DIE ÖKONOMISCHE ORDNUNG ZERBRICHT

Die Attraktivität Südamerikas schwindet wieder

Argentinien und Brasilien vor neuen Krisen?

Die Attraktivität Südamerikas schwindet wieder

Von Andreas Fink, Buenos AiresZwei Ereignisse signalisierten 2016 in Südamerikas großen Volkswirtschaften einen Aufbruch aus der jahrelangen Stagnation: Argentiniens Einigung mit den Altschuldnern und die Amtsenthebung der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff. In beiden Ländern schien der Weg frei für eine profunde Reformagenda. Die Finanzmärkte reagierten regelrecht enthusiastisch, die Börsen in Sao Paulo und Buenos Aires gehörten zu den Top-Performern des Jahres. Doch zur Jahreswende hängen wieder dicke Wolken über Brasília und Buenos Aires.Am späten Abend des St.-Nikolaus-Tages erlebte Präsident Mauricio Macri den bislang wohl heftigsten Rückschlag seines ersten Amtsjahres. Argentiniens Kongress beschloss eine deutliche Senkung der Einkommensteuer. Aber das Gesetz kam nicht von der Regierung, sondern von deren vereinten Gegnern – und hätte Investoren verschreckt sowie ein Riesenloch ins überstrapazierte Budget gerissen, wenn Macri es mit Hilfe der Provinzgouverneure nicht noch im Senat hätte stoppen können.Auch wenn der ganz große Tiefschlag hatte vermieden werden können, erschraken die Finanzmärkte. In den Tagen nach der Entscheidung fiel der Kurs des argentinischen Peso und das Länderrisiko stieg um 4 %. Jäh wurde offenbar, wie fragil die Position des Hoffnungsträgers Macri wirklich ist, dessen Koalition “Cambiemos” nur 87 der 257 Sitze im Kongress und allein 17 der 72 Senatorenposten hält.Bislang vermochte es Macri, mit Hilfe kostspieliger Zugeständnisse an die Provinzen Mehrheiten zu finden. Doch wird das auch im Wahljahr 2017 funktionieren? Steigende Kapitalkosten nach dem Triumph Donald Trumps zwingen zu mehr Ausgabendisziplin als 2016, das mit einem Rekord-Haushaltsdefizit von knapp 9 % zu Ende gehen dürfte. Das ist auch deshalb heikel, weil sich Investoren zurückhalten, solange es im Land keine politische Stabilität gibt.Und die Chancen, dass Macri eine Stabilisierung seiner Macht bei den Parlamentswahlen erreichen kann, sinken, je länger der Wirtschaftsmotor stockt. 2016 dürfte die Wirtschaftsleistung um 2,5 % geschrumpft sein. Für das Wahljahr 2017 wird zwar mit leichtem Wachstum gerechnet, aber auch mit hoher Inflation von mindestens 20 %. Der überbewertete Peso und die Wiederkehr des Protektionismus dürften Macri wenig helfen bei dessen propagierter “Rückkehr in die Welt”. Selbstbindung der RegierungBrasiliens Regierung konnte am 13. Dezember ein Kernstück ihrer Agenda verabschieden. Die “Verfassungsergänzung 55”, die während der kommenden fünf Jahre sämtliche Staatsausgaben auf dem heutigen Niveau einfriert und Brasiliens Regierenden weitere 15 Jahre Haushaltsdisziplin vorschreibt, soll dazu beitragen, das gigantische Budgetdefizit von 10 % abzubauen. Gleichzeitig ist dieses größte Spargesetz seit dem Ende der Militärdiktatur in den achtziger Jahren ein zentrales Signal an die Investoren. Brasilien soll 2017 endlich wieder wachsen, nach drei Jahren im roten Bereich. 2016 dürfte die Wirtschaft um 3,5 % geschrumpft sein, schätzen Experten. In der ersten Jahreshälfte 2017 wird der Beschluss der seit Jahren überfälligen Rentenreform erwartet, was gewiss heftige Proteste hervorrufen wird.Doch kann Präsident Michel Temer das durchstehen? Sein Rückhalt bröselt mit jedem weiteren Geständnis der schon mehr als hundert Kronzeugen der Petrobras-Ermittlung. Allein 77 Top-Manager des Bauriesen Odebrecht schreiben derzeit an ihrer Deklaration, Brasília steht vor einem neuen Beben, vor allem Temers PMDB. Details einer Kronzeugenaussage sickerten Anfang Dezember in die Öffentlichkeit und belasten Temers Partei und auch den Präsidenten selbst direkt. Schon vor dem Bekanntwerden der Aussage lagen Temers Zustimmungswerte bei nur noch 10 %. Ebenfalls wahrlich keine solide Basis für Zukunftsvisionen.