GASTBEITRAG

Die Bruchlinien in der Eurozone

Börsen-Zeitung, 22.5.2013 Die Eurozone hat zwei Probleme, die sie in den Griff kriegen muss: die wirtschaftliche Diskrepanz zwischen den Kern- und den Peripheriestaaten und die untrennbare Verbundenheit zwischen Banken und Staaten. Beides sind...

Die Bruchlinien in der Eurozone

Die Eurozone hat zwei Probleme, die sie in den Griff kriegen muss: die wirtschaftliche Diskrepanz zwischen den Kern- und den Peripheriestaaten und die untrennbare Verbundenheit zwischen Banken und Staaten. Beides sind Bruchlinien, die das Konzept der Gemeinschaftswährung durchziehen.Die Aussichten für die Eurozone sind bewölkt. So rechnet der Internationale Währungsfonds (IWF) für 2013 mit einem Produktionsrückgang in dieser Region. Zugleich könnte die lockere Geldpolitik der Notenbanken die Konjunktur wieder in Schwung bringen. Allerdings gibt es im Euroland strukturelle Hindernisse, die einem kräftigen Wachstum im Wege stehen. Die Unterschiede zwischen den ökonomisch starken Kernstaaten und den schwachen Peripherieländern der Eurozone sind eklatant, und darin besteht die erste Bruchlinie. Für die Umverteilung von Gewinnen und Verlusten muss es einen realistischen Lösungsansatz geben.Die Ausgabe von Euroland-Bonds wäre ein Schritt in Richtung Fiskalunion. Damit würde die Haftung für die Staatsschulden der Euro-Länder praktisch vergemeinschaftet. Ziel wäre das Erschaffen eines sicheren Hafens im Euroraum, in dem die Staaten gemeinsam für die Schulden verantwortlich sind. Nicht jede Staatsschuld müsste dem Gemeinschaftsprinzip unterworfen werden. Stattdessen könnten die Schulden so gegliedert werden, dass der vergemeinschaftete Teil Vorrang hätte vor dem Teil ohne gemeinschaftliche Haftung. Vorabkontrolle einbauenDoch auch Euroland-Bonds bringen Gewinner und Verlierer hervor: Deutschland und die Kernländer würden ein gemeinsames Kreditrating aufweisen und müssten höhere Zinsen zahlen. Die Randstaaten dagegen würden von einem niedrigeren Zinssatz profitieren, als wenn sie in ihrem eigenen Namen Schuldtitel emittieren würden. Deutschland hat dies bislang abgelehnt.Euroland-Bonds könnten jedoch dann akzeptabel sein, wenn sie an Bedingungen geknüpft wären, die es den Staaten untersagen, nach Belieben Schuldverschreibungen zu begeben. So könnte festgelegt werden, dass Mitgliedsstaaten erst nach der Genehmigung ihrer Haushaltspläne Euroland-Bonds ausgeben dürfen. So würde das politische System Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht nicht wie bisher nachträglich ahnden, sondern eine starke Vorabkontrolle ausüben. Sollte der Entwurf eines Haushaltsplans gegen die gemeinsamen Grundsätze verstoßen, könnten die Partnerländer in der Eurozone vor dessen Inkrafttreten ein Veto dagegen einlegen.Die zweite Bruchlinie wurde vor der Gründung des Euro nicht vorhergesehen: Die Tatsache, dass Banken und Staaten untrennbar miteinander verbunden sind. Dies bedeutet, dass ihre Schulden nicht unabhängig voneinander, sondern zusammen betrachtet werden müssen. Banken und Staaten haben das Potenzial, sich gegenseitig zu Fall zu bringen. In der Eurozone gab es sowohl den einen als auch den anderen Fall. Während die Banken in Irland und Spanien eine Staatskrise hervorgerufen haben, war es in Griechenland genau andersherum.Anstatt die Untrennbarkeit zwischen Bank und Staat eher zu erkennen, lag der politische Schwerpunkt der Eurozone – von Maastricht bis hin zum Fiskalpakt – ausschließlich auf dem Begrenzen der Staatsverschuldung. Damit wurde die Tatsache ignoriert, dass die Regierung möglicherweise einen beachtlichen Teil der Schulden im Privatsektor übernehmen muss. Bankenunion ist die LösungWenn eine Bankenkrise den Staat erst einmal erfasst hat, werden die Bankbilanzen durch die gesunkene Bonität der Staatsanleihen beeinträchtigt – so entsteht eine Abwärtsspirale. Das Erschaffen einer Bankenunion wäre ein Mittel, um diese negative Rückkoppelung zu stoppen. Wenn in der gesamten Eurozone gleiche Bedingungen herrschten, könnte der Teufelskreis durchbrochen werden.Mit der Ernennung der Europäischen Zentralbank (EZB) zur Bankenaufsicht der Region wurden bereits erste Fortschritte erzielt. Die dringendsten Fragen aber betreffen die Ausarbeitung eines Abwicklungsverfahrens, das beim Scheitern von Banken angewendet wird, sowie die Beschaffenheit einer Einlagensicherung. Beide Fragen wurden bislang nicht gelöst und erfordern, dass die Ressourcen der weiteren Eurozone gebündelt werden.Jede Bankenunion führt dazu, dass die europäischen Behörden die Verluste der Banken zwischen Aktionären, Gläubigern und Sparern sowie zwischen nationalen und europäischen Partnern aufteilen. Es wurde bereits deutlich, dass es sich hierbei um sehr politische Entscheidungen handelt. Eine Bankenunion würde einem Zerbrechen der Euro-Finanzmärkte entgegenwirken. Eine zentrale Voraussetzung von Einheitswährungen wird derzeit vom Euro nicht erfüllt: Nämlich die, dass das Vertrauen in eine Anlage in jedem Land gleich hoch sein sollte. Insofern ist heute nicht jeder Euro gleich. Die in deutschen Banken aufbewahrten Euro sind sicherer als jene, die in den Randstaaten gelagert werden. Die Rettung Zyperns ist ein extremes Beispiel dafür. Hier wurden die Sparer in die Verantwortung genommen und müssen nun Kapitalkontrollen hinnehmen.Sollten wir nun optimistisch sein und davon ausgehen, dass der Euro die Bruchstellen korrigieren kann? Dies fällt zunächst schwer. Beide vorgeschlagenen Lösungen sehen eine Art Bankenunion vor. Deutschland hat allerdings bereits jegliche Quersubventionierung ausgeschlossen. Auch wenn hinsichtlich einer Bankenunion Fortschritte erzielt werden: Deutschland hat klargemacht, dass sich diese nur mit neuen Problemen und nicht mit Altlasten befassen sollte. Grenzen austestenEs gibt aber noch Hoffnung. Im Zuge der Euro-Krise wurde mehr und mehr deutlich, dass sich Europa durch diese Krisen weiterentwickelt. Nur wenn wir uns mit dem bevorstehenden Zusammenbruch des Systems auseinandersetzen, erfahren wir die Grenzen des Verhandelbaren. Die Finanzmärkte haben bereits erfahren, dass die Waghalsigkeit ein integraler Bestandteil der Politik und folglich auch des Lösungsprozesses ist.Die geldpolitische Maßnahme der EZB, die Märkte mit Liquidität zu fluten, verringert das Risiko einer Krise. Angesichts der Renditejagd der Anleger, die sich der Unterstützung der EZB sicher waren, haben sich die Renditespannen für Anleihen aus der europäischen Peripherie weiter verengt. Dies hat dem Euro zweifellos die dringend benötigte Atempause verschafft und zugleich den Handlungsdruck der Regierungen verringert.Deutschland und die anderen Kernländer – die Benelux-Staaten, Finnland und Frankreich – haben von den Handelsgewinnen profitiert, die durch die Einheitswährung ermöglicht wurden. Nun profitieren sie aufgrund der außergewöhnlich niedrigen Zinssätze auch indirekt von der Krise. Gemäß der Deutschen Bank haben die Renditen von niederländischen Staatsanleihen den niedrigsten Stand seit 500 Jahren erreicht. Auf dem Weg zu einem nachhaltigen Euro müssen nun die Kernländer davon überzeugt werden, einen Teil ihrer zinsbasierten Gewinne aufzugeben, um ein höheres Wachstum und mittelfristig einen stabilen Euro zu erreichen.—-Keith Wade Chefvolkswirt bei Schroders