IM INTERVIEW: VOLKER WIELAND

"Die EZB ist in Vorleistung gegangen"

Der Wirtschaftsweise über die EZB-Hilfen in der Krise

"Die EZB ist in Vorleistung gegangen"

Volker Wieland gehört zu den führenden Experten in Sachen Geldpolitik und er hat bei der US-Notenbank Fed gearbeitet und die EZB beraten. Der Direktor des Frankfurter Instituts IMFS ist einer von fünf “Wirtschaftsweisen” der Bundesregierung. Im Interview lobt er das Handeln der EZB, warnt aber zugleich auch. Herr Professor Wieland, die Europäische Zentralbank (EZB) hat wegen der Coronavirus-Pandemie ein 750 Mrd. Euro umfassendes Notkaufprogramm aufgelegt. Wie beurteilen Sie diese Maßnahme der Euro-Hüter?Die Entscheidung ist absolut nachvollziehbar. Die EZB will den Anlegern an den Anleihemärkten offenbar klar signalisieren, dass sie keinen raschen Anstieg der Risikoprämien für hoch verschuldete Staaten zulassen will. Sie betont insbesondere die Flexibilität des neuen Programms. Allerdings sollen Aufkäufe primär weiterhin nach dem EZB-Kapitalschlüssel und damit letztlich auch nach den BIP-Gewichten der Länder vorgesehen werden – wenn auch Abweichungen jederzeit möglich sein sollen. Sie signalisiert gleichzeitig, dass sie beim Volumen nachlegen kann und selbst gesetzte Grenzen bei Anleiheemissionen in diesem Fall nicht für bindend erachtet. Die EZB zielt ganz offensichtlich auch darauf, einzelne besonders betroffene Länder wie Italien gezielt mit Anleihekäufen zu stützen? Ist das ihre Aufgabe?Die EZB ist in Vorleistung gegangen. Nun müssen die Euro-Staaten ihren Teil tun, um sie nicht im Regen stehen zu lassen. Die Staaten müssen für ihre Schulden geradestehen. Um dabei zu helfen, gibt es bestehende, effektive Instrumente in Europa. Der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM steht bereit. Dort können die Staaten, die Marktzugang haben, aber hoch verschuldet sind und einen Schutzschirm einziehen wollen, eine vorbeugende Kreditlinie beantragen. Das kommt mit Bedingungen, also etwa Kreditrückzahlung und Schuldenstandsreduktion in der mittleren Frist – also nach der Coronakrise. So kann glaubwürdig – da garantiert von niedriger verschuldeten Mitgliedsstaaten wie Deutschland – die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen sichergestellt werden. In Italien etwa gibt es aber großen Widerstand gegen eine Einschaltung des ESM.Die Mitgliedstaaten sollten ermutigt werden, im Notfall den ESM um Hilfen zu bitten. Dabei kann auch ein gemeinsamer Aufruf der Regierungen helfen. ESM-Hilfen sind kein Makel, denn der Coronaschock trifft nun alle von außen und ist nicht selbst verschuldet. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte vergangene Woche einen Hilferuf an die Fiskalpolitik gesendet – der bislang nicht wirklich erhört worden ist. Ihre Hoffnungen ruhen nun auf dem ESM?Wenn die Voraussetzung eines ESM-Programms steht, könnte die EZB gegebenenfalls auch gezielte Aufkäufe der Anleihen einzelner Ländern tätigen. Dazu hat sie die juristische Rückendeckung des Europäischen Gerichtshofs, und die Bundesbank hat die Rückendeckung durch das Bundesverfassungsgerichtsurteil zu OMT. Auch das spricht dafür, dass Mitgliedsländer die weiten Möglichkeiten des ESM nutzen sollten. Die EZB hatte vergangene Woche bereits ein umfangreiches Maßnahmenpaket gegen die wirtschaftlichen Virusschäden beschlossen. Ist die neuerliche Entscheidung auch Ausdruck von Panik in der Notenbank?Beim Programm vergangene Woche ging es primär um die Liquiditätsversorgung der Banken, was ich sehr sinnvoll fand. Auch weitere Anleihekäufe, insbesondere von Unternehmensanleihen, wurden angekündigt. Das kann etwas helfen, aber nicht die Krise verhindern. Nachdem an den Anleihemärkten die Renditen für hoch verschuldete Länder wie Italien umgehend nach oben gegangen sind, gab EZB-Präsidentin Lagarde umgehend die in der Pressekonferenz geäußerte Position auf, dass es für dieses Problem andere Instrumente und Akteure gebe. Nun hat die EZB, vermutlich auch aus Furcht vor dem Aufflammen einer erneuten Staatsschuldenkrise, kräftig nachgelegt. Die EZB hat jetzt angekündigt, notfalls sogar noch weiter nachzulegen. Sollte die EZB auch den Kauf von Aktien erwägen, wie es die Bank of Japan tut – oder auch von Bankanleihen?Das sind weitergehende mögliche Instrumente. Das gilt insbesondere für Aktienkäufe. Allerdings wird die EZB die massive Korrektur an den Aktienmärkten nicht umkehren können. Und eine typische Nachfragestimulierung ist derzeit sowieso nicht möglich, wenn gesundheitspolitische Maßnahmen und soziale Distanzierung Nachfrage und Produktion stark einschränken. Die Banken stützt die EZB bereits mit extrem günstiger Liquidität in großem Umfang. Gleichzeitig werden Kapitalanforderungen gelockert. Was kann die Geldpolitik in der aktuellen Krise überhaupt leisten?Die Geldpolitik kann auf jeden Fall die Stimmung an den Finanzmärkten nicht drehen. Die Hauptkampflinie ist in der Gesundheitspolitik. Und die Fiskalpolitik muss entscheidende gezielte Überbrückungshilfen geben. Da ist Deutschland bereits auf einem guten Weg. Die Notenbank kann im Moment bestenfalls verhindern, dass es zusätzlich zu einer Bankenkrise kommt. Lagarde hatte bei Amtsantritt im November eigentlich angekündigt, stärker auf die negativen Nebenwirkungen der ultralockeren Geldpolitik zu schauen. Gilt es in der aktuellen Krise, solche Bedenken beiseitezuschieben?Ich habe immer wieder betont, dass die EZB, ähnlich wie die US-Notenbank Fed, die vergangenen Jahre der wirtschaftlichen Erholung hätte nutzen sollen, wieder Handlungsspielraum zu gewinnen – sowohl durch eine Rückführung der Bilanz wie durch Zinserhöhungen. Das wäre möglich gewesen, und dann hätte die EZB jetzt ähnlich wie die Fed auf den Schock reagieren können. Aber das hilft jetzt nicht weiter. Das heißt?Es ist nun Krisenbekämpfung angesagt. Dabei sollten die Instrumente eingesetzt werden, die jetzt am effektivsten sein können. Das ist aber neben der Gesundheitspolitik vor allem auch die Fiskalpolitik gefragt. Es geht da um Arbeitsmarktmaßnahmen wie das deutlich ausgeweitete Kurzarbeitergeld und andere Überbrückungshilfen. Die EZB jedenfalls kann die Rezession durch den Coronaschock nicht vermeiden. Es wird später, nachdem die Coronakrise überstanden ist, wieder über die Normalisierung der Geldpolitik zu reden sein. Dann hoffentlich unter veränderten Vorzeichen. Aber dafür ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Eigentlich wollte die EZB 2020 zum Jahr der großen Strategieüberprüfung machen – auch weil es im Direktorium und Rat personell einen Neuanfang gegeben hat. Hat sich die Überprüfung mit der Coronakrise erledigt oder ist nun eine ehrliche Bestandsaufnahme überhaupt noch möglich?Das werden wir herausfinden. Mit dem jetzigen Kriseneinsatz definiert sich der EZB-Rat natürlich auch. Trotzdem setze ich darauf, dass es später eine ehrliche Bestandsaufnahme der EZB-Politik geben wird. Das Interview führte Mark Schrörs.