Die drei ??? und das Bundesverfassungsgericht

Von Detlef Fechtner, Frankfurt Börsen-Zeitung, 5.5.2020 Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts ist nicht zu beneiden. Denn die Karlsruher Richter verkünden heute Vormittag das Urteil in Sachen Anleihekaufprogramm der Europäischen...

Die drei ??? und das Bundesverfassungsgericht

Von Detlef Fechtner, FrankfurtDer Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts ist nicht zu beneiden. Denn die Karlsruher Richter verkünden heute Vormittag das Urteil in Sachen Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB). Selbst für erfahrene Juristen stellt der Fall eine komplexe Herausforderung dar – und eine heikle sowieso, schließlich könnte das Urteil Marktverwerfungen provozieren. Kurzum: eine ganz komplizierte Kiste.Entsprechend schwierig wird es für Finanzmarktprofis, Notenbanker und alle anderen, die gebannt nach Karlsruhe blicken, zu verstehen, was die Entscheidung letztlich bedeutet. Dass es auf diese Frage einfache, griffige Antworten geben wird, ist nicht zu erwarten. Ganz im Gegenteil: Das Urteil könnte vor allem drei Fragen nach sich ziehen: Hat das Bundesverfassungsgericht, sofern es das überhaupt will, das Recht auf das “letzte Wort”? Muss die Bundesbank einer Aufforderung aus Karlsruhe, sofern das Gericht eine ausspricht, folgen? Kann der Bundesbankchef, wenn er Deutschland im EZB-Rat vertritt, an Weisungen gebunden werden? Fünf Fragen an die EU-RichterAber der Reihe nach: Nachdem mehrere Kläger, darunter die Unternehmer Heinrich Weiss und Jürgen Heraeus, in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde gegen das Staatsanleihekaufprogramm (PSPP) der EZB eingelegt hatten, wandte sich das Bundesverfassungsgericht 2017 mit fünf Fragen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Ein solches “Vorab-Entscheidungsersuchen” ist in Fällen europarechtlicher Relevanz durchaus üblich. Das Bundesverfassungsgericht war übrigens von den Klägern angesprochen worden, weil die Anleihekäufe zwar von der EZB beschlossen wurden, aber zum überwiegenden Teil von nationalen Notenbanken wie der Bundesbank umgesetzt werden. Insofern ist eine Bundesoberbehörde involviert.Das Bundesverfassungsgericht fragte den EuGH unter anderem, ob die Art des Anleihekaufs mit EU-Recht vereinbar sei – ob etwa die Ankündigungen der EZB nicht letztlich privaten Investoren Gewissheit gäben, am Primärmarkt bedenkenlos Titel kaufen zu können, da ihnen die Notenbanken am Sekundärmarkt sowieso diese Papiere wieder abnähmen. Denn wenn es so wäre, spräche vieles dafür, dass das Kaufprogramm mit dem Verbot monetärer Staatsfinanzierung kollidiert. EuGH erkennt keine ProblemeIm Dezember 2018 antworteten die Europarichter auf vier der fünf Fragen. Sie erklärten, die Prüfung habe nichts ergeben, was den EZB-Beschluss für Anleihekäufe beeinträchtigen könnte. Die Frage indes, ob im Falle eines Staatsbankrotts eines Euro-Staats nationale Notenbanken nicht gezwungen wären, sich auf Kosten ihrer nationalen Haushalte zu refinanzieren, ließ der EuGH unbeantwortet. Die Frage sei, weil “hypothetisch”, nicht zulässig.Das Karlsruher Gericht wird nun auf Basis der EuGH-Antworten entscheiden, was es selbst von der Beschwerde hält. Das hängt eng mit der Frage des Verhältnisses von Bundesverfassungsgericht und EuGH zusammen. Zwar erkennt das oberste deutsche Gericht im Grundsatz den Vorrang europäischen Rechts an. Aber es gibt Ausnahmen, weil das Grundgesetz die Übertragung von Kompetenzen an Grundsätze bindet.Die Beschwerdeführer hoffen, das Bundesverfassungsgericht werde attestieren, die EZB habe gehandelt, ohne dafür die Kompetenz zu haben – “ultra vires”. Die Karlsruher Richter könnten in diesem Falle einschreiten, aber nur, wenn die Kompetenzüberschreitung offenkundig ist – was nach den EuGH-Antworten unwahrscheinlich sein dürfte. Ein anderer Grund für das Bundesverfassungsgericht, sich den EU-Richtern entgegenzustellen, könnten Zweifel an der “Verfassungsidentität” sein – also etwa daran, dass die Bundesbürger nach wie vor ihr Wahlrecht angemessen ausüben können, falls die Richter zu dem Schluss kommen sollten, dass der von den Bürgern gewählte Bundestag gar nicht mehr vollen Zugriff auf den Haushalt habe. An dieser Stelle wird es interessant sein, wie Karlsruhe darauf reagiert, dass der EuGH Frage fünf – die “hypothetische” – nicht beantwortet hat.Wie auch immer das Bundesverfassungsgericht entscheidet, die Konsequenzen daraus sind noch nicht abschließend vorhersagbar. Wenn Karlsruhe der Bundesbank etwa auftragen würde, keine Anleihen mehr zu kaufen, wäre sie daran nicht automatisch gebunden. Denn sie geriete in einen Normenkonflikt. Der EuGH hält das Kaufprogramm schließlich für voll vereinbar mit EU-Recht. Auch gibt es kontroverse Positionen darüber, inwieweit der Bundesbankchef in den Sitzungen des EZB-Rats durch Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts weisungsgebunden sein kann. Gut möglich also, dass, wenn das Bundesverfassungsgericht um 10 Uhr seine Entscheidung verkündet, noch einige Fragen offen bleiben.——Es ist unabsehbar, wie sich die Bundesbank verhält, falls sie in einen Normenkonflikt gerät.——