Europa sucht seine Zukunft

Die Krise lässt das Friedenswerk wanken

Historische Errungenschaften - Nobelpreis für die EU

Die Krise lässt das Friedenswerk wanken

Von Stephan Lorz, Frankfurt”Scheitert der Euro, scheitert Europa”, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel gern, wenn sie unterstreichen möchte, dass die rein ökonomische Sicht auf die Euro-Krise nicht den Blick für das große europäische Einigungswerk verstellen darf. Und tatsächlich gelang nach einer dichten Abfolge von Kriegen auf dem Kontinent, die den Menschen unfassbares Leid zugefügt haben, seit 1945 ein Versöhnungswerk, gegenüber dem die gegenwärtigen ökonomischen Probleme regelrecht verblassen. Zu Recht erhielt die EU deshalb den Friedensnobelpreis.Die EU habe entscheidend daran mitgewirkt, Europa von einem Kontinent des Krieges zu einem Kontinent des Friedens zu machen, sagte der norwegische Nobelkomiteechef Thorbjörn Jagland in seiner Laudatio bei der Verleihung der Auszeichnung. Die friedliche Zusammenarbeit der früheren “Erbfeinde” Deutschland und Frankreich wurde dabei besonders hervorgehoben. “In einer Zeit der Unsicherheit erinnert dieser Tag die Menschen in Europa an den fundamentalen Zweck der Europäischen Union: die Verbrüderung der europäischen Nationen voranzutreiben, jetzt und in der Zukunft”, meinte EU-Ratspräsident Van Rompuy in seiner Dankesrede.Aber auch aus einem anderen Grund ist eine noch weitergehendere Integration Europas für die nachfolgenden Generationen notwendig: Der Machtzuwachs neuer globaler Akteure wie China und Brasilien führt zu einem Einflussverlust der europäischen Staaten. Erst kürzlich hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vorausgesagt, dass der Anteil der Eurozone an der globalen Wertschöpfung von derzeit rund 17 % auf 9 % im Jahr 2060 fallen wird. China etwa – derzeit ebenfalls bei 17 % Weltmarktanteil – wird dann auf 28 % anschwellen. Ohne gemeinsame Verhandlungsinstitutionen etwa bei Regulierungs- oder Standardisierungsfragen könnten europäische Staaten bald keine Akzente mehr auf globaler Ebene setzen. Damit würde auch das Weltbild des Kontinents an Einfluss verlieren.Dennoch darf die aktuelle EuroKrise vor dem Hintergrund der globalen Umwälzungen nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Der Streit um die richtige Rettungspolitik treibt nämlich einen Keil zwischen die Kern- und die Krisenländer, die unterschiedlichen Mentalitäten treten wieder stärker hervor, die Zustimmung zu Europa sinkt in allen Staaten, und nationale Interessen drängen wieder in den Vordergrund. Wird das europäische Fundament nicht bald stabilisiert und werden keine neuen Strukturen mit größerer demokratischer Legitimität eingezogen, gerät das ganze Haus ins Wanken. Über 60 Jahre europäische Friedenspolitik stehen mit der Euro-Krise also auf dem Spiel.