DEBATTE ÜBER DIE STAATSSCHULDEN - IM INTERVIEW: HENNING VÖPEL

"Die Konstellation aus verschiedenen Faktoren ist gefährlich"

Der HWWI-Ökonom sieht nur wenige Mittel, eine erneute Krise zu bewältigen - Zentralbanken sind in politische Abhängigkeit geraten

"Die Konstellation aus verschiedenen Faktoren ist gefährlich"

– Herr Vöpel, die Staatsschulden haben in den vergangenen zehn Jahren kräftig zugelegt. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?Die Staatsschuldenquoten sind seit der globalen Finanzkrise weltweit – mit Ausnahme Deutschlands – zum Teil deutlich gestiegen. Das lag an den schuldenfinanzierten Konjunkturprogrammen, die nach der Krise neben den Aufkaufprogrammen der Zentralbanken aufgelegt worden sind, um einen Zusammenbruch der Weltwirtschaft zu verhindern. Das war ausdrücklich richtig in der damaligen Situation. Aber es hat dazu geführt, dass wir als Erbe dieser Krisenpolitik aufgeblähte Zentralbankbilanzen und erhöhte Staatsschulden haben.- Sind die Staatsschulden also zu hoch?Ja, denn der zukünftige Handlungsspielraum der Staaten ist dadurch strukturell geringer geworden. Zudem hat sich der Schuldenzyklus gegenüber dem Konjunktur- und Finanzzyklus verschoben. Eigentlich hätten die Staatsschulden in diesen Jahren der guten Konjunktur und der niedrigen Zinsen abgebaut werden müssen. Das ist nicht passiert. Nun werden die höheren Schulden bei nachlassender Konjunktur und steigenden Zinsen weniger tragfähig. Als Hypothek der Krise ist ein Niveausprung bei den Staatsschulden geblieben.- Die Last der Schulden steigt ja auch, wenn die Zinsen steigen. Aber ein rapider Anstieg der Leitzinsen steht ja nicht an. In den USA steht die Fed wieder auf der Bremse und ob die EZB in diesem Jahr noch einen Zinsschritt macht, ist zweifelhafter denn je.Genau das ist das Problem. Die Geldpolitik hat sich selbst Fesseln angelegt. Sie hat der Politik Zeit verschafft, die diese hat verstreichen lassen. Zeit ist billig geworden. Nun trübt sich die Konjunktur ein mit einer Kombination aus Schuldenüberhang und Nullzinsgrenze. Für die nächste Krise geht deshalb die Munition aus. Im Zweifel bleiben nur noch Aufkaufprogramme ungeahnten Ausmaßes. Zentralbanken sind in eine politische Abhängigkeit geraten. Wir sehen das in der Eurozone, aber auch in den USA, wo sich ein Konflikt zwischen Präsident Trump und Notenbankchef Powell ankündigt.- Gehen Sie überhaupt davon aus, dass ein “normales” Zinsniveau jemals wieder erreicht werden kann?Vermutlich noch lange Zeit nicht. Das hat aber nicht nur geldpolitische Gründe. Die reale Ersparnis ist weltweit relativ hoch und die Investitionsneigung gering, das allgemeine Zinsniveau daher niedrig. Doch auch der langfristige Zinszyklus dreht irgendwann, spätestens wenn die vielen alternden Gesellschaften der wohlhabenden Länder beginnen, zu entsparen. Spätestens dann wird die Umverteilungslast, die viele Staaten heute mit ihren Schulden eingegangen sind, zum Problem.- Gerade in den USA sind die Staatsschulden seit der Finanzkrise massiv gestiegen. Nicht zuletzt auch durch die lockere Fiskalpolitik von US-Präsident Donald Trump. Sind die USA, was die Staatsschulden-Frage angeht, unverwundbar?Trumps Wirtschaftspolitik hat die Ungleichgewichte tatsächlich noch erhöht. Staatsschulden und Handelsdefizit sind gewachsen. Die Bereitschaft ausländischer Anleger, das amerikanische Twin Deficit aus Staats- und Auslandsverschuldung zu finanzieren, hängt wesentlich von der Rolle des US-Dollar als weltweit wichtigste Reservewährung ab. Das heißt, die USA verschulden sich international in eigener Währung. Wenn dieser Bonus wegfällt, wird es teurer, das hohe Konsumniveau des Landes zu finanzieren. Die Tragfähigkeit der US-Schulden könnte sich parallel zur sinkenden Bedeutung des Dollar negativ entwickeln, bis hin zu einer Dollar-Krise.- China hält enorme Währungsreserven, wie steht es um seine Verwundbarkeit?Der Wert der chinesischen Währungsreserven hängt entscheidend an der Stärke des Dollar. China und die USA sind stabilitätspolitisch viel abhängiger voneinander, als das heute beide wahrhaben wollen. Gleichzeitig befinden sich beide Länder in einer geostrategischen Auseinandersetzung um die vorherrschende Stellung in der nächsten globalen Ordnung. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der drohende Handelskrieg auch in einen Währungskrieg mündet.- In Ihrer jüngsten Studie gehen Sie von einem weiteren Wachstum der Weltwirtschaft aus. Was macht Sie so optimistisch?Ich bin gar nicht so übermäßig optimistisch. Ich glaube, dass die Weltwirtschaft geopolitisch und konjunkturell in eine äußerst schwierige Phase eintritt. Unter den Bedingungen von ökonomischem Nationalismus und politischem Populismus könnten sich die derzeitigen Handelskonflikte ausweiten – mit negativen Folgen für Handel und Wachstum. Mit der Abkühlung der globalen Konjunktur werden alle diese Konflikte noch deutlicher zutage treten und wiederum auch die Konjunktur stärker belasten.- Wo liegen die Risiken konkret?Es wird schwieriger, die Geld- und Fiskalpolitik der Länder untereinander zu koordinieren. Sie haben sich stärker voneinander entkoppelt. Nehmen Sie die USA und die Eurozone. Der Zusammenhang zwischen Schulden-, Banken- und Währungskrisen ist dadurch stärker, nicht schwächer geworden. Ansteckungsgefahren haben zugenommen. Hinzu kommt, dass eine unkalkulierbare Politik wie in Italien oder Großbritannien die Unsicherheit verschärft. Regeln und Institutionen verlieren an Vertrauen.- Sie kommen zu dem Schluss, dass eine Schuldenkrise in den kommenden zwei Jahren nicht wahrscheinlich ist. Wie wahrscheinlich ist eine Schuldenkrise im nächsten Jahrzehnt auf einer Skala von 1 (unwahrscheinlich) bis 10 (sehr wahrscheinlich)?Es gibt definitiv eine erhöhte Wahrscheinlichkeit dafür. Die Konstellation aus verschiedenen Faktoren ist gefährlich: höhere Schuldenstände, nachlassende Konjunktur, geschwächte Institutionen und die ungünstiger werdende Demografie. Ich würde sagen, auf der Skala von 0 bis 10 sind wir derzeit bei 8.—-Die Fragen stellte Archibald Preuschat.