AMERIKA HAT GEWÄHLT

Die angeknackste Partnerschaft

Biden kein Garant für künftige konfliktfreie transatlantische Beziehungen - Bilaterale Brandherde bleiben

Die angeknackste Partnerschaft

Die transatlantische Partnerschaft hat sich schon seit geraumer Zeit von einem deutsch- zu einem europäisch-amerikanischen Verhältnis gemausert. Die Wirtschaft blickt nun mit Sorge auf eine mögliche Hängepartie – dabei verspräche auch ein Wahlsieg von Joe Biden nicht das Ende aller Handelskonflikte. Von Angela Wefers, Berlin, und Andreas Heitker, Brüssel”Eine längere Phase der Unsicherheit würde das Vertrauen der Wirtschaft in die Zukunft beschädigen”, resümierte Industriepräsident Dieter Kempf in Berlin, während jenseits des Atlantiks noch Stimmen gezählt wurden. “Unabhängig davon, wer zukünftiger US-Präsident wird, wünscht sich die deutsche Industrie einen Neustart in den transatlantischen Beziehungen”, konstatierte Kempf. Dabei stellte der Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI) vor allem auf den schwelenden Streit über Zölle zwischen Europa und den USA ab.Täglich handeln Unternehmen aus Europa und den USA laut BDI Waren für 1,7 Mrd. Euro. Beim Warenhandel ist die Bilanz zwischen beiden Weltregionen seit Jahren für die USA defizitär. In der allumfassenden Leistungsbilanz sieht es aber positiv aus: Dort haben die USA seit 2009 gegenüber der EU einen Überschuss (siehe Grafik). Der defizitäre Warenhandel wird durch Überschüsse bei den Dienstleistungen und bei den Primär- und Sekundäreinkommen deutlich überkompensiert.Sowohl in Berlin als auch in Brüssel rechnen die meisten Experten damit, dass die vielen Handelsstreitigkeiten, die Präsident Donald Trump in den vergangenen Jahren mit Blick auf die US-Handelsbilanz angezettelt hat, auch bei einem Machtwechsel im Weißen Haus nicht einfach verschwinden werden. Selbst bei einem Wahlsieg von Biden sei nicht mit einer schnellen Rückkehr der USA zu einem liberalen handelspolitischen Kurs zu rechnen, heißt es etwa in einem jüngst veröffentlichten Gutachten des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). EU-Souveränität im FokusAuch bei den Demokraten “trägt das aktuelle Wahlprogramm deutlich protektionistische Züge, etwa in Form von Buy-American-Regeln” – die sogar noch verschärft werden sollten, hieß es. “Biden ist kein Freihändler”, pflichteten dem die Experten vom Ifo-Institut bei.Der einflussreiche Brüsseler Thinktank Bruegel verweist darauf, dass Biden natürlich trotzdem gemäßigter und realistischer und zudem ein Befürworter der Globalisierung sei, die er als unvermeidlich ansieht. “Er weiß, dass weder die USA noch die EU davon profitieren, wenn sie sich von China abkoppeln.”Zudem zeichnet Bruegel ein äußerst düsteres Bild, sollte Trump das Rennen doch noch für sich entscheiden: Die Situation werde sich verschlimmern. “Die Zölle für Stahl und Aluminium bleiben bestehen, ebenso wie die Gefahr, sie Autos, Wein usw. aufzuerlegen. Die Spannungen bei Digitalsteuern, Flugzeugsubventionen, Hygienestandards, Datenschutz und CO2-Steuern könnten eskalieren.” Die Bruegel-Experten halten sogar einen “ausgewachsenen Handelskrieg zwischen der EU und den USA” für möglich.Die Lehre, die derzeit viele Politiker aus der angespannten transatlantischen Beziehung ziehen: Die EU muss sich mehr auf die eigenen Stärken besinnen und ihren eigenen unabhängigen Weg zwischen den Großmächten suchen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz brachte es gestern so auf den Punkt: Die USA blieben für Europa ein wichtiger Partner – egal, wie die Wahl ausgehe, sagte er am Rande der Beratungen mit den übrigen EU-Finanzministern. Es gehe jetzt aber auch um die “europäische Souveränität”.Aus dem Europäischen Parlament kamen ähnliche Töne: “Auch ein Demokrat Biden wird der EU mehr eigenverantwortliches Handeln abverlangen”, stellte Vizepräsidentin Nicola Beer (FDP) fest.Auch über die Handelskonflikte hinaus hatte Donald Trump wiederholt mit Sanktionen gedroht, um die Interessen der USA durchzusetzen – etwa im Fall der Ostseepipeline “Nord Stream 2”. Trotz seiner politischen Nähe zu Russland ist Trump darauf aus, das Vorhaben auf den letzten Metern zu verhindern. Offiziell geht es um die europäische Abhängigkeit von russischem Erdgas. Trump würde aber gerne mehr Fracking-Gas nach Europa verkaufen und damit gleich die Warenbilanz aufbessern. Biden dürfte einen ähnlichen Kurs fahren, allerdings in milderer Form. Auf deutliche Distanz zu Russland gehend plädiert er für eine größere Unabhängigkeit Europas im Energiesektor, hielt sich aber bislang mit Sanktionsandrohungen zurück. Digitalsteuer, KlimapolitikPotenzial für die Befeuerung des Handelskonflikts haben auch steuerpolitische Fragen. Europa steht in den Startlöchern, eine eigene Digitalsteuer einzuführen, sollten die USA die Verhandlungen in der OECD über eine globale Regelung nicht mittragen. Fakt ist, dass eine Steuer Big-Tech-Konzerne in den USA wie Google, Amazon, Facebook oder Apple steuerlich stärker belasten würde. Trump hatte seinen Finanzminister Steve Mnuchin deshalb auf die Bremse treten lassen. Biden gilt zwar als proeuropäischer, dürfte aber auch zu allererst die Interessen der US-Unternehmen im Auge haben.Klimapolitik ist ein weiteres heißes Eisen. In jeder Verhandlung über ein G20-Kommuniqué wurde zuletzt mit den USA neu darum gerungen, welche Bekenntnisse zur Klimapolitik darin Platz finden dürfen. Würde Europa eine CO2-Grenzsteuer einführen, um Wettbewerbsnachteile europäischer Unternehmen zu kompensieren, wäre erbitterter Streit mit einer Trump-Administration sicher. Biden wäre nach Meinung von Experten zuzutrauen, dass er in internationalen Gremien stärker den Ausgleich sucht. Bemühungen der USA, den CO2-Ausstoß ähnlich wie die EU zu senken, könnten die Wettbewerbsprobleme auf anderem Weg lösen.