EZB-STRATEGIE AUF DEM PRÜFSTAND

Die EZB und der Klimawandel

Lagarde dringt auf aktivere Rolle der Zentralbank - Weidmann warnt bei "grünem QE" vor Überforderung

Die EZB und der Klimawandel

Die neue EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat klargemacht, dass sie die EZB-Strategie auf den Prüfstand stellen will. Dabei dürfte es vor allem um das Inflationsziel und die Wege zur Erreichung dieses Ziels gehen. Lagarde will aber noch etwas diskutieren: die Rolle der EZB im Kampf gegen den Klimawandel. Von Mark Schrörs, FrankfurtDie Botschaft ist eindeutig: “Jeder Stein muss herumgedreht werden und jede Option muss geprüft werden”, sagte die neue EZB-Präsidentin Christine Lagarde Anfang vergangener Woche bei ihrer ersten Anhörung in neuer Funktion vor dem EU-Parlament, als es um die avisierte Überprüfung der EZB-Strategie ging. Zwei Prinzipien würden diesen Prozess leiten: “gründliche Analyse und Aufgeschlossenheit”.Lagarde, die Anfang November bei der Europäischen Zentralbank (EZB) das Zepter von Mario Draghi übernommen hat und die morgen ihre erste Zinssitzung leitet, will gleich zu Beginn ihrer Amtszeit die erste grundlegende Überprüfung der EZB-Strategie seit dem Jahr 2003 initiieren. Sie folgt damit auch dem Vorbild der US-Notenbank Fed, die derzeit ihr Tun grundsätzlich hinterfragt.Die Überprüfung 2003 hatte vor allem darin gemündet, die EZB-Definition von Preisstabilität klarzustellen und den Referenzwert für das Wachstum der Geldmenge M3 fallen zu lassen. Auch jetzt zeichnet sich ab, dass der Zielwert für die Inflation im Mittelpunkt der Diskussion stehen wird – samt der Frage nach der Symmetrie des Ziels, ob also Inflationsraten unterhalb des Ziels genauso bekämpft werden wie jene oberhalb (vgl. u. a. BZ vom 29. November und siehe Texte unten auf dieser Seite).Zugleich hat Lagarde aber ein Thema in den Fokus gerückt, dass 2003 noch keine Rolle gespielt hat: der Kampf gegen den Klimawandel und die Rolle der EZB und der Geldpolitik.Lagarde, die bereits als Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) den Klimawandel zu einer Priorität erklärt hatte, hat klargemacht, dass sie da auch eine neue Rolle und besondere Verantwortung für die EZB sieht (vgl. u. a. BZ vom 5. September). Klimarisiken müssten zum Kern der Mission jeder Institution gehören. “Das primäre Mandat ist natürlich Preisstabilität. Aber es muss berücksichtigt werden, dass Klimawandel und Umweltrisiken entscheidend für die Aufgabe sind”, sagte Lagarde im September bei ihrer Nominierungsanhörung. Große ErwartungenMit ihren Aussagen hatte sie mindestens Erwartungen geschürt, die EZB könne etwa ihre Wertpapierkäufe (Quantitative Easing, QE) an Klimazielen ausrichten und etwa bevorzugt grüne Anleihen erwerben. Das Eurosystem hat seit Anfang 2015 Wertpapiere für rund 2,6 Bill. Euro gekauft. Anfang November hat es die Ende 2018 vorübergehend beendeten QE-Nettokäufe wieder aufgenommen und erwirbt aktuell Papiere für rund 20 Mrd. Euro pro Monat.Tatsächlich forderten jüngst bereits 164 Wissenschaftler und Organisationen der Zivilgesellschaft in einem offenen Brief an Lagarde, dass die EZB Anleihen von Umweltverschmutzern in ihrer Bilanz abstoßen und somit aktiv einen Betrag für den Umweltschutz leisten solle. Die EZB, die im Zuge von QE auch Unternehmensanleihen erwirbt, sollte sich “dazu verpflichten, kohlenstoffintensive Vermögenswerte schrittweise aus ihren Portfolios zu streichen”. Dahinter steht auch der Vorwurf, das Anleihekaufprogramm in seiner jetzigen Ausgestaltung begünstige CO2-intensive Unternehmen.Im EZB-Rat stoßen solche Bestrebungen aber zumindest zum Teil auf Widerstand. Zwar sind viele Notenbanker überzeugt, dass die Klimarisiken makroökonomische Größen wie die Inflation beeinflussen können und deswegen in Modellen berücksichtigt werden müssen. Zudem sehen viele die Zentralbanken als Bankenaufsicht und Wächter der Finanzstabilität gefordert. Eine explizite Ausrichtung der Geldpolitik am Klimawandel betrachten aber zumindest einige von ihnen äußerst skeptisch. Bundesbankchef Weidmann etwa sagte jüngst, er sehe so etwas “sehr kritisch”. Die Geldpolitik drohe mit umweltpolitischen Zielen “überfrachtet” zu werden.Mit einer Art “grüner Geldpolitik” oder einem “grünen QE” würde die EZB in jedem Fall einen anderen Weg einschlagen als andere große Zentralbanken: Die Fed oder auch die Bank of England lehnen das bislang ab. Unlängst hatte auch der Chefvolkswirt der Zentralbank der Zentralbanken BIZ, Claudio Borio, im Interview der Börsen-Zeitung gesagt (vgl. BZ vom 22. November): “Der Kampf gegen den Klimawandel ist in erster Linie Aufgabe der Politik.” Richtschnur bleibe das Mandat.Bei ihrer Anhörung im EU-Parlament in der Vorwoche klang Lagarde nach Einschätzung von Beobachtern bereits vorsichtiger als noch im September. Sie betonte etwa, dass am Ende der EZB-Rat entscheiden müsse. Zugleich sagte sie aber auch, dass das selbst gesetzte Gebot der Marktneutralität bei den QE-Käufen zwar keine Bevorzugung spezieller Sektoren erlaube. Die geplante Strategieüberprüfung biete jedoch die Möglichkeit zu diskutieren, ob das geändert werden sollte, sagte Lagarde.