Die Krux mit den Sorgfaltspflichten
rec Frankfurt
Gut gedacht und schlecht gemacht, äußerst bedauerlich, Fiasko: Trotz Nachbesserungen der Koalitionsfraktionen von Union und SPD auf den letzen Metern haben etliche Wirtschaftsverbände mit beißender Kritik und Ablehnung auf das am Freitag beschlossene Lieferkettengesetz reagiert. Der Bundestag stimmte mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD und der Grünen für das umstrittene Vorhaben, das Unternehmen zur stärkeren Beachtung von Menschenrechten bei Geschäften mit Zulieferern im Ausland verpflichtet. Bei Verstößen gegen die sogenannten Sorgfaltspflichten drohen Bußgelder von bis zu 2% des Jahresumsatzes und ein dreijähriger Ausschluss von öffentlichen Aufträgen.
Bis zum letzten Tag hatten Union und SPD über Änderungen an dem Gesetz verhandelt. Für Erleichterung im Markt sorgte eine Klarstellung, wonach Unternehmen keine zusätzlichen Risiken zivilrechtlicher Haftung zu befürchten haben. Mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen wurde allenthalben auch, dass die Koalitionsfraktionen ausländische Unternehmen mit Sitz in Deutschland in das Gesetz aufgenommen und deutschen Firmen gleichgestellt haben. Das Lieferkettengesetz greift ab 2023 zunächst für Unternehmen mit mindestens 3000 Beschäftigten, zu denen auch ins Ausland entsandte Mitarbeiter zählen. Ab 2024 wird es auf Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten ausgeweitet. Nach Koalitionsangaben sind somit knapp 5000 Firmen direkt erfasst.
Furcht vor der Klageindustrie
Mit der Verabschiedung des Lieferkettengesetzes geht ein jahrelanges Ringen in der großen Koalition zu Ende. Auf Betreiben des Wirtschaftsflügels der Union hatte insbesondere Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) das Vorhaben lange blockiert und Erleichterungen für die Wirtschaft durchgesetzt. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der das Vorhaben mit seinem Kabinettskollegen Gerd Müller (CSU) aus dem Entwicklungsministerium vorangetrieben hatte, sagte bei der abschließenden Lesung im Bundestag: „Anstand und Wohlstand – das darf kein Gegensatz sein.“ Er verwies auf eine gerade erschienene Studie des Kinderhilfswerks Unicef in Zusammenarbeit mit der internationalen Dachgewerkschaft ILO, wonach 2020 weltweit 160 Millionen Minderjährige einer Form von Kinderarbeit nachgehen (siehe Grafik). Menschenrechtler alarmiert, dass die Pandemie Fortschritte im Kampf gegen Kinderarbeit zurückgeworfen hat. Auch auf Sklavenarbeit und Ausbeutung bei Geschäftspartnern deutscher Firmen im Ausland zielt das Gesetz.
Hauptstreitpunkt war bis zuletzt die juristische Flankierung der Sorgfaltspflichten. Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften können im Namen und Auftrag Betroffener aus dem Ausland vor hiesigen Gerichten klagen. Kritiker sehen darin die Gefahr von Schadenersatzklagen durch die Hintertür. In einem finalen Änderungsantrag stellten die Koalitionsfraktionen klar, dass Firmen „gegenüber der geltenden Rechtslage keine zusätzlichen zivilrechtlichen Haftungsrisiken“ zu befürchten haben. Fabian Quast von der Kanzlei Hengeler Mueller sagte der Börsen-Zeitung: „Mit dieser Klarstellung sind die Befürchtungen, das Gesetz könnte zum Einfallstor für die Klageindustrie werden, glücklicherweise vom Tisch.“
Fortan richten sich die Augen nach Brüssel. Die Arbeiten an einem EU-Lieferkettengesetz verzögern sich. Eigentlich wollte die EU-Kommission im Juli ihren Entwurf vorstellen, nun wird es frühestens im Herbst etwas. Hintergrund sind die Vorschläge aus dem EU-Parlament, die deutlich weitreichender sind als das nun beschlossene deutsche Lieferkettengesetz. Ein Kontrollgremium der EU-Kommission hat die Pläne in der vorgesehenen Form abgeschmettert. Bis zu einer europaweit einheitlichen Regelung dürften Jahre vergehen.