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Die Kritik am deutschen Außenhandelsüberschuss geht fehl

Börsen-Zeitung, 27.3.2018 Die Kritik am hohen Außenhandelsüberschuss Deutschlands ist nicht neu: Regelmäßig ermahnen der Internationale Währungsfonds (IWF), die EU-Kommission und diverse Regierungen Deutschland, etwas gegen seinen hohen...

Die Kritik am deutschen Außenhandelsüberschuss geht fehl

Die Kritik am hohen Außenhandelsüberschuss Deutschlands ist nicht neu: Regelmäßig ermahnen der Internationale Währungsfonds (IWF), die EU-Kommission und diverse Regierungen Deutschland, etwas gegen seinen hohen Exportüberschuss zu unternehmen. Die jüngsten Drohungen von US-Präsident Donald Trump, deutsche Autos mit einem Strafzoll von 25 % zu belegen, falls Deutschland nichts gegen seinen hohen Überschuss im Handel mit den USA unternehmen sollte, sind aber von einem anderen Kaliber. Schließlich muss man Trump zutrauen, seinen Worten auch Taten folgen zu lassen. Sollte oder besser kann Deutschland also etwas gegen seinen äußerst hohen Überschuss im Außenhandel unternehmen?Die hohen Überschüsse im Handel sind, anders als es die oft lautstarke Kritik vermuten lassen könnte, ein relativ junges Phänomen. So wies der deutsche Außenhandel in realer Rechnung zwischen den Jahren 1960 und 2000 keinen strukturellen Überschuss aus. Vielmehr schwankte der Außenhandelssaldo zwischen -30 Mrd. und +30 Mrd. Das heißt, über einen Zeitraum von 40 Jahren importierte Deutschland ziemlich genauso viele Waren und Dienstleitungen, wie es exportierte. Ab dem Jahr 2001 änderte sich das aber. Ab diesem Jahr schießt der reale Außenhandelsüberschuss, unterbrochen nur durch die Große Rezession, nach oben – bis auf rund 180aÇêMrd. Euro im Jahr 2012. Auf diesem Niveau hat sich der Überschuss seitdem eingependelt. Es stellt sich die Frage, was die Ursache für den starken Anstieg des Handelsüberschusses seit der Jahrtausendwende ist. Absurde ArgumenteDie gängige Meinung unter den Kritikern des deutschen Außenhandelsüberschusses lautet, Deutschland habe sich durch jahrelanges Lohndumping beziehungsweise übermäßige Lohnzurückhaltung einen unfairen Wettbewerbsvorteil verschafft. Dabei ist vor allem das Argument des Lohndumpings absurd. Es impliziert die Vorstellung, Deutschland sei ein Billiglohnland vergleichbar mit Ländern in Südosteuropa oder Südostasien. Das Gegenteil ist der Fall: Deutschland ist ein Hochlohnland. Auch der dem Lohndumping ähnlich geartete Vorwurf der übermäßigen Lohnzurückhaltung zur “Erschleichung” unfairer Wettbewerbsvorteile hält einer Betrachtung der Fakten nicht Stand. So legten die Arbeitskosten im produzierenden Gewerbe in Deutschland zwischen 2008 und 2016 beispielsweise stärker zu als in Frankreich, Italien und Großbritannien. Verglichen mit den USA fällt der Anstieg im genannten Zeitraum nur geringfügig kleiner aus. Kein LohndumpingWahrscheinlich geht der Vorwurf des Lohndumpings und der Lohnzurückhaltung ohnehin nur auf ein Missverständnis zurück. Denn richtig ist, dass das Arbeitnehmerentgelt je Arbeitnehmer zwischen 1996 und 2009 durchschnittlich pro Jahr nur um 1 % gestiegen ist. In diese Zeit fiel auch die umstrittene Arbeitsmarktreform des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD), die auch als Agenda 2010 bekannt wurde. Insofern scheint es bei oberflächlicher Betrachtung naheliegend zu sein, einen gewissen “Plan” hinter dem schwachen Lohnzuwachs zu vermuten. Der Zusammenhang besteht aber nur scheinbar. In Wirklichkeit handelte es sich bei der Phase schwach steigender Löhne von Mitte der 1990er Jahre bis Ende der 2000er Jahre lediglich um eine Normalisierung im Anschluss an den massiven Lohnzuwachs im Zuge der deutschen Wiedervereinigung. Zwischen 1990 und 1995 war das Arbeitnehmerentgelt je Arbeitnehmer jährlich im Durchschnitt um 5,2 % nach oben geschnellt. Der folgende Normalisierungsprozess, der sich über mehr als zehn Jahre hinzog, ist nun aber lange vorbei und das Arbeitnehmerentgelt steigt seit dem Jahr 2010 wieder um durchschnittlich 2,5 % pro Jahr. Noch absurder als der Vorwurf des Lohndumpings und der Lohnzurückhaltung ist in unseren Augen der Vorwurf der Währungsmanipulation, der unter anderem auch von den USA geäußert wurde. Regelmäßig wird Deutschland auch vorgehalten, es tue zu wenig zur Ankurbelung der Binnenkonjunktur: Es werde zu wenig konsumiert und investiert, so dass die Nachfrage nach Importen quasi künstlich klein gehalten werde. Man müsse daher über höhere staatliche Investitionen sowie höhere private Konsumausgaben beispielsweise durch Steuersenkungen die Binnennachfrage ankurbeln. Richtig ist, dass die inländische Verwendung seit 2001 deutlich langsamer wächst als in den 50 Jahren zuvor. Die sich ergebende Nachfragelücke wurde durch den enormen Anstieg des Außenhandelsüberschusses geschlossen, so dass die trendmäßige Zunahme des realen Bruttoinlandsproduktes nahezu unverändert blieb. Kritiker sehen hierin ein quasi planmäßiges Vorgehen Deutschlands, einen schwächeren Zuwachs der inländischen Nachfrage durch einen starken Anstieg des Außenhandelsüberschusses auf Kosten anderer Länder zu kompensieren. Es läuft somit auf die Frage hinaus, ob die deutliche Abschwächung beim Zuwachs der inländischen Nachfrage ab der Jahrtausendwende durch die deutsche Politik quasi vorsätzlich herbeigeführt wurde – oder ob es eine andere Erklärung gibt.Unserer Meinung nach gibt es diese andere Erklärung und sie scheint uns zudem sogar noch absolut offensichtlich zu sein: die Einführung des Euro und die damit verbundene Übernahme der geldpolitischen Verantwortung von der Bundesbank durch die Europäische Zentralbank (EZB) am 1. Januar 1999. Nach allgemeiner Auffassung war die geldpolitische Ausrichtung der EZB in den ersten Jahren für Deutschland zu restriktiv, so dass sich die Binnennachfrage nach der Rezession der Jahre 2000/01 nicht erholen konnte. Zudem dürfte die D-Mark relativ gesehen zu den meisten übrigen Währungen bereits unterbewertet gewesen sein als der Umrechnungskurs des Euro am 31. Dezember 1998 für die elf Gründungsmitglieder der Eurozone festgelegt wurde. Die übrigen Euro-Länder erlebten somit eine massive reale Aufwertung gegenüber Deutschland. Deutschland sah sich dagegen spiegelbildlich einer erheblichen realen Abwertung ausgesetzt, gleichzusetzen mit einem merklichen Kaufkraftverlust. Folgen der Euro-Einführung In der direkten Konsequenz stiegen die realen Exporte in den Euroraum ab 1998 deutlich stärker, als die realen Importe aus diesen Ländern zunahmen – der Handelsüberschuss legte kräftig zu. Der Handelsüberschuss mit der restlichen Welt legte zwischen 1996 und 2007 ebenfalls zu. Auch hier scheint die Euro-Einführung Deutschland einen deutlichen Wettbewerbsvorteil verschafft zu haben, denn der Euro spiegelt sicher nicht 1:1 den Wechselkurs der D-Mark wider. Vielmehr dürfte der Wechselkurs des Euro eine Art Mischkalkulation aus sämtlichen ehemaligen Währungen der Mitgliedsländer darstellen, wobei Deutschland die wohl “härteste” Währung in den Euro einbrachte. Die Euro-Einführung bedeutet für Deutschland somit eine schlagartige erhebliche Zunahme der preislichen Wettbewerbsfähigkeit. Verstärkt wurde diese Zunahme der preislichen Wettbewerbsfähigkeit noch durch die Wechselkursentwicklung des Euro im Anschluss an dessen Einführung. So wertete der Euro zwischen dem vierten Quartal 1998 und dem vierten Quartal 2000 effektiv um 18 % ab. In der Folge verdreifachte sich der Handelsüberschuss mit der übrigen Welt. Zwischen 2009 und 2015 verdreifachte sich der Handelsüberschuss mit der restlichen Welt erneut. Im selben Zeitraum hatte der Euro effektiv um 17 % abgewertet. Es scheint also so zu sein, dass Deutschland gleich doppelt vom Euro profitiert hat: Zum einen durch die reale Abwertung gegenüber allen anderen Mitgliedsländer des Euroraums, zum anderen durch die starke nominale Abwertung des Euro gegenüber den wichtigsten Handelspartnern außerhalb des Euroraums. Da es sich unserer Meinung nach bei der Ursache des hohen deutschen Außenhandelsüberschusses – dem Euro – um einen aus der Sicht Deutschlands externen, also nicht zu beeinflussenden Faktor handelt, kann Deutschland auch keinerlei (zumutbaren) Maßnahmen ergreifen, um den Überschuss zu verringern. Dies könnten nur die Abnehmerländer, allerdings ebenfalls wohl zu nur aus deren Sicht inakzeptablen Kosten. Daher wird sich am enormen deutschen Überschuss im Außenhandel auf absehbare Zeit wohl nichts verändern. Dieser dürfte lediglich mit der effektiven Wechselkursentwicklung des Euro “atmen”, aber nicht strukturell sinken. Gefahr der ÜberhitzungDie Forderung vieler Kritiker, Deutschland müsse die Binnenkonjunktur ankurbeln, um die Nachfrage nach ausländischen Gütern zu steigern, sehen wir äußerst kritisch. Zum einen betreibt Deutschland seit Jahren eine laxe Fiskalpolitik und zum anderen liegt die Zuwachsrate der Binnennachfrage seit dem Jahr 2014 mit durchschnittlich 1,9 % pro Jahr deutlich über dem Potenzialwachstum der deutschen Wirtschaft. Dennoch hat sich der Überschuss im Außenhandel in den vergangenen vier Jahren nicht einmal ansatzweise reduziert. Eine weitere Stimulierung der Konjunktur würde in eine Überhitzung führen, die am Ende mit einem scharfen Abschwung beziehungsweise einer Rezession korrigiert werden würde. Was aber bliebe, wären die hohen Überschüsse im Außenhandel.—-Jörg AngelèSenior Economist, Raiffeisen Bank International