IM INTERVIEW: VOLKER WIELAND

"Die EZB kann nicht alles mit sich machen lassen"

Der Wirtschaftsweise über die Hilfen der Notenbank für Griechenland und die Reformpolitik in Euroland

"Die EZB kann nicht alles mit sich machen lassen"

– Herr Professor Wieland, erneut sind Gespräche zwischen der neuen griechischen Regierung und den EU-Kreditgebern gescheitert. Für wie wahrscheinlich halten Sie inzwischen einen Grexit, also einen Euro-Austritt Griechenlands?Man muss zwei Dinge unterscheiden: Ein Grexit wäre eine bewusste Entscheidung der griechischen Regierung, den Euro aufzugeben und aus der EU auszutreten – denn nur dann ginge das laut EU-Vertrag überhaupt. Das erscheint immer noch wenig wahrscheinlich und es ist nichts, was über Nacht passiert. Das andere ist, dass es zu einem Unfall kommt, den eigentlich gar keiner will. Diese Gefahr ist sicher deutlich gestiegen.- Was meinen Sie mit “Unfall”? Dass sich nichts bewegt und die Europäische Zentralbank (EZB) die griechischen Banken von den Notfallkrediten ELA (Emergency Liquidity Assistance) abschneidet?Ganz genau. Es geht um eine Situation, in der die EZB gar nicht mehr anders kann, als ELA einzustellen, wenn sie nicht ihre Glaubwürdigkeit verlieren will. Das wäre aber nicht gleichbedeutend mit einem Grexit und es gäbe immer noch Zeit für Athen, zur Besinnung zu kommen.- Aber hätte dieses Szenario nicht auch unkalkulierbare Folgen?Athen müsste sicher zunächst extreme Maßnahmen ergreifen: Die Regierung müsste Kapitalverkehrskontrollen einführen, um die Kapitalflucht einzudämmen und die Banken zu schützen. Sie müsste auch Wege finden, ihre Bediensteten zu bezahlen, sollte sie dafür nicht mehr genug Euro haben – etwa durch neue Schuldscheine.- Und wie wäre es mit der Ansteckungsgefahr für andere Länder?Die Gefahr ist heute sicher geringer als 2010. Portugal, Irland, Spanien – sie alle haben deutliche Reformfortschritte gemacht. Zudem gibt es Institutionen wie den EU-Rettungsschirm ESM. Und schließlich steht die EZB bereit, Staatsanleihen zu kaufen. Im März beginnt sie ja auch ihr Quantitative Easing (QE). Das macht es für Spekulanten riskant, gegen Euro-Länder zu wetten. Das alles heißt nicht, dass es nicht zu Turbulenzen kommen könnte, aber die Folgen wären einzudämmen. Hingegen gibt es in der aktuellen Situation eine ganze andere Ansteckungsgefahr.- Nämlich?Wenn die anderen 18 Euro-Länder nun einfach die Wünsche und Forderungen Athens umsetzen würden und der Abkehr von der – erfolgreichen – Reformpolitik zustimmen würden, würde das auch in anderen Ländern dazu führen, dass Protestbewegungen noch mehr Zulauf bekommen und diese mit unrealistischen Forderungen aufwarten. Deswegen ist die Eurogruppe auch so geschlossen. Es ist eben nicht so, dass Deutschland allein die Politik im Euroraum bestimmt oder dass es heißt: Berlin gegen Athen. Es sind 18 gegen 1. Das hat die neue Regierung in Athen falsch eingeschätzt.- Die Regierungen in Lissabon oder Madrid hätten es vermutlich auch schwer, ihren Wählen noch zu erklären, warum sie starke Einschnitte hinnehmen mussten.Das stimmt, deswegen können die 18 nun auch nicht einfach umkippen. Die Gefahr wäre auch, dass dann die Glaubwürdigkeit Europas infrage gestellt und das Vertrauen der Investoren leiden würde. Dann könnten die ihre Gelder aus dem Euroraum insgesamt abziehen. Das kann keiner wollen.- Nun blicken wieder alle auf die EZB und die ELA-Hilfen. Die Euro-Hüter wollen eigentlich nicht diejenigen sein, die Athen “den Stecker ziehen”. Andererseits hat sie ihre Regeln und es gibt auch im EZB-Rat die Sorge, dass die Notenbank letztlich zur Staatsfinanzierung missbraucht wird.Es gibt sicher gewisse Grauzonen bei diesen ELA-Entscheidungen und somit ein wenig Handlungsspielraum für die EZB. Aber am Ende hat sie ihre Regeln und darf diese nicht brechen. Sie kann nicht alles mit sich machen lassen und sie darf vor allem nicht zum Geldgeber der Staaten werden.- 2013 hat die EZB Zypern mit dem Entzug von ELA gedroht und damit quasi eine Einigung auf ein Rettungsprogramm erzwungen. Viele haben ihr damals vorgeworfen, sie dürfe demokratisch gewählten Regierungen nicht “die Pistole auf die Brust” setzen.Das Problem der EZB ist, dass sie inzwischen so mächtig ist, dass sie Staaten sehr viel Spielraum verschaffen kann. Zugleich aber sind es letztlich “nur” Beamte mit einem speziellen Mandat. Die wirklichen Entscheidungen muss die Politik treffen. Wenn sich Brüssel und Athen einigen, kann die EZB erst einmal weiter helfen. Wenn nicht, hat das die Politik zu verantworten, nicht die EZB.- Und wenn die Politik doch wieder alles auf die EZB abwälzt?Dann würde sie die EZB in eine absolut unmögliche Situation bringen mit enormen Folgen für die Institution. Ich denke, das hat die EZB auch deutlich gemacht – und ich hoffe, die Politik hat das verstanden.—-Das Interview führte Mark Schrörs.