"Die EZB manövriert sich in eine Sackgasse"

Ökonomen warnen vor zu später Korrektur der lockeren Geldpolitik - Neue Tektonik der Volkswirtschaften erschüttert Lehrbuchwissen

"Die EZB manövriert sich in eine Sackgasse"

Das Streben der EZB nach einer Punktlandung beim Inflationsziel gefährdet ihre eigene Glaubwürdigkeit, weil die eingesetzten Instrumente hierfür untauglich sind oder gar kontraproduktiv wirken. Außerdem wächst sie damit zunehmend in die Rolle des Staatsfinanzierers hinein, fürchten Top-Ökonomen auf dem Finanzmarkt-Roundtable in Frankfurt und fordern einen zügigen Kurswechsel.Von Stephan Lorz, FrankfurtDas Festhalten der Europäischen Zentralbank (EZB) am Inflationsziel von knapp unter 2 % ist eine heikle Angelegenheit: Zum einen wird immer deutlicher, dass sich ihr Einfluss auf die Teuerung in Grenzen hält. Sowohl eine potenzielle Anpassung des Ziels nach unten als auch dessen offenkundige Unerreichbarkeit zehren an ihrer Glaubwürdigkeit. Zum anderen zeigen sich an immer mehr Stellen die Kollateralschäden der ultralockeren Geldpolitik (Preisverzerrungen, Blasenbildung, Verteilungseffekte), und es wird offenkundig, dass manche der eingesetzten Instrumente sogar unmittelbar kontraproduktiv wirken. Ein zeitiger Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik ist nach Meinung der Podiumsteilnehmer am Finanzmarkt-Roundtable deshalb zwingender denn je, die hartnäckige Verweigerung der EZB umso unverständlicher.Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW), die DekaBank und die Börsen-Zeitung hatten zu dieser inzwischen 20. Auflage der Veranstaltung geladen. IW-Direktor Michael Hüther sieht sowohl unter konjunkturellen als auch unter monetären Aspekten keinen Hinderungsgrund mehr für einen Exit aus dem “Quantitative Easing” (QE) der EZB. Trotz diverser politischer Schocks und Unsicherheiten zeigten sich die Märkte stabil und die Konjunktur robust. Unverständnis über die Verweigerung der EZB äußerte auch Hans-Jörg Naumer, Global Head of Capital Markets bei Allianz Global Investors (AGI). “Die EZB krault uns den Rücken und säuselt, dass wir uns keine Sorgen machen sollen, bleibt aber bei ihrer expansiven Rolle – das ist verstörend und verunsichert eher.” Sichere Assets weiter knappDeka-Chefvolkswirt Ulrich Kater hält Befürchtung der EZB vor Zinsverwerfungen im Falle eines Ausstiegs aus den Anleihekäufen für unbegründet. Wenn die Notenbanken keine Anleihen mehr erwerben, würde das von anderen Finanzmarktteilnehmern sogar eher begrüßt. Sie würden sich “die Finger danach lecken”, weil sichere Assets auch in Zukunft noch knapp blieben. Er verweist auf die Verlängerung der Lebensarbeitszeit, die Sparüberschüsse in den Emerging Markets und der wohl weitgehend ausbleibenden demografisch bedingten Endsparphase. Der Löwenanteil der Vermögen befinde sich inzwischen in Händen von reichen Menschen, die Endsparen nicht nötig hätten. Obendrein würden mittlerweile auch viele Unternehmen eine positive Sparbilanz aufweisen und vermehrt Anlagekapital nachfragen.Draghi sollte sich nach Meinung von AGI-Ökonom Naumer auch deshalb keine Sorgen um das Erreichen des Inflationsziels machen, weil zum einen nie intendiert gewesen sei, dass die 2 % ein Punktziel darstellen. Da die EZB das Inflationsziel aber “wie eine Monstranz” vor sich hertrage, müsse sie sich dann auch gefallen lassen, daran gemessen zu werden. Das habe sie sich dann selbst zu zuschreiben. Die Bundesbank hätte damals mit den zwei Säulen Geldmenge und Inflation stets die Möglichkeit gehabt, in der Argumentation pragmatisch zu wechseln. Zum anderen ist seiner Meinung die Gefahr ohnehin viel größer, dass die Notenbank von der Teuerung “auf dem falschen Fuß erwischt” wird. Nicht die Inflation sei schließlich das Entscheidende, sondern “der Preis des Geldes”, der für Verwerfungen in der Volkswirtschaft sorge.IW-Finanzmarktökonom Markus Demary warnt die EZB vor einer Selbstüberforderung. Ihr müsse klar sein, dass sie mit QE zwar Wachstum schaffen könne, aber keine Inflation. Hier seien andere Kräfte außerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches am Walten. Die durch die Geldpolitik gesunkenen Finanzierungskosten wirkten sich sogar eher inflationsdämpfend aus, weil die Unternehmen keinen Preisdruck verspürten. Wolle die EZB Inflation erzeugen, so habe die Geschichte gezeigt, gehe das vor allem über die Staatsfinanzierung. Das sei ihr aber streng verboten. Die EZB habe sich “in eine Sackgasse manövriert”.Vielleicht, mutmaßt IW-Direktor Hüther, soll das Beharren auf dem Inflationsziel aber auch nur einfach von der Staatsfinanzierung ablenken, die längst im Gange sei. Zunehmend dränge die EZB unter der Überschrift “Stabilisierung des Finanzsystems” auch in der Privatwirtschaft in die Rolle des Financiers. Künftig könnten dann immer mehr Sektoren auf die Finanzierung durch die Notenbank angewiesen sein, was ihr eine völlig neue Rolle überstülpe. Hüther: “Das hatte man früher nur von Bananenrepubliken gekannt!” Abhängigkeiten nehmen zuDeka-Chefvolkswirt Kater lenkt den Blick in diesem Zusammenhang auf den nächsten Abschwung. Die Fiskalpolitik werde die Notenbank in der Not dann noch stärker in die Finanzierungsrolle zwingen. Damit aber würden “die Abhängigkeiten von der Geldpolitik immer größer”. Die Notenbank, so Naumer, mutiere insofern zusehends vom “lender of last resort” zum “spender of last resort”. Das ändere die Tektonik der Volkswirtschaft grundlegend und beschwöre neue Gefahren herauf.