InterviewRafael Laguna de la Vera, Chef der Bundesagentur für Sprunginnovationen

„Deutschland muss beweisen, dass es noch Disruption kann“

Deutschland verliert technologisch den Anschluss an die Konkurrenz. Dabei entscheiden Innovationen über die Zukunft der heimischen Wirtschaft. Der Chef der Bundesinnovationsagentur, Rafael Laguna de la Vera, kritisiert, dass das Thema im Wahlkampf kaum eine Rolle spielt.

„Deutschland muss beweisen, dass es noch Disruption kann“

Im Interview: Rafael Laguna de la Vera

„Deutschland muss beweisen, dass es Disruption kann“

Der Chef der Bundesagentur für Sprunginnovationen fordert ein Umdenken in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft – Wahlprogramme setzen falsche Akzente

Deutschland verliert als Technologienation den Anschluss an die Konkurrenz. Dabei hängt an Innovationsfähigkeit und Strukturwandel die Zukunft der heimischen Wirtschaft. Warum mehr kapitalgedeckte Altersvorsorge hier helfen kann, sagt der Chef der Bundesagentur für Sprunginnovationen Rafael Laguna de la Vera.

Herr Laguna, in den Wahlprogrammen der Parteien spielt die technologische Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands kaum eine Rolle. Warum schafft es dieses Thema in einem so rohstoffarmen Land wie Deutschland nicht in das Zentrum der Politik?

Darüber wundert man sich durchaus. Selbst Bildung, quasi die Mutter aller Sprunginnovationen, wird meistens nur in Sonntagsreden abgehandelt. Und in diesem Kielwasser kommen auch die Themen technologische Wettbewerbsfähigkeit, Umsetzung von Forschung in Produkte und Prozesse der Wirtschaft, sowie die Schaffung neuer Leitindustrien immer zu kurz.

Politik richtet sich ja immer unmittelbar an die Bürger – gerade vor Wahlen. Fehlt schlicht das Interesse in der Bevölkerung, weshalb das Thema nicht bedient wird?

Zumindest hat die überwiegende Mehrzahl der Menschen kein unmittelbares Interesse an diesem komplexen und abstrakten Thema. Und ich habe durchaus Verständnis dafür, dass die Menschen zunächst die Probleme im Hier und Jetzt gelöst haben wollen. Sie wollen ein Leben in Sicherheit. Und das muss die Politik auch leisten.

Aber das heißt ja nicht, Zukunftsthemen zu negieren.

Die Innovationsfähigkeit unseres Landes wird sehr wohl seit Jahren von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik intensiv debattiert, schafft es jedoch nur selten auf die Titelseite. Dass die Bundesagentur für Sprunginnovationen vor fast genau fünf Jahren geschaffen wurde, ist ja auch Ausdruck der Sorge, dass Deutschland in modernen, die Wirtschaft und den Wohlstand formenden Technologien in Rückstand gerät.

In der Gründerzeit hat sich der Staat durchaus stark für die Etablierung und den Erfolg der heimischen Technologie eingesetzt, hat Plattformen aufgeboten, Geld aufgewendet.

Aber es gab einmal die Zeit, da ging das von selber. Die deutsche Wirtschaft war technologisch weltweit tonangebend: Autos, Pharma, Chemie und Stahl. Warum klappt das bei der Digitalisierung, bei KI und womöglich auch beim Quantencomputing so nicht mehr?

Damals in der Gründerzeit hat sich der Staat durchaus stark für die Etablierung und den Erfolg der heimischen Technologie eingesetzt, hat Plattformen aufgeboten, Geld aufgewendet. Vor allem hat er dafür gesorgt, dass der Weg von der Forschung in Produkte und Prozesse auch gelingt. Und manchmal klappt das auch heute. Denken Sie an die mRNA-Technologie von Biontech, aber nicht nur von dieser Firma. Das hat großen volkswirtschaftlichen Nutzen gestiftet – nicht nur für Mainz und Umgebung.

Warum kann man diesen Einzelfall nicht auf andere Bereiche ausdehnen?

Das Problem ist, dass die drei Ökosysteme, die für Innovationen entscheidend sind, immer weniger zusammenarbeiten und –wirken, sondern mehr oder weniger voneinander abgeschlossen sind: Das ist das Wissenschaftssystem, das Wirtschaftssystem und das Politiksystem. Ein personeller Wechsel zwischen den Systemen, der auch das gegenseitige Verständnis fördern würde, geschieht kaum. Die Karrieren finden praktisch ausschließlich innerhalb eines Systems statt.

Wenn man in den Hochschulen einmal verbeamtet ist, ist es aus Sicht des Wissenschaftlers schon ein verdammt hohes Risiko, das System zu wechseln.

Was ist der Grund dafür?

Das kann man kulturhistorisch erklären, und von den Anreizstrukturen her. Es lohnt sich schlicht, im jeweiligen Ökosystem zu bleiben. Ein Rückfahrticket gibt es nicht. Und wenn man in den Hochschulen einmal verbeamtet ist, ist es aus Sicht des Wissenschaftlers schon ein verdammt hohes Risiko, das System zu wechseln.

Rafael Laguna de la Vera ist seit seiner Jugendzeit als Unternehmer und Investor im Bereich Software aktiv gewesen; zuletzt arbeitete er als Berater für Venture Capital Fonds. Von 2008 bis 2020 leitete er die Firma Open-Xchange. 2019 wurde er dann von der Bundesregierung zum Gründungsdirektor von SPRIND, der Bundesagentur für Sprunginnovationen, berufen. Sie soll den Markt analysieren und jene Innovatoren herauspicken und fördern, die besonders großes Potenzial haben.

Wie kann man das aufbrechen?

Indem man etwa die Hochschulgesetze ändert, eine Rückkehroption anbietet, und etwa bei Universitätskarrieren nicht nur rein akademische Meriten gelten, sondern auch, ob man außerhalb des Systems erfolgreich war. Nicht nur der „Citation Index“ sollte Maßstab sein, sondern er müsste zusammen mit einem „Founding Index“ gepaart werden, wenn Wissenschaftler etwa ein Unternehmen gegründet haben. Umgekehrt sollte das auch in den anderen Systemen gelten.

Bei der TU München wird das mit dem Startup-Hub ja schon erfolgreich gemacht. Ein Vorbild für andere Hochschul-Cluster?

Ja, die TU München macht das sehr geschickt und erfolgreich. Das System ist aber nicht so einfach übertragbar. Das Wirtschaftsministerium hat jetzt ein Programm aufgesetzt, mit dem zehn solcher Startup-Hubs möglich sein sollen. Doch die Prozesse dauern ewig, die Bürokratie ist gewaltig, und Rücksichtnahmen demotivieren viele. Und es fehlt natürlich auch noch an den nötigen Anreizstrukturen im Hinblick auf die Finanzierung.

Für die Anfangsfinanzierung von Startups sieht es in Deutschland inzwischen schon recht gut aus. Vor allem hapert es bei der Wachstumsfinanzierung.

Also ist es dann doch eher wieder einmal der schnöde Mammon, der deutsche Innovationen bremst?

Für die Anfangsfinanzierung von Startups sieht es in Deutschland inzwischen schon recht gut aus. Es ist aber insgesamt noch zu komplex. Vor allem hapert es bei der Wachstumsfinanzierung. Hier braucht es ein Finanzierungsvehikel wie einen großen Fonds. Der Staat sollte hier was dazugeben, auch Wirtschaft und Investoren. Ein solcher Fonds würde erfahrungsgemäß hochprofitabel sein. Insofern müsste das Interesse dafür eigentlich vorhanden sein.

Und woran fehlt es dann? Und welche Rolle erfüllt die SPRIND?

Uns standen in diesem Jahr immerhin 220 Mill. Euro zur Verfügung. Das reicht aber bei weitem nicht, um alle Zukunftstechnologien mit Sprunginnovationspotenzial zu profitablen Unternehmen und Industrien zu entwickeln. Wenn wir uns hier mit den USA vergleichen wollen, müssten es schon eher 1,2 Mrd. Euro sein.

Warum nicht einen Teil der ohnehin etwa für die kapitalgedeckte Altersvorsorge geplanten Mittel für einen Innovationsfonds nutzen?

Woher nehmen?

Warum nicht einen Teil der ohnehin etwa für die kapitalgedeckte Altersvorsorge geplanten Mittel dafür nutzen? Das muss ja auch irgendwo angelegt werden. Zumal sich im Technologiebereich bekanntermaßen hohe Renditen erzielen lassen. Damit verhindern wir zum einen, dass die Unternehmen und die Innovatoren ins finanzkräftige Ausland abwandern, stabilisieren zugleich die Rente, und sorgen für künftigen Wohlstand in Deutschland.

Die Skepsis in der Öffentlichkeit dürfte aber groß sein. Schon beim Altersvorsorgevermögen, das ganz konservativ in Blue-Chips anlegen soll oder in Infrastruktur gibt es ja großen Widerstand. Von „Spekulation“ und „Casinomentalität“ ist die Rede.

Wir haben hier durchaus ein kulturelles Problem in Deutschland. Zu oft werden Unternehmer als schlechte Menschen dargestellt, weil sie ihre Mitarbeiter ausbeuten würden. Das ist ein sozialistisches Menschenbild, das mit der Realität nichts zu tun hat. Vielmehr sind es die Unternehmer, die den Wohlstand überhaupt erst erzeugen, die selber ins Risiko gehen. Das wird in der Öffentlichkeit nicht ausreichend honoriert. Und oft werden diese Zusammenhänge den jungen Menschen auch nicht vor Augen geführt. Das muss sich ändern!

Die Deutschen sind mehr Sparer und weniger Anleger. Dadurch müssen sie sich auch nicht mit dem Kapitalmarkt beschäftigen, welche Chancen und Risiken dort vorherrschen, und wie das mit unserer Volkswirtschaft zusammenhängt.

Liegt diese Uninformiertheit vielleicht auch daran, dass die Deutschen nicht nur in der Technologie den Anschluss verloren haben, sondern bei der Modernisierung ihrer Sozialsysteme? In anderen Ländern gibt es längst erfolgreiche kapitalgedeckte Altersvorsorgevermögen, deren Geld in die Volkswirtschaft investiert werden.

Das mag ein Grund sein. Die Deutschen sind mehr Sparer und weniger Anleger. Dadurch müssen sie sich auch nicht mit dem Kapitalmarkt beschäftigen, welche Chancen und Risiken dort vorherrschen, und wie das mit unserer Volkswirtschaft zusammenhängt. In den USA reden einfache Leute regelmäßig über ihre Finanzanlagen für das Rentenalter. Das ändert auch die Einstellung zum Kapitalmarkt.

Aber es gibt ja auch in Deutschland immer noch viele Kapitalanleger. Fehlt dafür ein Finanzvehikel, um gezielt das Geld in die Schaffung von Innovationen zu lenken?

Das könnte man so sehen. Von den 4 Billionen Euro, die hier in Kapitalsammelstellen herumliegen, könnte natürlich ein Teil als Investition für die Zukunft eingesetzt werden. Blicken Sie nach Frankreich, dort hat Präsident Emmanuel Macron die sogenannte Tibi-Initiative aufgelegt und mit institutionellen Anlegern verabredet, dass sie Milliarden in die heimische Tech-Szene investieren. Deswegen ist Frankreich auf diesem Gebiet auch viel besser aufgestellt als Deutschland.

Und wie könnte man an das Altersvorsorgegeld in Deutschland herankommen?

Vielleicht mit einer eigenen Anlageklasse? Der Staat bietet eine Risikoabsicherung an, damit die Rentenansprüche abgedeckt sind, was erfahrungsgemäß nie gezogen werden muss. Und der Anleger wird mit einer höheren Rendite belohnt. Hätten wir einen Teil unserer Altersvorsorge vor 40 Jahren schon in Aktien angelegt wie anderswo, hätten wir heute nicht die Finanzierungsprobleme bei der gesetzlichen Rentenversicherung.

Fehlt es letztlich nicht auch an einer positiven Erzählung, einer Zukunftsvision, um den Menschen Investments in deutsche Tech-Unternehmen schmackhaft zu machen?

Auch deshalb gibt es ja unsere Bundesagentur für Sprunginnovationen. Wir sind dabei, den Menschen zu erzählen, dass man in die Zukunft investieren muss, wenn man später auch davon profitieren will. „Sprunginnovation“ heißt ein Buch, die englische Ausgabe heißt „On the Brink of Utopia“, das Thomas Ramge und ich vor drei Jahren hierzu geschrieben haben. Da geht es im Kern darum, wie wir mit Wissenschaft und Technik die großen Fragen der Zeit lösen können, und dabei auch großen Wohlstand schaffen können.

Vielleicht ging es uns ja in den vergangenen Jahrzehnten einfach zu gut, wodurch wir verlernt haben, in Veränderungen auch Chancen zu sehen.

Und, wenn Sie jetzt auf die gerade ansetzenden Technologiesprünge schauen: Künstliche Intelligenz und Quantencomputer. Hat Deutschland da noch ein Chance, nicht nur mitzuspielen, sondern sich sogar an die Spitze zu setzen?

Durchaus. Wir haben z.B. ein Programm mit dem Titel „alternative Wege zur allgemeinen Intelligenz“. Denn die heute genutzte Idee von KI ist schon 80 Jahre alt. Und erst vor drei Jahren gab es hier einen Durchbruch, der den aktuellen Boom ausgelöst hat. Aber das alles läuft auf traditioneller IT-Technik, auf klassischen Algorithmen. Inzwischen benötigen wir für die Rechenzentren gleich mehrere Atomkraftwerke, sind alle Daten im Internet beackert worden, gibt es kaum mehr Lernmaterial für die KI-Modelle. Es gibt aber andere, neuere Hardware-Architekturen, so genannte Analog-Computer wie etwa die Quantencomputer. Die könnten das viel besser.

Und auf diesem Feld sind wir führend?

Durchaus. Deutschland muss hier beweisen, dass es noch Disruption kann. Nur müssen wir jetzt schnellstens die politischen, wirtschaftlichen und systemischen Strukturen anpassen, damit es uns auch gelingt. Vielleicht ging es uns ja in den vergangenen Jahrzehnten einfach zu gut, wodurch wir verlernt haben, in Veränderungen auch Chancen zu sehen. Dabei sollte klar sein: Risiken werden immer dann größer, wenn wir uns nicht trauen, die Chancen wahrzunehmen und zwischenzeitliche Härten auszuhalten.


Das Interview führte Stephan Lorz.

Das Interview führte Stephan Lorz.

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