ENDE DER GRIECHENLAND-HILFEN - ENDE DER EURO-KRISE? - IM INTERVIEW: CLEMENS FUEST

"Die Gräben in der Eurozone sind tief"

Der Ifo-Chef warnt vor den Gefahren durch Italien

"Die Gräben in der Eurozone sind tief"

Seit April 2016 ist Clemens Fuest Präsident des Münchener Ifo-Instituts. Der 49-Jährige gehört zu den prominentesten und meistzitierten Ökonomen in Deutschland. Auch in der Debatte über die Zukunft der Eurozone mischt er mit – und findet viel Gehör.- Herr Professor Fuest, als letztes der Programmländer verlässt Griechenland den Rettungsschirm der Euro-Partner. 2010 war Griechenland der Auslöser für die Euro-Krise. Ist mit dem Ende des Griechenland-Programms auch die Krise endgültig abgehakt?Leider nein. Die Eurozone trägt nach wie vor an den Folgen der Krise. Erstens ist die öffentliche Verschuldung in vielen Mitgliedstaaten heute deutlich höher als vor der Krise. Zweitens ist die Geldpolitik noch immer extrem expansiv ausgerichtet. Drittens, und das ist vielleicht noch wichtiger, hat die Krise die Politik in der Eurozone verändert. Sie hat die Währungsunion in Gläubiger- und Schuldnerländer geteilt. Diese Gräben sind tief. – Was sorgt Sie mit Blick auf Euroland aktuell denn am meisten?Italien. Das Land leidet unter einer Mischung aus politischen und wirtschaftlichen Problemen, die zusammen geeignet sind, die Lage weiter zu verschlechtern. Die seit vielen Jahren anhaltende wirtschaftliche Stagnation hat dazu geführt, dass eine Regierung gewählt wurde, die versprochen hat, die Krise durch das Verteilen von Wohltaten zu überwinden. Die Wähler haben sich an der Nase herumführen lassen und werden sicherlich sehr ärgerlich, wenn sie das merken – was nicht lange dauern wird.- Wie groß ist Ihre Sorge, dass Italien die Währungsunion als Ganzes wieder in die Krise stürzt?Es besteht die Gefahr, dass die italienische Politik die EU und den Euro für die wirtschaftlichen Probleme Italiens verantwortlich machen wird, um von eigenem Versagen abzulenken. Wenn Italien aus dem Euro austritt, wie es Europaminister Paolo Savona gefordert hat, wären die Folgen für die Wirtschaftsentwicklung im Euroraum und darüber hinaus schwer kalkulierbar. – Ist die Eurozone heute besser gewappnet, um mit einer Krise fertig zu werden?Das kommt auf die Art der Krise an. Finanzielle Probleme eines einzelnen kleinen Landes würden der Währungsunion heute weniger Probleme bereiten als 2010, als Griechenland in die Krise geriet. Heute gibt es mit dem ESM und der Bankenunion bessere Vorkehrungen gegen solche Krisen. Eine Rezession im Euroraum insgesamt wäre gefährlicher als vor der letzten Krise, weil die meisten Mitgliedstaaten sehr hoch verschuldet sind und kaum Spielräume haben gegenzusteuern. – Könnte am Ende, ähnlich wie 2012, erneut die Europäische Zentralbank (EZB) gezwungen sein, die Lage zu beruhigen – oder wären ihr die Hände gebunden, wenn ein Land wie Italien bewusst gegen EU-Regeln verstößt oder mit dem Euro-Austritt liebäugelt?Wenn die Krise entsteht, weil ein großes Land wie Italien gegen Verschuldungsregeln verstößt und mit dem Austritt spielt, könnte es sein, dass eine massive Kapitalflucht aus Italien den Austritt des Landes beschleunigt. Die EZB würde Italien dann vermutlich nicht helfen, wohl aber andere Mitgliedstaaten stützen, wenn es auch dort zu einer Kapitalflucht käme.- Welche Reformen sehen Sie als vordringlich und entscheidend an, um das Konstrukt Währungsunion dauerhaft zu stabilisieren?Stabilisierung der Währungsunion bedeutet zweierlei: Erstens ist dafür zu sorgen, dass es harte Budgetrestriktionen gibt, dass also einzelne Mitgliedstaaten anderen nicht in die Tasche greifen können. Kontrolle und Haftung gehören zusammen. Zweitens muss die Anfälligkeit der Eurozone für ökonomische Schocks reduziert werden. Für beides ist es entscheidend, die gegenseitige finanzielle Abhängigkeit zwischen den Mitgliedstaaten und ihren Banken zu reduzieren. Die Reform des Bankensystems hat für mich Priorität. Mit der europäischen Bankenunion sind erste Schritte getan, aber es fehlen Maßnahmen gegen Klumpenrisiken bei Staatsanleihen. – Ist eine stärkere Integration der Fiskalpolitik und eine stärkere Risikoteilung auch auf staatlicher Seite unverzichtbar, wie viele Experten argumentieren?Solange wir nationale Parlamente mit einem Budgetrecht haben, ist klar, dass die Kontrolle und die Verantwortung für die Fiskalpolitik primär bei den Mitgliedstaaten liegen. Schuldenregeln sind wichtig, aber gleichzeitig muss klar sein, dass Investoren, die Staatsanleihen kaufen, im Fall einer Staatspleite ihr Geld verlieren. Ohne den Druck der Märkte ist Fiskaldisziplin eine Illusion. – In Deutschland fürchten sich viele vor einer Transferunion und davor, das Deutschland für alles zahlen muss. Kritiker dieser Position betonen dagegen, dass Deutschland Hauptprofiteur der Währungsunion ist. Wie schätzen Sie das ein?Die Behauptung, Deutschland sei Hauptprofiteur der Währungsunion, ist Unfug – ebenso wie die Vorstellung, Deutschland sei wegen der Aufgabe der D-Mark der große Verlierer. Wir wissen nicht, wie Deutschland sich ohne den Euro entwickelt hätte. Das ist letztlich auch ein akademisches Problem. Praktisch relevant ist die Frage, ob wir den Euro weiterführen wollen oder nicht. Ich bin der Meinung, wir sollten versuchen, den Euro trotz aller Probleme doch noch zu einem Erfolg zu machen. – Hat die Eurozone am Ende womöglich das fundamentale Problem, dass es ganz unterschiedliche politische und auch wirtschaftspolitische Philosophien gibt, die schlicht nicht vereinbar sind?Ich bin nicht der Meinung, dass der Euro an unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Philosophien scheitern wird. Bei der Schaffung der Währungsunion sind leider massive und unnötige Fehler gemacht worden. Unter anderem hat man es trotz deutlicher Warnungen aus der Wissenschaft versäumt, sich ernsthaft mit dem Szenario von Banken- und Staatspleiten zu beschäftigen und entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Wenn wir diese Fehler korrigieren, kann der Euro gut funktionieren.- Wird es den Euro in zehn Jahren noch geben – auch inklusive aller Länder, die aktuell dazugehören?Das weiß niemand, aber ich halte es für wahrscheinlich. Aus dem Euro auszutreten, bringt für alle Beteiligten erhebliche Risiken und Schwierigkeiten mit sich. Ich nehme an, die meisten Regierungen werden davor zurückschrecken, wenn sie sich näher mit einem solchen Szenario befassen.—-Die Fragen stellte Mark Schrörs.