Die Haltung zum Finanzplatz spaltet die Parteien
Von Angela Wefers, Berlin
Deutschlands Wirtschaft hat in den nächsten Jahren enormen Finanzbedarf für Investitionen in Klimaschutz, Digitalisierung und die Modernisierung der Infrastruktur. Der Ausbau erneuerbarer Energien, die Mobilitätswende oder die Transformation hin zu einer umweltfreundlichen Industrieproduktion müssen finanziell von privaten Investoren gestemmt werden. Der Staat ist bei der Infrastruktur in der Pflicht. Wie soll die nächste Bundesregierung Sorge für die Finanzierung tragen? Die Parteien haben dazu unterschiedliche Vorstellungen. Bei allen geht es mit Blick auf den Investitionsbedarf aber vorrangig darum, ob dies Steuererhöhungen rechtfertigt, wie sie SPD, Grüne und Linke befürworten, und um eine höhere Nettokreditaufnahme des Bundes, als die Schuldenbremse erlaubt. Die Grünen wollen die Schuldenbremse lockern, die Linke will sie sogar komplett abschaffen.
Erstaunlich wenig beschäftigt die Wahlkämpfer die Frage, wie die Finanzierung der vor allem privaten Investitionen über den Kapitalmarkt hierzulande verbessert und der Finanzplatz im Wettbewerb gestärkt werden kann. Sicher ist, dass die deutsche Kreditwirtschaft diese große Aufgabe nicht allein wird schultern können, seit ihr die Politik nach der Finanzkrise 2008/2009 zu Recht ein deutlich engeres Regulierungskorsett verpasst hatte. Andere Akteure auf dem Kapitalmarkt sind gefordert.
Erleichternd für die Banken ist, dass sich nach der Rettungsaktion mit Steuergeldern vor mehr als einer Dekade das lang angespannte Verhältnis zur Regierung und den sie tragenden Fraktionen weitgehend normalisiert hat. Die Banken sind nun Teil der Lösung und nicht mehr Teil des Problems, hatten Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihnen beim Bankentag im April bescheinigt. Die Einsicht der politischen Führung in die gesamtwirtschaftlichen Vorteile eines stabilen Kreditsektors beweist sich auch in der Coronakrise: Die Unternehmenshilfen und die ausgesetzte Insolvenzpflicht hatten auch für Entspannung in den Bankbilanzen gesorgt.
Forderungen nach stärkerer Regulierung und mehr Kontrolle der Banken hatten noch bei den Bundestagswahlen 2009 und 2013 prominente Plätze in den Wahlprogrammen eingenommen. Schon 2017 aber war die Finanzmarktpolitik kaum noch ein Wahlkampfthema. Dies ist mit Ausnahme des Debakels um Wirecard auch aktuell so. Gleichwohl findet sich in den Wahlprogrammen brisanter Lesestoff. Auffällig starke Worte gegen Institute, die am internationalen Kapitalmarkt Finanzierungen begleiten, finden sich in den Wahlprogrammen der Linken, aber auch der Grünen. Beide plädieren für „Boring Banking“. Die Linke kündigt für den Fall einer Regierungsbeteiligung an, „kurzfristig ausgerichtetes Investment Banking, das nur in Betriebe investiert, um schnell hohe Renditen zu erzielen“, als Geschäftsfeld abzuwickeln. „Der überwiegende Teil des sogenannten Kapitalmarktgeschäfts der Banken folgt spekulativen Motiven“, schreibt die Partei. Dies diene weder Realwirtschaft noch Bevölkerung. Schattenbanken, außerbilanzielle Zweckgesellschaften, Derivate, Hedgefonds und Private-Equity-Gesellschaften „müssen aufgelöst oder streng reguliert werden“, fordert sie. Geschäftsbanken will sie wie Sparkassen auf das Gemeinwohl verpflichten.
Nicht allzu weit davon entfernt liegen die Grünen in ihrem Wahlprogramm. Auch sie wollen Kreditinstitute zerschlagen. Sie machen sich für ein Trennbankensystem stark, um das „riskante Investment Banking“ vom Kredit- und Einlagengeschäft abzuspalten. Den Investmentbanken bläst starkes Misstrauen entgegen: „Es braucht eine starke Fusionskontrolle, und zu große Banken sollen entflochten werden.“
Banken in Bürgerhand
Aber die Linke geht noch weiter; sie dringt auf Verstaatlichung: Eine „demokratische Kontrolle“ der Banken durch Beschäftigte, Gewerkschaften und öffentliche Hand soll die „Ressourcen“ der Institute nutzen, um „die Wirtschaft im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung zu lenken“, steht im Programm. Die volle Spannbreite des politischen Spektrums wird im Programm der FDP deutlich. Die Liberalen fordern den kompletten Rückzug des Staates aus dem Geschäftsbankensektor: „Von Beteiligungen an im Wettbewerb stehenden Banken wie zum Beispiel der Commerzbank oder den Landesbanken muss der Staat sich trennen.“
Deutliche Spuren hat der Wirecard-Skandal in den Wahlprogrammen hinterlassen. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz (SPD), der als Finanzminister in letzter Verantwortung die Rechts- und Fachaufsicht über die Aufsichtsbehörde BaFin ausübt, steht unter Druck. Der Kritik der Opposition hielt er bislang stand. Das SPD-Programm listet feinsäuberlich auf, wie die Kontrollkompetenz der BaFin nach dem Debakel gesetzlich gestärkt wurde. Der Opposition reicht dies nicht aus. Die FDP fordert, die BaFin neu aufzustellen und offenkundige Vollzugsdefizite zu beseitigen. Ähnlich halten es die Grünen, die eine „Finanzaufsicht mit Zähnen“ verlangen und der BaFin „klägliches Versagen“ quittieren. Für die Linke muss die BaFin mehr Wirtschaftsprüfer für eine eigenständige Bilanzkontrolle einstellen. Die Union macht sich einen schlanken Fuß. Sie schneidet das Thema gar nicht an.
Weitgehend einig sind sich Parteien, dass Bankenunion und Kapitalmarktunion in der EU vollendet werden müssen. Während CDU/CSU und FDP sich gegen eine gemeinsame Haftung in der europäischen Einlagensicherung der EU wenden, dringen die Grünen darauf. Scholz weist in seiner Rolle als Finanzminister Kritik zurück, Europa komme zu langsam voran. Das Feld habe „Top-Priorität“ für die Souveränität Europas, sei aber „schneller gesagt als gut gemacht“.
Zuletzt erschienen:
Europapolitik (3. September)
Energiepolitik (27. August)
Klimapolitik (20. August)