NOTIERT IN BRÜSSEL

Die Kennedys von Belgien

Es gibt verschiedene Indizien dafür, dass man alt geworden ist. Etwa, wenn man plötzlich dort Sonnenbrand bekommt, wo früher mal die Haare waren. Oder wenn im Bus Kinder aufstehen, um einem den Platz anzubieten. Oder wenn man in seiner Briefpost...

Die Kennedys von Belgien

Es gibt verschiedene Indizien dafür, dass man alt geworden ist. Etwa, wenn man plötzlich dort Sonnenbrand bekommt, wo früher mal die Haare waren. Oder wenn im Bus Kinder aufstehen, um einem den Platz anzubieten. Oder wenn man in seiner Briefpost nicht mehr Werbung für schnelle Autos findet, sondern für Elektrofahrräder. Oder wenn man die Sportschau einschaltet und von neuen Talenten in den deutschen Fußballligen erfährt, deren Namen einem verdammt vertraut sind. Zum Beispiel Bayern Münchens Verteidiger Gianluca Gaudino, der – na klar! – Sohn von Maurizio Gaudino. Dabei ist es doch eigentlich gar nicht so lange her, dass man den Vater noch bei der Eintracht oder bei Stuttgart hat spielen sehen. Oder neulich im Pokal bei den Freien Turnern Braunschweig, da stand Daniel Reck im Tor – der Sohn der Bremer Torwartlegende Oliver Reck (“Pannen-Olli”). Dessen zweiter Sohn Marc Philip trägt übrigens auch die Nummer 1 auf dem Rücken, und zwar beim Landesligisten VSK Osterholz. Da zweifle noch einer an der Weisheit, dass der Apfel nicht weit vom Pfosten falle. *Klar, es ist selbstverständlich nichts Besonderes, dass Söhne (und natürlich auch Töchter) beruflich in die Fußstapfen ihrer Väter (und natürlich auch ihrer Mütter) treten und den gleichen Beruf wie die Generation vor ihnen ergreifen. Augenscheinlich ist diese Tendenz vor allem bei denjenigen, die im Rampenlicht stehen, also bei Schauspielern, Popsängern – und bei Politikern. In Belgien freilich ist dieses Phänomen in einer Ausprägung zu bestaunen, wie man sie sonst allenfalls in dynastischen Systemen erwarten würde – oder in Ländern, die gefühlt ohnehin nur aus einer Handvoll Familien bestehen wie Liechtenstein. Die belgische Politik erscheint, was das Führungspersonal angeht, geradezu im Sinne von Friedrich Nietzsche – als eine ewige Wiederkehr des Gleichen.So war vor einiger Zeit zu lesen, dass Tom Dehaene, der Sohn von Belgiens Ex-Premier Jean-Luc Dehaene, seinen Sitz im Parlament von Flandern abgibt an Peter Van Rompuy, ebenfalls Sohn eines ehemaligen Regierungschefs, nämlich Herman Van Rompuy (dem breiten Publikum besser vertraut als EU-Ratspräsident). Thomas Van Rompuy, Bruder von Peter und Sohn von Herman, sitzt übrigens im Provinzenrat. Während Eric Van Rompuy, der Bruder von Herman und der Onkel von Thomas und Peter, Abgeordneter im flämischen Parlament ist. Nur Tine Van Rompuy schlägt ein wenig aus der Reihe. Sie, also die Schwester von Herman und Eric sowie die Tante von Peter und Thomas, gehört zwar auch zum Spitzenpersonal einer belgischen Partei, aber eben nicht der flämischen Christdemokraten, sondern der maoistisch orientierten Partij van de Arbeid.In der aktuellen Regierung sitzen ebenfalls zwei belgische Kennedys: Vizepremier Alexander de Croo, seines Zeichens Sohn des ehemaligen Verkehrsministers Herman de Croo. Und Innenminister Melchior Wathelet junior, dessen Vater – Sie ahnen es gewiss! – natürlich Melchior Wathelet senior ist, der frühere Justiz- und Verteidigungsminister Belgiens. Die Leiden des jungen Wathelet: Sein Name bestimmt derzeit die unselige Debatte über die umstrittenen Start- und Landerouten des Brüsseler Flughafens, weil der Kompromiss einst in seiner Ägide als Verkehrsstaatssekretär beschlossen wurde (“Plan Wathelet”).Aber Obacht vor falschen Schlüssen. Nicht alle, bei denen man auf die Idee kommen könnte, sind miteinander verbandelt. So hat der aktuelle Finanzminister Koen Geens keine familiären Bande mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten von Flandern, Gaston Geens. Und Ludo Martens, der knapp 30 Jahre die Arbeiterpartei Belgiens führte, war auch nicht verwandt mit dem ebenfalls vor kurzem verstorbenen früheren Premierminister Wilfried Martens. Das ist eher der weiten Verbreitung der jeweiligen Nachnamen geschuldet und – um am Ende doch wieder auf den Fußball zurückzukommen – im Grunde ähnlich wie hierzulande beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Der heißt zwar Gerd Müller, ist aber weder Bruder noch Neffe oder gar Sohn des Bombers der Nation.