Die Not der Banken nimmt zu

Geheimkredite der Euro-Zentralbanken an Geldinstitute wachsen laut Ökonomen-Schätzung auf 185 Mrd. Euro

Die Not der Banken nimmt zu

Von Stephan Balling, Frankfurt Immer mehr Bankhäuser in der Eurozone greifen offenbar auf die Notfallhilfen ihrer nationalen Zentralbanken zurück. Das geht aus der Analyse von Bankvolkswirten sowie dem wöchentlich veröffentlichten konsolidierten Bilanzausweis des Eurosystems der Zentralbanken (ESZB) hervor. In Letzterem stieg allein in der vergangenen Woche der Posten “Sonstige Forderungen an Kreditinstitute” um 34,1 auf 246,6 Mrd. Euro. Mitte April betrug dieser Posten gerade 63 Mrd. Euro. Zwar umfasst der Posten mehr als nur die Notfallhilfen (Emergency Liquidity Assistance, ELA) der nationalen Zentralbanken. Aber bei einem Großteil der Forderungen dürfte es sich tatsächlich um ELA-Positionen handeln. Das ESZB hält die wahre ELA-Größe geheim. Lediglich in den Veröffentlichungen einzelner nationaler Zentralbanken ist die Zahl zu finden.David Owen, Chefvolkswirt Europa bei Jefferies Securities International in London, schätzt, dass die Notenbanken des Euroraums zurzeit etwa 180 bis 185 Mrd. Euro an ELA-Krediten herausgegeben haben. “Und diese Zahl wird weiter wachsen”, sagte er der Börsen-Zeitung. Laut Unicredit haben derzeit die Zentralbanken Zyperns (4 Mrd. Euro), Irlands (40 bis 50 Mrd. Euro) und Griechenlands (70 Mrd. Euro) ELA-Kredite vergeben. Auf Anfrage der Nachrichtenagentur Bloomberg hatte Owen in der vergangenen Woche erklärt, dass an den Notfallhilfen zu erkennen sei, wie stark das Bankensystem gerade belastet sei. Griechenland sei nur die Spitze des Eisbergs. “Je mehr die Bedenken zunehmen, desto stärker wird die Kapitalflucht. Und auf einmal sprechen wir über 350 Mrd. Euro oder 400 Mrd. Euro, wenn die größeren Länder von ELA Gebrauch machen.”Für den heutigen Mittwoch erwartet Owen neue Zahlen über mögliche Abzüge ausländischer Gelder aus Spanien. Sollte die Kapitalflucht aus dem Land zunehmen, wird auch dort der Bedarf der Banken an Zentralbankgeld immer weiter wachsen. Gehen auch den dortigen Banken die Sicherheiten aus, die sie bei normalen Repogeschäften mit dem ESZB hinterlegen müssen, müsste auch der Banco de España ELA vergeben. Ohne ESZB-Kredite würden die Geldhäuser wohl rasch illiquide. Die Refinanzierung am Finanzmarkt ist für Geldhäuser aus den Krisenländern Europas ohnehin kaum noch möglich.Konkrete Zahlen über ELA in Euroland sind allerdings nicht zu erwarten. Schließlich lautet die erste Regel des ESZB für die Banken-Notfall-Liquiditätshilfe, darüber nicht zu sprechen und den Informationsfluss zu begrenzen. “Die fehlende Transparenz ist ein zweischneidiges Schwert”, sagt Jefferies-Chefökonom Owen. “Einerseits erhöht sich dadurch die Unsicherheit, andererseits wollen wir vielleicht nicht unbedingt wissen, wie schlecht die Lage wirklich ist, weil dadurch noch mehr Öl ins Feuer gegossen werden könnte.”Das ELA-Programm rückte weiter ins Interesse der Öffentlichkeit, nachdem vor knapp zwei Wochen bekannt wurde, dass die EZB einigen griechischen Banken bereits den Zugang zu ihren regulären Refinanzierungsoperationen verwehrt hatte und sie nun vorerst auf ELA angewiesen sind.Das Dilemma für die EZB besteht darin, dass sie die Banken der Region retten will, ohne zu hohe Risiken in die eigene Bilanz zu übernehmen. Denn dann müssen mögliche Ausfälle von allen nationalen Zentralbanken des Euroraums gemeinsam getragen werden. Den größten Brocken müsste dabei die Bundesbank schultern, da sie den größten Kapitalanteil an der EZB hält. Bei ELA haftet die jeweilige nationale Zentralbank allein, sollte die ausleihende Geschäftsbank den Kredit nicht zurückzahlen können.So zumindest argumentiert die EZB. Allerdings dürfte ein großer Teil der über ELA an die Banken vergebenen Kredite als Liquidität über das sogenannte Target-2-System nach Deutschland fließen, wodurch sich Forderungen der Bundesbank gegen die EZB aufbauen. Völlig aus dem Schneider ist Deutschland also keineswegs, auch wenn die direkte Haftung auf die nationalen Zentralbanken begrenzt ist.Immerhin: Für jeden ELA-Kredit ist es erforderlich, dass der EZB-Rat ihn genehmigt. Zudem ist er mit einem Strafzins belegt, wobei die genauen Bedingungen nicht bekannt gegeben werden.—– Wertberichtigt Seite 8