist, dass der jahrzehntelange Bauboom „in nächster Zeit zum Ende kommen wird“. Er begründet dies mit den Baukosten, die durch Material- und Arbeitskräfteknappheit stark gestiegen seien, und den zuletzt ebenfalls stark anziehenden Zinsen.
Jobmarkt verliert Schwung
Meier stimmen jedoch nicht nur diese Umfrageindikatoren „mehr als nachdenklich“, sondern auch die jüngsten Ergebnisse vom Jobmarkt. So ist die registrierte Arbeitslosigkeit im Juni erneut weniger dynamisch gesunken als zuletzt, rechnet man die erstmals in der Arbeitslosenstatistik erfassten geflüchteten Ukrainer heraus. Außerdem ist der Anstieg der offenen Stellen fast zum Stillstand gekommen und das Ifo-Beschäftigungsbarometer ist – im Einklang mit den rückläufigen Geschäftserwartungen – gefallen. Die Umfrageindikatoren des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und der Bundesagentur für Arbeit, der BA-X, haben sich im Juni ebenfalls verschlechtert.
Zu dieser ungünstigen Konstellation der maßgeblichen Erwartungsdaten im Inland gesellen sich durchwachsene Konjunkturerwartungen im exportrelevanten Ausland und eine absehbare Verschlechterung am Arbeitsmarkt. In Summe erwartet Meier einen – wenn auch nur geringfügigen – Rückgang des realen Bruttoinlandsprodukts im laufenden Jahr, ungeachtet des Anstiegs von 0,2% im ersten Quartal. „Damit wird die im Rahmen des Konzepts der Konjunkturampel verwendete Definition von Rezession, nämlich ein Rückgang des realen Bruttoinlandsprodukts im Jahresdurchschnitt, erfüllt“, erklärt Meier. Das statistische Verfahren taxiere die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem solchen Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Produktion kommt, als sehr hoch – „nämlich auf 100%“.