GASTBEITRAG

Die Folgen eines harten oder weichen Brexit

Börsen-Zeitung, 13.7.2019 In seiner 45-jährigen Mitgliedschaft in der Europäischen Union (EU) hat das Vereinigte Königreich in mehrerer Hinsicht wirtschaftlich profitiert: Die EU ist zurzeit der größte Handelspartner des Vereinigten Königreichs (53...

Die Folgen eines harten oder weichen Brexit

In seiner 45-jährigen Mitgliedschaft in der Europäischen Union (EU) hat das Vereinigte Königreich in mehrerer Hinsicht wirtschaftlich profitiert: Die EU ist zurzeit der größte Handelspartner des Vereinigten Königreichs (53 % der Importe und 44 % der Exporte), und der “Binnenmarkt” hat den freien Waren- und Personenverkehr ermöglicht. Abgesehen von der Unsicherheit darüber, ob das Vereinigte Königreich tatsächlich die EU verlässt, wird erwartet, dass der Brexit entweder zu einem “harten” oder einem “weichen” EU-Austritt führt – auch wenn diese Begriffe an sich nicht definiert sind. Die bisherige Premierministerin Theresa May hatte sich für einen weichen, geregelten Brexit eingesetzt, während der voraussichtlich neue Premierminister Boris Johnson für einen harten Brexit steht. Enge WirtschaftsbeziehungenEin weicher Brexit beschreibt eine Situation, in der das Vereinigte Königreich relativ enge Wirtschaftsbeziehungen zur EU aufrechterhält, weiter in den EU-Haushalt einzahlt und möglicherweise Personenfreizügigkeit zulässt. Mit einem “harten Brexit” sind dagegen in der Regel Arrangements gemeint, die die formellen Beziehungen des Vereinigten Königreichs zur EU grundlegend ändern würden. Wahrscheinlich würde ein harter Brexit den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Zollunion und dem Binnenmarkt sowie das Ende der Personenfreizügigkeit bedeuten. Unter diesem Szenario unterläge das Vereinigte Königreich den Handelsregeln der Welthandelsorganisation, die individuell mit dem Vereinigten Königreich neu ausgehandelt werden würden. Es gibt zahlreiche formelle Arrangements zwischen der EU und Nichtmitgliedstaaten wie Norwegen, Island, Liechtenstein und der Schweiz.Bei einem weichen Brexit würde das Vereinigte Königreich weiter Beiträge an die EU entrichten und auch Subventionen erhalten. Bei einem harten Brexit würde das Vereinigte Königreich dagegen seine Beitragszahlungen in den EU-Haushalt sofort einstellen. Unter Berücksichtigung der 7 Mrd. Euro an Subventionen, die das Vereinigte Königreich erhält, würde das im EU-Haushalt eine Lücke von 5 % bedeuten. Andere Mitgliedstaaten müssten dann mehr einzahlen, allen voran das größte EU-Mitglied Deutschland. Das Ifo-Institut schätzt die Kosten hierfür auf 2,5 Mrd. Euro – keine willkommenen Zusatzkosten angesichts der aktuellen Wachstumsschwäche in Deutschland.Eine Analyse der britischen Regierung hat ergeben, dass das britische Wirtschaftswachstum bei einem harten Brexit in den nächsten 15 Jahren um 8 % niedriger ausfiele als derzeit prognostiziert. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine Studie des National Institute of Economic and Social Research. Ihr zufolge würde ein harter Brexit über zehn Jahre zu einem um 5,3 % niedrigeren jährlichen Input führen als ein weicher Brexit. Die britische Wirtschaft wüchse sowohl 2019 als auch 2020 nur um 0,3 %, gegenüber 1,9 % bzw. 1,6 % bei einem weichen Brexit.Die Investitionen, eine wichtige Komponente des Wirtschaftswachstums, kämen unter Druck. Das gilt insbesondere für die ausländischen Direktinvestitionen (Foreign Direct Investment, FDI). Dies sind Investitionen eines Landes im Ausland. Sie steigern die nationale Produktivität und damit Produktion und Löhne, da multinationale Unternehmen ein besseres technologisches und unternehmerisches Know-how einbringen. Sie führen auch bei inländischen Unternehmen zu Verbesserungen, denn sie stärken die Lieferketten und intensivieren den Wettbewerb. Das Vereinigte Königreich hat einen FDI-Bestand von über 1 Bill. Pfund. Rund die Hälfte davon stammt aus EU-Ländern, übt doch die Aussicht auf leichten Zugang zur EU eine starke Anziehungskraft auf ausländische Investoren aus. Bei einem weichen Brexit würden die Auslandsinvestitionen anhalten. Bei einem harten Brexit könnten die FDI dagegen um 22 % zurückgehen. Irische GrenzeEin harter Brexit würde den Regionen an der irischen Grenze besonders stark zu schaffen machen. Zwischen der Republik Irland und Nordirland gibt es derzeit 110 Millionen Grenzübertritte pro Jahr. 30 000 Menschen pendeln täglich über die Grenze zur Arbeit. Diese Grenzübertritte erfordern keine Kontrollen, da beide Nationen den Arrangements der Europäischen Zollunion unterliegen.Es wird befürchtet, dass der Brexit zu mehr Verzögerungen und Kontrollen an den Grenzübergängen führen könnte. Deshalb wurde der umstrittenste Punkt im Abkommen von Theresa May, der nordirische “Backstop”, ersonnen. Er fungiert als Sicherheitsnetz, um die grenzüberschreitende Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten und das Karfreitagsabkommen zu schützen. Da die Republik Irland immer noch zur EU gehört, würde ein harter Brexit eine Grenze in irgendeiner Form erfordern, um zu verhindern, dass Waren und Personen die Grenze unkontrolliert passieren. Man fürchtet, dass dies für diejenigen, die zurzeit ungehindert vom einen Land zum anderen reisen, nicht akzeptabel wäre und zu Wut und möglicherweise Gewalt führen könnte. Während im Vereinigten Königreich und in der EU ein breiter Konsens darüber herrscht, dass die irischen Grenzübergänge ohne eine Form von Grenze offen bleiben müssen, sind entschiedene Brexit-Anhänger tief besorgt, dass der vorgeschlagene Backstop das Vereinigte Königreich auf unbestimmte Zeit an die Gesetze der Europäischen Zollunion binden würde. Weitreichende AuswirkungenUnabhängig von der Art des Abkommens, das letztlich geschlossen werden wird, wird der Brexit, wie schon bisher, weiterhin nachhaltige und weitreichende wirtschaftliche und soziale Auswirkungen haben – sowohl innerhalb als auch außerhalb des Vereinigten Königreichs. Ein weicher Brexit wäre unserer Erwartung nach für die Wirtschaft vergleichsweise positiv, da sich die bestehenden Beziehungen relativ wenig änderten. Bei einem harten Brexit erwarten wir drastischere Veränderungen gegenüber der aktuellen Situation, nämlich Handelsstörungen, weniger ausländische Direktinvestitionen und den Verlust von Subventionen. Die Schwierigkeiten durch bürokratische Kontrollen an den Grenzen werden den Waren- und Personenverkehr behindern und zusätzliche Kosten verursachen. Mark Burgess, Deputy Global CIO und CIO EMEA bei Columbia Threadneedle