DIE ANLEIHEKÄUFE DER EZB - GASTBEITRAG

Die Dreimonatsfrist läuft ab - und nun?

Börsen-Zeitung, 4.8.2020 Nachdem es zunächst über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum "Public Sector Purchase Programme" (PSPP) sehr viel Aufregung sowie zahlreiche Publikationen hinsichtlich der Bedeutung für die Unabhängigkeit der...

Die Dreimonatsfrist läuft ab - und nun?

Nachdem es zunächst über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum “Public Sector Purchase Programme” (PSPP) sehr viel Aufregung sowie zahlreiche Publikationen hinsichtlich der Bedeutung für die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank (EZB) und Befürchtungen hinsichtlich der Zukunft des Euro gab, schien das Thema für einige Zeit wie vom Sommerloch verschluckt. Karlsruhe hatte aber am 5. Mai nicht nur entschieden, dass das PSPP sowie das die Kompetenzen der EZB bestätigende Urteil des Europäischen Gerichtshofs (derzeit) verfassungswidrig sind, sondern es hatte dem EZB-Rat auch eine Dreimonatsfrist gesetzt, um “in einem neuen Beschluss nachvollziehbar” die Verhältnismäßigkeit zwischen währungspolitischer Zielsetzung und den zwangsläufigen (Neben-)Wirkungen in den Bereichen Wirtschafts- und Fiskalpolitik darzulegen. Sowohl das Wort beziehungsweise der unbestimmte Rechtsbegriff “nachvollziehbar” als auch das Verlangen nach einem neuen Beschluss haben es dabei in sich. “Neuer” EZB-Beschluss unklarDenn genau dies wird jetzt kurz vor Fristablauf von den Beschwerdeführern, insbesondere Peter Gauweiler und Bernd Lucke, massiv gerügt. Dabei schien der Konflikt auf sanfte Weise durch eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen EZB, Bundesfinanzministerium und Bundestag beigelegt. Und das war gar nicht einfach! Die EZB musste ihren Standpunkt wahren, dass die Entscheidung eines nationalen Verfassungsgerichts für sie unverbindlich ist und sie weiterhin nur der Jurisdiktion des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) unterliegt, der die Rechtmäßigkeit des Anleihekaufprogramms ausdrücklich bestätigt hatte. So gab es unmittelbar nach dem Urteil Stimmen, die etwa vorschlugen, die Entscheidung schlicht zu ignorieren, beziehungsweise sogar so weit gingen, Deutschland vor dem EuGH deswegen zu verklagen. Und dazu kann es noch kommen.Trotz all dieser Bedenken hat sich der EZB-Rat im Juni – noch einmal – mit dem Programm beschäftigt, wobei unklar ist, ob damit ein “neuer” Beschluss im Sinne des Karlsruher Urteils gefasst oder nur alte bestätigt worden sind. Dem Finanzministerium wurden umfangreiche Unterlagen zur Dokumentation der Verhältnismäßigkeitsprüfung zur Verfügung gestellt, und der Bundesfinanzminister hat sie mit einem bestätigenden Begleitschreiben an den Bundestag weitergeleitet. Dieser kam dann auch am 2. Juli mit großer Mehrheit – nur gegen die Stimmen von AfD und Linken – zu dem Ergebnis, dass die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts erfüllt sind. Der der Entscheidung zugrunde liegende Antrag dokumentiert, dass der EZB-Rat eine umfangreiche Zusammenfassung seiner Abwägungen vor und während der Laufzeit des PSPP-Programms dargelegt hat. Weitere Dramaturgie stehtDoch niemand konnte annehmen, dass dies den Klägern genügen würde. Nach ihrem unerwarteten Erfolg wollen sie das Programm tatsächlich stoppen, indem die Mitwirkung der Bundesbank untersagt und – wie im Urteil angelegt – eine Rückabwicklung verlangt wird. Dies dokumentiert: Den Klägern geht es letztendlich um einen Angriff auf den Euro, und genau vor diesen Wagen hat sich das Bundesverfassungsgericht mit seiner “Ultra vires”-Entscheidung spannen lassen. Ganz Europa beobachtet jetzt das Prozedere in Deutschland – und die weiteren Spielzüge sind schon absehbar. Zunächst werden Anträge auf Akteneinsicht in die “geheimhaltungsbedürftigen Dokumente” der EZB gestellt. Wenn diese – was zu erwarten ist – erfolglos bleiben, werden Vollstreckungsanträge gestellt. Diese sind aus Sicht der Kläger auch notwendig, da das Bundesverfassungsgericht zu erkennen gegeben hatte, dass es nicht von selbst tätig werden will.In diesem Rahmen stellt sich dann die Frage, ob die Darlegungen der EZB und der mit großer Mehrheit gefasste Beschluss des Bundestages den Anforderungen des Urteils genügen. Dies gibt Karlsruhe die Chance, den entstandenen währungspolitischen und verfassungsrechtlichen Konflikt innerhalb der Europäischen Union zu deeskalieren und die durch sein Urteil erreichte größere Transparenz und Nachvollziehbarkeit von EZB-Entscheidungen zu sichern, ohne die gesamte Architektur der europäischen Währungspolitik zu gefährden. Vermehrt Klagen zu erwartenDie aufgeworfenen Fragen hinsichtlich der Unabhängigkeit der EZB und die entstandene Unsicherheit bezüglich der Rechtmäßigkeit künftiger Anleihekaufprogramme, nicht zuletzt des aktuellen Pandemie-Notprogramms, bleiben allerdings weiter offen. Denn eines ist klar: Nach dem “Ultra vires”-Triumph der Euro-Gegner wird es in Deutschland und vermutlich auch in weiteren Mitgliedstaaten vermehrt Klagen gegen geldpolitische Maßnahmen der EZB geben. Rechtssicherheit hinsichtlich der Kompetenzen der EZB, was gerade in der aktuellen Krise so notwendig ist, kann nur der europäische Gesetzgeber schaffen.Vielleicht ist es daher jetzt Zeit, die unvollkommene Währungsunion etwas weiterzuentwickeln. Bemerkenswert ist dabei, dass der Bundestag in seinem Beschluss vom 2. Juli seinen festen Willen zur europäischen Integration und Verankerung Deutschlands in der EU bekräftigt hat. Christoph Schalast, Professor für M&A, Wirtschaftsrecht und Europarecht an der Frankfurt School of Finance & Management