IM INTERVIEW: VOLKER WIELAND

"Die EZB muss den Fuß jetzt vom Gas nehmen"

Der Wirtschaftsweise über einen nötigen Kurswechsel der Euro-Hüter, Chancen und Risiken von Trumps Plänen und die Zukunft der Eurozone und Deutschlands

"Die EZB muss den Fuß jetzt vom Gas nehmen"

– Herr Professor Wieland, Sie haben die US-Notenbankspitze beraten und für die Europäische Zentralbank (EZB) geforscht. Wenn EZB-Präsident Mario Draghi Sie jetzt anrufen und um Rat bitten würde – was würden Sie ihm empfehlen?Tatsächlich hat der Sachverständigenrat bei der Vorbereitung des Jahresgutachtens Gelegenheit für Treffen mit der EZB bekommen. EZB-Präsident Draghi ist zumeist dabei. Es gibt also einen Austausch. Wir haben im Herbst unsere Einschätzung vorgestellt, dass die EZB die Anleihekäufe verlangsamen und auslaufen lassen sollte.- Und das wäre auch heute noch der Rat – dass die EZB aus dem Wertpapierkaufprogramm (Quantitative Easing, QE) aussteigt?Ja, absolut. Die wirtschaftliche Erholung und der Inflationsausblick sprechen dafür, dass die EZB die Aufkäufe schrittweise zurückführen sollte und noch in diesem Jahr beenden kann. Die jüngsten Konjunktur- und Inflationsdaten bestätigen das nur. Es ist Zeit, dass die EZB den Ausstieg einläutet und zulässt, dass die mittel- und längerfristigen Zinsen anziehen.- Der EZB-Rat hat aber erst im Dezember beschlossen, QE über März 2017 bis Dezember 2017 hinaus zu verlängern, wenn auch ab April mit einem monatlichen Kaufvolumen von 60 Mrd. Euro statt 80 Mrd. Euro.Das passt nicht zum aktuellen Wachstums- und Inflationsausblick im Euroraum. Geldpolitik reagiert üblicherweise auf ein verbessertes Wirtschaftswachstum und Preisauftrieb. Selbst wenn man frühere Reaktionen der EZB auf Wachstums- und Inflationsprognosen als Maßstab nimmt, fällt die umfangreiche quantitative Lockerung seit 2014 aus dem Rahmen. So hat eine Reaktionsfunktion, die die Leitzinsänderungen bis 2014 sehr gut erklärt hat, seit 2014 keine Notwendigkeit für Lockerungsmaßnahmen signalisiert, sondern eher eine straffere Politik. Stattdessen hat die EZB eine massive Lockerung umgesetzt. Bereits im März 2017 wird sie ihre Bilanz verdoppelt haben relativ zu 2014. Das sind 2 000 Mrd. Euro, 20 % des Euroland-Bruttoinlandsprodukts – hauptsächlich durch Staatsanleihenkäufe.- Die EZB argumentiert, dass die Inflation gemessen an ihrem 2-%-Ziel immer noch zu niedrig sei, vor allem die Kerninflation ohne Energie und Lebensmittel, und dass die politische Unsicherheit immens sei.Wir berücksichtigen in unserer Einschätzung die aktuelle Teuerung und den Inflationsausblick. Im Übrigen hat sich die Kernrate der Verbraucherpreise in den vergangenen zwölf Jahren nur wenig bewegt, zwischen knapp unter 1 % und knapp unter 2 %. Damit lässt sich schon die massive Lockerung seit 2014 kaum begründen. Zuletzt ist die Rate ohne Energie von 0,8 % auf 1 % gestiegen. Wir fordern ja nicht, dass die EZB zu einer Politik wechseln soll, die die Wirtschaft bremst. Eine Geldpolitik, die die Konjunktur unterstützt, ist durchaus noch gerechtfertigt. Aber eben nicht in diesem massiven Ausmaß. Die EZB muss den Fuß jetzt vom Gas nehmen. Wenn die Geldpolitik sogar noch expansiver ist, als es traditionelle Benchmarks wie die Taylor-Regel nahelegen, besteht sogar mehr Spielraum zu straffen.- Und die politische Unsicherheit?Dieser Hinweis überzeugt mich nicht. Natürlich gibt es politische Risiken. Es ist aber ebenso möglich, dass sich die Wirtschaft besser als erwartet entwickelt. Nehmen Sie das Brexit-Votum oder die US-Wahl: Da gab es große Befürchtungen, doch die Wirtschaft lief dann viel besser als gedacht, teils besser als vorher. Noch einmal: Die bisherige Wachstums- und Inflationsentwicklung rechtfertigen es, das Volumen der Aufkäufe zu reduzieren und damit die Zinsen auf mittel- bis längerfristige Anleihen entsprechend der Marktnachfrage steigen zu lassen. Im Übrigen dürfen die Risiken dieser Politik für die Finanzstabilität und die Reformpolitik im Euroraum nicht ausgeblendet werden.- Die EZB hält dem entgegen, dass es derzeit keine Anzeichen gebe, dass sich Finanzstabilitätsrisiken materialisierten, und dass es nicht ihre Aufgabe sei, Druck auf die Regierungen zu machen.Ich finde es schon sehr bemerkenswert, wie gering die EZB Gefahren für die Finanzstabilität einschätzt, beziehungsweise wie sicher sie zu sein scheint, diese mit makroprudenziellen Maßnahmen abwenden zu können. Nehmen Sie nur die Kreditvergabe der Banken zu langfristig niedrigen Zinsen. Da bauen sich enorme Zinsänderungsrisiken in den Bankbilanzen auf. Gegen die geldpolitische Lockerung würden straffere makroprudenzielle Maßnahmen nicht viel ausrichten können, und sie werden bisher auch nicht eingesetzt. Hinzu kommt die Fehlallokation von Kapital. Die Immobilienpreisentwicklung in Deutschland etwa liegt oberhalb der Benchmarks, die die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) entwickelt hat. Das ist zumindest ein Warnsignal. Und was schließlich die Reformpolitik betrifft: Die EZB muss die Anreize berücksichtigen, die sie für die Fiskal- und die Strukturpolitik setzt – zumindest insoweit sich eine langfristig negative Wirkung der Geldpolitik ergeben kann.- Und da setzt sie falsche Anreize?Die EZB hat bereits in der Vergangenheit starken Druck auf Regierungen ausgeübt. Erinnern Sie sich an den Brief, den der frühere Präsident Jean-Claude Trichet 2011 an die italienische Regierung geschrieben hat, oder die Beschränkung der Notfallliquidität in Griechenland. Und Präsident Draghi mahnt regelmäßig Konsolidierung und Strukturreformen an. Die Staatsanleihenkäufe haben jedoch die gegenteilige Wirkung: Sie nehmen sehr viel Druck von den Regierungen. Sie reduzieren den Anreiz, die nötigen Reformen anzugehen. Die EZB beschwert sich über mangelnden Reformeifer, während ihre Staatsanleihenkäufe dieses Verhalten begünstigen.- Ist die EZB zu politisiert?Das ist ein beladenes Wort; so würde ich es nicht formulieren. Allein politische Risiken in den Vordergrund zu stellen ist jedoch zu asymmetrisch. Die EZB hat für ihren Kurs derzeit sehr viel politische Unterstützung im Euroraum. Das wird sich jedoch schnell ändern, wenn sie einmal versucht auszusteigen. Dann wird sie die Unterstützung von Kritikern wie uns brauchen.- Befindet sich die Eurozone bereits in einem Regime der “fiskalischen Dominanz”, in der die Geldpolitik faktisch gezwungen ist, die Solvenz der Staaten zu sichern, und die Preisstabilität sekundär ist?Das ist auf jeden Fall eine große Gefahr. Dessen ist sich übrigens auch die EZB bewusst. 2012 hat Draghi bei der Ankündigung des OMT-Programms gesagt, das einzige, was zwischen OMT und fiskalischer Dominanz stehe, sei die Konditionalität durch ein ESM-Programm. QE ist jetzt geldpolitisch begründet. Aber natürlich hat QE enorme Auswirkungen auf die Finanzierungsbedingungen der Staaten. Die EZB ist der dominante Akteur, ihre Politik verzerrt die mittel- und langfristigen Zinsen. Die mittel- und langfristigen Renditen liegen auf Niveaus, die überhaupt nicht zum Wachstums- und Inflationsausblick passen, und die Risikoprämien sind von der Geldpolitik stark beeinflusst.- Wenn Sie von Risiken der ultralockeren Geldpolitik sprechen – ist auch Inflation eines? In Deutschland hat sich die Teuerung im Dezember unerwartet stark beschleunigt – von zuvor 0,7 % auf 1,7 %. Das hat bei vielen Deutschen schon wieder Inflationsangst ausgelöst.Zunächst einmal: Die Inflation ist nie stark gefallen oder war gar ganz weg. Im Euroraum lag die Kerninflation immer nahe 1 %, und der BIP-Deflator, der die Preise der im Euroraum produzierten Güter und Dienstleistungen misst, lag in den vergangenen fünf Jahren meist noch etwas darüber – und in Deutschland übrigens von 2013 bis 2015 bei 2 %. Die Gesamtrate der Verbraucherpreise hat wegen des Ölpreisverfalls stark geschwankt. Die geldpolitische Lockerung könnte demnach als eine Reaktion auf den Ölpreis beschrieben werden. Wenn der EZB-Zielwert für die Verbraucherpreise von unter, aber nahe 2 % nun noch für einige Zeit unterschritten wird – was ist das Problem? Eine Gefahr wäre, wenn das Vertrauen in die EZB verloren ginge, es eine Entankerung der Inflationserwartungen gäbe. Wer sich aber die EZB-Forschung genau anschaut, sieht, dass selbst diese zu dem Schluss kommt, dass es eine solche Entankerung nicht gibt.- Und jetzt, besteht die Gefahr, dass die Inflation etwa in Deutschland außer Kontrolle gerät?Die Gefahr, dass die Inflation überschießt, ist sicher regional unterschiedlich groß. Deutschland steuert in eine Überauslastung hinein. Da kann die Inflation auch mal schnell deutlich zulegen. Zugleich wird der Preisauftrieb in Deutschland aber abgemildert durch Faktoren wie die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt. Das bremst den Lohnanstieg und den Preisauftrieb. Da verstehe ich im Übrigen auch nicht die Sorge der EZB über den schwachen Lohnauftrieb.- Was meinen Sie genau?Wenn Menschen aus Nicht-Euro-Ländern oder Euro-Krisenländern nach Deutschland kommen, um hier Arbeit zu finden, ist das langfristig doch positiv – auch wenn es die Inflation bremst. Aber noch einmal zurück zu Ihrer Frage: Ich kann derzeit nicht erkennen, dass die Menschen ihre Inflationserwartungen stark nach oben korrigieren, weil sie denken, dass die Notenbank die Staatskassen alimentiert. Für Alarmismus bei der Inflation besteht also aktuell kein Grund.- Aber für die Sparer wird es selbst bei 1,5 % bis 2 % Inflation bitter, wenn die Zinsen bei null liegen.Das stimmt. Für die Sparer stehen extrem ungemütliche Zeiten ins Haus, weil der Realzins immer weiter unter null fällt. Das ist im Übrigen auch wieder ein Argument für den Ausstieg: Die Geldpolitik wird durch die Inflation immer expansiver, weil diese den Realzins drückt.- Befürchten Sie, dass die EZB und ihre Politik zum großen Thema im Bundestagswahlkampf werden?Das kann schon passieren. Der Euro ist sicher ein Thema. Man kann der EZB aber auch nicht sagen, dass sie ihre Politik am deutschen Wahlkampf ausrichten soll.- Wird es irgendwann wieder ein Regime geben, in dem der Zins das zentrale Instrument der Geldpolitik ist, oder sind Instrumente wie Anleihekäufe die “neue Normalität”?Es muss eine Rückkehr zu diesem Regime geben. Das einzige Argument dagegen wäre, dass wir uns in einer Situation befinden, in der das Wachstum so schwach ist, dass der Gleichgewichtszins dauerhaft null oder negativ ist – also eine säkulare Stagnation. Dafür sehen wir keinerlei empirische Evidenz. Auch die Lage in Deutschland mit Vollauslastung und die Prognosen der EZB für den Euroraum passen nicht dazu.- Ein zweites großes Thema in diesen Tagen ist der Machtwechsel in den USA, hin zu Donald Trump. Die Finanzmärkte und viele Wirtschaftsakteure scheinen euphorisiert durch die Pläne Trumps etwa für höhere Fiskalausgaben, Steuersenkungen und Deregulierung. Ist das angemessen oder übertrieben?Man muss schon befürchten, dass dieser Optimismus zumindest in Teilen übertrieben ist. Aber ehrlicherweise weiß man immer noch nicht genau, was Trump nun tun wird. Wenn er einen harten protektionistischen Kurs steuern würde – Austritt aus der WTO, breite Erhöhung der Importzölle -, wäre das fatal. In der Großen Depression der 1930er Jahre gab es eine Protektionismuswelle, und das hat alles schlimmer gemacht. So etwas muss jetzt unter allen Umständen vermieden werden. Die Republikaner sind aber traditionell Verfechter des Freihandels. Deswegen hege ich die Hoffnung, dass derartige Gesetzesentwürfe im Kongress gestoppt würden.- Und wie schätzen Sie die anderen Ansätze Trumps ein?Wenn er Steuern dauerhaft senkt, dürfte das Wachstum nicht nur kurzfristig, sondern dauerhaft steigen. Auch eine Deregulierung der Wirtschaft hätte sicherlich positive Folgen für das Wachstum. Was höhere Staatsausgaben betrifft, kommt es aufs Detail an. Investitionen würden sicher positiv wirken. Wenn Trump nur diskretionär den staatlichen Konsum befeuert, dürfte das wieder verpuffen. Man muss auch sagen: Aus konjunktureller Sicht benötigt die USA kein großes Konjunkturprogramm. Die Wirtschaft ist nahezu voll ausgelastet. Wenn etwas nötig ist, dann solche Maßnahmen, die langfristig die Anreize und das Umfeld zum Wirtschaften verbessern. Die Staatsschulden massiv zu erhöhen hilft dabei nicht.- Wie nachhaltig ist der Aufschwung in den USA? Einige Kritiker monieren, dieser sei auf Pump finanziert und am Häusermarkt gebe es erneut Übertreibungen.Ich bin durchaus optimistisch. Die US-Wirtschaft steht ganz gut da. Die Entwicklung am Arbeitsmarkt ist sehr positiv. Dass die Fed die Zinserhöhungen fortsetzt, ist ebenso ein Beleg dafür. Die Immobilienpreise sind nicht so hoch, dass man von einer neuen Blase sprechen könnte. Zudem ist die US-Wirtschaft immer noch eine sehr flexible, dynamische Wirtschaft. Ein Problem ist sicher die hohe Staatsverschuldung. Die US-Politik sollte die Staatsfinanzen konsolidieren.- Für Europa und die Eurozone wird 2017 ein herausforderndes Jahr, mit Wahlen in Frankreich, Deutschland und vielleicht Italien. Wie groß ist die Gefahr, dass die Währungsunion auf die nächste existenzielle Krise zusteuert?Die Eurozone ist noch nicht aus der existenziellen Krise herausgekommen. Es gibt eine wirtschaftliche Erholung, die zu einem guten Teil durch die lockere Geldpolitik getrieben ist. Zudem gibt es einige Fortschritte wie die Bankenunion. Viele strukturelle Schwächen der Eurozone und in den Euro-Ländern sind jedoch ungelöst. Italien ist da sicher ein Extremfall: Das Pro-Kopf-Einkommen ist seit Beginn der Währungsunion nicht gestiegen und in der Krise deutlich gefallen. Das ist sehr deprimierend, und deswegen kann man auch gut verstehen, dass die Leute genug haben und sagen, etwas muss sich ändern, und dass sie etablierten Politikern nicht mehr vertrauen. Das ist ein Pulverfass.- Das bald explodiert?Aktuell bietet die EZB mit ihren Staatsanleihekäufen eine Art Schutzschild für Italien. Ähnlich gilt dies für Portugal, wo die richtige Politik der vergangenen Jahre teilweise zurückgedreht wird. Geldpolitik kann aber nicht als dauerhafter Schutzschild für die Euro-Staaten dienen. Die Käufe der EZB können nicht einfach immer weiter fortgesetzt werden, nur damit sich die Risiken, die Marktteilnehmer bei einzelnen Ländern sehen, nicht an den Anleihemärkten niederschlagen. Dass die existenzielle Krise fortdauert, bedeutet nicht, dass die Geldpolitik nicht angepasst werden darf. Wenn es wie jetzt eine wirtschaftliche Erholung gibt, müssen der Zins oder andere geldpolitische Instrumente angepasst werden. Wenn die EZB auf diese Entwicklung selbst längerfristig nicht reagieren würde, würde sie letztlich selbst zur Destabilisierung der Eurozone beitragen.- Erwarten Sie, dass es zu Austritten aus dem Euro kommt?Es ist eine große Gefahr, dass in Ländern, die die nötigen strukturellen Anpassungen nicht schaffen, irgendwann politische Kräfte an die Macht kommen, die die politische Reißleine ziehen und sagen: Wir versuchen unser Glück außerhalb des Euro. In Griechenland war es so weit, aber dann sind sie doch zurückgeschreckt. Bei einem großen Land wie Italien kann das irgendwann anders aussehen.- Einige Beobachter sagen, Deutschland müsse aus dem Euro raus, weil es wirtschaftlich zu stark sei.Wenn Sie in einem Team spielen und Sie wollen gewinnen, sagen Sie dann, der stärkste Mitspieler nervt, und setzen Sie ihn auf die Ersatzbank? Nein, es ist genau anders herum: Die anderen Länder müssen schauen, dass sie wieder stärker werden. Und vielleicht ist auch der deutsche Spieler gar nicht so stark, wie es scheint. Die Wirtschaft ist unter anderem getrieben von der massiven geldpolitischen Lockerung, dem extrem niedrigen Zinsumfeld und dem schwachen Wechselkurs. Sobald die EZB die Geldpolitik normalisiert – nicht mit Blick auf Deutschland, sondern wegen der Situation im Euroraum – würde auch die deutsche Wirtschaft weniger überragend aussehen. Und schließlich: Wie glaubwürdig wäre die Eurozone ohne Deutschland?- Als finanzstärkstem Akteur?Wenn die EZB irgendwann aufhört, Staatsanleihen zu kaufen, könnte es passieren, dass Italien ein ESM-Programm braucht. Das sichert eine Finanzierung zu sehr günstigen Konditionen. Das funktioniert aber nur, weil Deutschland mit dahintersteht. Deutschland ist derzeit der Glaubwürdigkeitsanker der Eurozone.- Läuft es in der Eurozone auf die Frage hinaus: entweder eine richtige politische und fiskalische Union oder ein Ende des Euro?Eine politische oder fiskalische Union kann funktionieren, muss aber nicht. Selbst bei dieser Lösung müssten die hoch verschuldeten Staaten konsolidieren, und es bräuchte Regeln sowie Disziplin. Eine Fiskalunion ist ganz sicher kein Allheilmittel, das alle Probleme löst. Viel wichtiger aber: Ich sehr derzeit keine Chance für eine solche Vertiefung. Die Menschen wollen das nicht. Wer jetzt Druck macht in Richtung einer politischen oder fiskalischen Union, der hilft nur dabei, dass in Frankreich Marine Le Pen oder in Italien die 5-Sterne-Partei an die Macht kommen. Deswegen plädieren wir als Sachverständigenrat für ein Maastricht 2.0.- Eine Rückbesinnung auf den Maastricht-Vertrag mit seinen Defizit- und Schuldenregeln.Maastricht 2.0 ist aus unserer Sicht der Weg, um den Euro zu erhalten. Es geht darum, Schwachstellen zu beseitigen und das, was schiefgelaufen ist, besser zu machen: Die Nichtbeistandsklausel muss gestärkt werden. Die Geldpolitik darf keine Hilfen für die Mitgliedstaaten ohne Konditionalität geben. Die Bail-in-Regeln müssen konsequent umgesetzt werden und nicht gleich beim ersten Ernstfall über Bord geworfen werden. Es braucht einen klaren Prozess zur Restrukturierung von Staatsschulden. Als Sachverständigenrat haben wir einen Vorschlag unter Einbindung des ESM vorgelegt. Das wäre kein deutscher Sonderweg, sondern deckt sich in vielem mit dem, was der Internationale Währungsfonds (IWF) weltweit vorschlägt.- Im Jahresgutachten haben Sie und Ihre Kollegen postuliert, es sei “Zeit für Reformen”. Wahlkampfzeiten sind aber eher Unzeiten für Reformen. Wie groß ist Ihre Sorge, dass sich Deutschland zu sehr auf dem Erreichten ausruht?Die deutsche Wirtschaft steht alles in allem gut da. Das Gleiche gilt für die Staatsfinanzen. Da ist es wenig verwunderlich, dass mehr umverteilt wird. In der Ausgabenpolitik konnte bislang mit der Leitlinie “Schwarze Null” das Schlimmste verhindert werden. Es ist zu hoffen, dass es Finanzminister Wolfgang Schäuble gelingt, auch in Zukunft übertriebene Begehrlichkeiten abzuwehren. Da die deutsche Wirtschaft in die Überauslastung hineinsteuert, wäre es sinnvoll, sprudelnde Steuereinnahmen zu verwenden, um Schulden zu reduzieren. In guten Zeiten spart man für schlechte. Außerdem würden solche Steuersenkungen, die das Wirtschaftspotenzial stärken, einer Überauslastung entgegenwirken. In der Rentenpolitik ist zu befürchten, dass im Wahlkampfjahr 2017 schon die nächsten Wahlgeschenke auf den Weg gebracht werden Zudem ist Hochkonjunktur für direkte Markteingriffe – ob nun Mindestlohn oder Mietpreisbremse. Auch die Lösung für den Länderfinanzausgleich ist nicht gut. Die Umverteilung wird noch stärker verschleiert. Das ist einem guten Wirtschaften nicht förderlich. All diese Entwicklungen sind gefährlich für die Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.- Ist Deutschland zu selbstgefällig?Die deutsche Wirtschaft hat im Zuge der Weltfinanzkrise unter dem Einbruch des Welthandels gelitten. Als dieser sich wieder erholte, konnte sie mit der bestehenden Struktur weiter wachsen. Es gab keine tiefere Krise in der Wirtschaft, die einen radikalen Umbau nötig gemacht hätte. Das ist aber keine Garantie für die Zukunft. Nur ein Beispiel: Deutschland könnte den Anschluss bei der elektronischen Mobilität verpassen. Wir ruhen uns in Deutschland derzeit zu sehr darauf aus, was wir in der Vergangenheit erreicht haben.—-Das Interview führte Mark Schrörs.