NOTIERT IN LONDON

Die Land Army kapituliert

Diese Woche ist der erste Flug von Air Charter Services (ACS) mit rund 180 rumänischen Fachkräften auf dem Londoner Flughafen Stansted gelandet. Sie werden britischen Bauern helfen, die Ernte einzubringen. Bis zu sechs weitere Flüge sind bereits...

Die Land Army kapituliert

Diese Woche ist der erste Flug von Air Charter Services (ACS) mit rund 180 rumänischen Fachkräften auf dem Londoner Flughafen Stansted gelandet. Sie werden britischen Bauern helfen, die Ernte einzubringen. Bis zu sechs weitere Flüge sind bereits geplant. Easyjet, Ryanair und andere Fluggesellschaften hatten ihre Flüge nach Osteuropa eingestellt. Allein für die Spargelernte werden diesen Monat 5 000 Saisonarbeiter gebraucht. Das Land erreicht gerade den Zeitpunkt, zu dem in normalen Zeiten mehr und mehr Produkte aus eigener Produktion – Erdbeeren, Kopfsalat etc. – auf den Markt kommen. Alles in allem könnten diesen Sommer bis zu 80 000 Arbeitskräfte fehlen. Vor der Coronavirus-Pandemie kamen sie in der Regel aus Bulgarien und Rumänien. Fast vier Fünftel werden der Country Land & Business Association zufolge in diesem Jahr nicht zur Verfügung stehen. Zudem dürften Vorgaben zur sozialen Distanzierung die Ernte erschweren. Die vehement um Staatshilfen werbende National Farmers` Union erklärte, sie sei nicht an der Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte beteiligt gewesen. Der britische Bauernverband, der in regem Kontakt mit der Regierung steht, gab an, sich auf die Mobilisierung britischer Arbeitskräfte zu konzentrieren.Versuche der Agrarlobby Home Grown, den Geist der Women’s Land Army zu beschwören, die im Zweiten Weltkrieg einen wesentlichen Beitrag zur Versorgung der Bevölkerung mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen leistete, waren nicht besonders erfolgreich. Nur wenige der von Unternehmen in den Zwangsurlaub geschickten Mitarbeiter ließen sich als Spargelstecher oder Erdbeerpflücker anheuern, obwohl der Zusatzverdienst zu keinerlei Abzügen an den vom Schatzamt gezahlten Leistungen geführt hätte. Die Landwirte boten je nach Leistung bis zu 15 Pfund die Stunde. Dass man diesen Wert als ungeübte Kraft kaum erreichen wird, zeigt sich daran, dass manche Arbeitgeber nachfragten, ob man auch solchen Kräften den gesetzlichen Mindestlohn zahlen müsse, die nur wenig leisten. Und so gab es auf Stellenbörsen zwar reichlich Suchanfragen zu Begriffen wie “Obstpflücker”, doch waren am Ende nur wenige bereit, sich auf solche Jobs einzulassen. Das “Feed the Nation”-Programm, das von der gemeinnützigen Concordia zusammen mit den Arbeitsvermittlern Hops und Fruitful angeleiert wurde, erhielt zwar 35 000 Interessensbekundungen. Doch nur 5 500 Bewerber waren zu einem Vorstellungsgespräch bereit. Weniger als ein Drittel hatten schon einmal auf einer Farm gearbeitet. Für April seien auf den teilnehmenden Bauernhöfen alle Stellen besetzt, heißt es auf der Website von Concordia, die unter anderem internationale Freiwilligendienste für mehr Verständnis zwischen den Kulturen organisiert.Forderungen, jüngere Arbeitslose und Studenten sollten kostenlos als Erntehelfer arbeiten, waren allerdings nicht angetan, Sympathien für die Landwirte zu schaffen, die sich wie in jedem Land als selbstlose “Ernährer der Nation” sehen. Das waren sie nie – auch im Zweiten Weltkrieg nicht, als die Regierung begann, Frauen für die Women’s Land Army (WLA) zu verpflichten. Mehr als 80 000 “Land Girls” brachten die Ernte ein, molken Kühe und verrichteten andere Arbeiten auf den Höfen, oft Seite an Seite mit Kriegsgefangenen. Sie wurden schlechter bezahlt als die Männer, die diese Tätigkeiten bislang erledigten. Zudem wurden sie von Männern angefeindet, die um ihre Stellen fürchteten. Doch überwiegt im Rückblick das positive Image der WLA, die dafür gesorgt hatte, dass sich das vor dem Krieg zu mehr als zwei Dritteln von Nahrungsmittelimporten abhängige Land weitgehend selbst versorgen konnte.Die Zwangsverpflichtung von Sozialhilfeempfängern war bereits in der Brexit-Debatte ein Thema. Allerdings herrschte damals noch Vollbeschäftigung, und die viel beschworenen staatlich alimentierten Faultiere und Nichtsnutze waren einfach nicht in ausreichender Zahl zu finden. Und so kam man schnell wieder auf die Saisonarbeiter aus den Armutsregionen Südosteuropas zurück, die bislang gute Arbeit geleistet hatten. Nach ihrer Ankunft aus Bukarest wurden sie mit Bussen zu ihren Arbeitgebern im Südosten und in Lincolnshire gebracht. ACS fliegt auch Saisonarbeiter nach Deutschland.