Die Botschaft hinter dem Etikettenschwindel

Lehren aus der Schweizer Volksabstimmung

Die Botschaft hinter dem Etikettenschwindel

Von Daniel Zulauf, ZürichDie Schweizer haben die von der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) lancierte “Initiative für eine maßvolle Zuwanderung”, besser bekannt als “Begrenzungsinitiative”, am Wochenende klar verworfen. Eine Annahme hätte mit aller Wahrscheinlichkeit dazu geführt, dass das seit bald 20 Jahren bestehende Abkommen über die Personenfreizügigkeit mit der EU aufgekündigt worden wäre.Eine derartige Zäsur hätte das Verhältnis zwischen der Gemeinschaft und dem störrischen Kleinstaat in seiner Mitte auf Jahre hinaus beschädigt. Ein ganzes Paket von bilateralen Abkommen, das seit 1998 die intensiven wirtschaftlichen Beziehungen regelt, hätte möglicherweise zur Disposition gestanden.Die Eidgenossen folgen bei wirtschaftlich relevanten Entscheidungen in aller Regel einer nüchternen Abwägung von Risiken und Chancen. 62 % haben deshalb Nein gesagt. Für ein wirtschaftlich überaus erfolgreiches und stark globalisiertes Land wie die Schweiz ist das Ideal absoluter Selbstbestimmung schlicht unglaubwürdig. Diesen politischen Etikettenschwindel haben die Bürger durchschaut.Nun aber legen manche Wirtschaftsverbände das Votum etwas gar großzügig aus. Für den mächtigen Arbeitgeberverband ist “die Zeit des Zauderns” seit Sonntag vorbei. Der Bundesrat habe einen “unmissverständlichen Volksauftrag” erhalten, “das Heft beim Institutionellen Rahmenabkommen wieder in die Hand zu nehmen”. Der Verband hofft auf einen raschen Abschluss, damit der europäische Binnenmarkt für Schweizer Firmen, vor allem Maschinenindustrie und Medizinaltechnik, jederzeit offen bleibt und weitere Öffnungen, etwa bei Finanzdienstleistungen, erfolgen bzw. neue Abkommen zum Beispiel beim Strom geschlossen werden können. Auch die EU wartet sehnlichst auf den Abschluss. Sie verspricht sich einen effizienten Prozess in der Umsetzung von Binnenmarktrecht, der nicht ständig durch Schweizer Referenden behindert werden kann.Doch diese Hoffnungen könnten sich bald zerschlagen. Mit der Ablehnung der Begrenzungsinitiative haben die Schweizer dem Rahmenvertrag noch lange nicht das Plazet erteilt – mindestens nicht jenem Rahmenvertrag, der voriges Jahr durchgefallen war. Gegen eine bedingungslose Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie wehren sich viele Wirtschaftsverbände mit dem Argument, dass die Schweiz kein EU-Mitglied ist. Das Verbot staatlicher Beihilfen stößt bei den Kantonen auf Ablehnung. Fast alle betreiben noch ihre eigene Kantonalbank mit Staatsgarantie.Vor allem kämpfen Gewerkschaften und linke Parteien gegen die Übernahme der EU-Durchsetzungs- und Entsenderichtlinie, mit der Brüssel die starken und wirkungsvollen Lohnkontrollen unterlaufen könnte, auf die sich die Sozialpartner in der Schweiz vor 20 Jahren geeinigt hatten, um die Personenfreizügigkeit mit der EU möglich zu machen. Diese Forderung Brüssels ist besonders kritisch. Nicht nur stößt sie bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Hochlohnland Schweiz auf breite Ablehnung. Zugeständnisse Brüssels sind auch innenpolitisch kritisch für die EU-Kommission. Die EU hat schließlich ein unübersehbares Problem mit Lohndumping, wie der deutsche Fleischskandal unlängst deutlich gezeigt hat. Auch das wollten die Eidgenossen an der Urne gesagt haben. Sie werden es bei Gelegenheit wiederholen.