"Die Nullgewichtung muss fallen"
Die Europäische Zentralbank sollte früher als bislang erwartet ihre Geldpolitik straffen, fordert Volker Wieland, Wirtschaftsweiser und Professor für Monetäre Ökonomie an der Goethe-Universität Frankfurt. Sonst laufe man Gefahr, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen und die Zinsen zu lange zu niedrig zu halten. Denn das berge enorme Risiken für die Finanzstabilität.- Herr Professor Wieland, Sie haben als Volkswirt bei der Fed gearbeitet und die US-Notenbanker beraten. Wie hätte Ihr Rat vor der jüngsten Sitzung unter Vorsitz von Fed-Chef Ben Bernanke ausgesehen? War es richtig, die erwartete Reduzierung der Wertpapierkäufe noch einmal zu vertagen?Wieland: Nein, mein Rat wäre gewesen, jetzt mit dem sogenannten “Tapering” zu beginnen und zügig darauf hinzuarbeiten, dass schon 2014 auch die Leitzinsen steigen können.- Die Fed hat offenbar Angst, die konjunkturelle Erholung mit einer Reduzierung der Bondkäufe abzuwürgen. Oder ist es Angst vor der eigenen Courage?Das kann man schwer sagen. Ich hätte diesbezüglich aktuell keine große Gefahr gesehen. Schließlich hat sich die Prognose der Fed für die Arbeitslosigkeit im Laufe des Jahres stetig verbessert. Trotzdem erwartet sie inzwischen die nächste Zinserhöhung erst für 2015. Dies nährt den Verdacht, dass es der US-Notenbank um die Vermittlung eines Kurswechsels insgesamt gegangen ist. Denn wir beobachten neue Reaktionsmuster in der Geldpolitik. Und dies ist nicht ohne Probleme und Risiken.- Wie ist das zu verstehen?Einerseits finde ich es problematisch, wie sehr die Fed die Arbeitslosigkeit in den Fokus stellt. Denn eine Zentralbank kann die Arbeitslosigkeit nicht in gleicher Weise steuern wie die Inflation. Unabhängig vom Mandat würde ich deshalb davon abraten, in der Kommunikation ein so großes Gewicht auf die Arbeitslosigkeit zu legen. Andererseits haben wir jetzt schon für einige Zeit negative Realzinsen, die auch grundsätzlich eine gefährliche Entwicklung mit sich bringen können.- Sie würden sich also Warnungen wie der des früheren Chefvolkswirts der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), William White, anschließen, der vor neuen Finanzkrisen durch die ultralockere Geldpolitik warnt?Es ist nicht gut, wenn die Zinsen zu lange niedrig sind. Das birgt enorme Risiken für die Finanzstabilität. Diese Sorge treibt inzwischen alle Zentralbanken um. Noch aber dominiert der Wunsch, die Wirtschaft zu stimulieren. Ich plädiere dafür, die mit niedrigen Zinsen einhergehenden Risiken für die Finanzstabilität ernster zu nehmen, als es aktuell der Fall ist. Deswegen finde ich auch, die Zinsen sollten eher früher als später wieder angehoben werden.- Gilt das auch für die Europäische Zentralbank (EZB)?Nach der sogenannten Taylor-Regel müssten die Zinsen für Europa schon jetzt angehoben werden. Und eine Zinsregel, die auf einer gemeinsamen Arbeit mit Ex-EZB-Notenbanker Athanasios Orphanides basiert und die bisherigen Reaktionsmuster der EZB gut beschreibt, würde mit Blick auf die Aussichten für Wachstum und Inflation für eine Zinserhöhung spätestens im Mai 2014 sprechen. Man sollte solchen Hinweisen mehr Gewicht geben. Sonst läuft man Gefahr die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen, und die Zinsen zu lange zu niedrig zu halten.- Im Euroraum steckt die EZB in einer ähnlichen Klemme, weil sie von der Politik als Krisenlöser ausgenutzt wird. Wann ist denn für die EZB der richtige Zeitpunkt, um aus dem Staatsanleihekaufprogramms OMT auszusteigen?Mit der Ankündigung, gegebenenfalls unbegrenzt Insolvenzrisiken zu übernehmen, hat die EZB Trennlinien zwischen Geld- und Fiskalpolitik verwischt. Zugleich werden die Reformanreize abschwächt. Ich glaube nicht, dass es unbedingt notwendig war, dieses Programm einzuführen. Denn in den Euro-Krisenländern gab es seinerzeit durchaus Fortschritte. Die Anleiherenditen von Irland, Portugal und Griechenland sind schon Anfang 2012 gesunken. Und der Marktdruck, der sich auf Spanien und Italien aufgebaut hatte, war nicht unbedingt schlecht. Ferner gab es bereits den ESM, dessen Mittel man hätte erhöhen können.- Aber dafür hätte es wohl keine politischen Mehrheiten gegeben.Ich kann natürlich verstehen, dass es für die Regierungen einfacher ist, wenn die EZB einspringt. Aber das macht es nicht richtiger.- Spricht nicht schon der zeitliche Zusammenhang dafür, dass das OMT doch durchaus wirkungsvoll war? Die Lage an den Märkten hat sich ja unmittelbar danach beruhigt.Natürlich hat die EZB damit Risikoprämien auf Staatsanleihen der Krisenländer reduziert. Aber schon damals gab es sichtbare Verbesserungen in der Wettbewerbsfähigkeit der Krisenländer, bei ihrer Konsolidierung und ihrer Produktivität, die sich fortgesetzt haben. Und auch Banken machen Fortschritte bei der Entschuldung, wie zum Beispiel in Spanien. Wenn man sich heute auf den Standpunkt stellt, dass die ganzen Verbesserungen nur am OMT liegen, hätte ich große Angst, dass wir derzeit nur eine temporäre Beruhigung wahrnehmen und das Schlimmste noch aussteht.- Bringt sich die EZB mit dem OMT-Programm nicht auch selber in die Bredouille?Die EZB kann nicht dauerhaft die Wettbewerbsfähigkeit und das Potenzialwachstum Spaniens oder Italiens verbessern. Sie hat nur die Macht, die nominale Geldmenge zu erhöhen. Die kann nicht dauerhaftes Wachstum generieren. Das kann nur durch die realen Wirtschaftsfaktoren und politische Reformmaßnahmen geschehen. Dort muss der Schwerpunkt liegen.- Die EZB wird von politischer Seite aber immer weiter in ihre Rolle als Krisenlöser gedrängt. Wo endet das?Ich kann der EZB nur Standfestigkeit wünschen. Bislang hat sie den Regierungen immer wieder Zeit verschafft: 2010 ist sie mit SMP eingesprungen, 2012 hat sie mit dem OMT reagiert. Vielleicht wird sie auch noch mal zeigen müssen, wie hart sie Bedingungen durchsetzt, wenn ein Land die OMT-Option zieht.- Der Ball ist aber schon länger auf dem Spielfeld der Politik. Doch niemand nimmt den Pass so richtig an.Es wurde ja schon einiges bewegt. Neben dem ESM haben wir schärfere Regeln für die Haushaltpolitik bekommen. Nun sollten die nationalen Regierungen den Konsolidierungs- und Reformpfad einfach weiter fortsetzen. Das ist für die Politik natürlich nicht leicht. Insofern kann ich es durchaus verstehen, wenn Regierungen auf Hilfe der EZB hoffen. Das ist jedoch kein Ausweg aus der Krise.- Das nächste Einfallstor für die Politik steht bereits offen: die Integration der Bankenaufsicht unter dem Dach der EZB.In der Tat, da muss die EZB aufpassen. Sie kann sich da eine Menge Probleme ins Haus holen.- Wie meinen Sie das?Es ist sinnvoll, die Bankenaufsicht auf europäischer Ebene anzusiedeln. Aber man muss es effektiv und effizient machen. Mir ist nicht klar, wie das jetzt gefundene System der Aufsichtsverantwortlichkeiten innerhalb der EZB effektiv funktionieren soll – mit den unterschiedlichen Entscheidungs- und Vermittlungsgremien. Darüber hinaus ist es in der Wissenschaft umstritten, ob es richtig ist, die Aufsicht zur Zentralbank zu geben. Es kann Interessenkonflikte geben: Wenn eine Zentralbank auf der Aufsichtsseite Probleme sieht, sich aber scheut, hart durchzugreifen, ist die Versuchung groß, Banken zu lange am Tropf der geldpolitischen Liquiditätsversorgung zu lassen.- Sie wären also für eine eigenständige Aufsichtsbehörde?Ja, ich fände es besser, auf eine Vertragsänderung hinzuarbeiten und die neue europäische Aufsichtsbehörde dann aus der EZB herauszulösen.- Mit der europäischen Bankenaufsicht bei der EZB ist natürlich auch das Abwicklungsregime von Geldinstituten verknüpft. Wie kann hier eine stabile europäische Lösung aussehen?Ein separates Restrukturierungs- und Abwicklungsregime ist notwendig und benötigt Ressourcen. Altlasten sollten zu Lasten der Nationalstaaten abgewickelt werden. Da nationale Gesetzgeber auch zukünftig noch die Risiken von Banken beeinflussen können, sollten sie auch in einem europäischen System finanziell beteiligt bleiben. Wir sollten nicht in etwas hineinrutschen, bei dem letztlich genauso große Risiken wie bei Euro-Bonds entstehen über Verpflichtungen gegenüber einer europäischen Abwicklungsbehörde.- Vor dem Hintergrund solcher Bedenken bleibt von den hehren Plänen, die Vereinigten Staaten von Europa einst gründen zu wollen, kaum mehr etwas übrig.Ich habe nicht den Eindruck, dass die Errichtung der Vereinigten Staaten von Europa mit gemeinsamer Regierung, gemeinsamer Haushalts- und Wirtschaftspolitik sowie gemeinsamer Schuldenaufnahme von der Bevölkerung gewünscht wird. Vor allem darf man dabei nicht mit der Etablierung einer Schuldenunion beginnen, wie das manche politischen Kräfte in der Eurozone betreiben. Solch ein System wäre noch viel explosiver, als das, was wir derzeit haben. Insofern finde ich es gut, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel so dezidiert dagegen gewendet hat.- Euro-Bonds lehnen Sie also auch ab?Ja, und ich sehe auch die Idee eines Schuldentilgungsfonds, wie ihn der Sachverständigenrat vorgeschlagen hat, kritisch als ein mögliches Einfallstor für solche Bestrebungen. Bei den bisherigen Hilfen, ist man tendenziell nach dem Konzept vorgegangen: Unterstützung gegen Reformen. Diesen Weg sollte man weitergehen – und Möglichkeiten für eine stärkere Beteiligung privater Gläubiger schaffen.- Welches Lösungsmodell schwebt Ihnen denn vor für den Euroraum?Ich halte viel von der Idee eines “Maastricht 2.0”, die auch vom Sachverständigenrat vertreten wird. Dabei bleiben große Bereiche wie die Budgethoheit weiter in nationaler Verantwortung. Dafür gibt es bessere Regeln als beim bisherigen Stabilitäts- und Wachstumspakt, die auch national verankert sind – wie inzwischen bei den Schuldenbremsen – und konsequent umgesetzt werden. Dafür braucht es den Druck der Märkte, weil die Kontrolle allein durch Brüssel oder andere Regierungen viel Konfliktstoff birgt und kaum funktioniert.- Aber der Druck der Märkte hat trotz No-Bail-out nicht funktioniert, weil Banken und Investoren unterstellt haben, dass die Länder einander im Notfall doch beispringen werden.Mit der Einschätzung lagen sie ja auch richtig. Deswegen braucht es Regeln, die gegenseitige Hilfen begrenzen. Das gilt auch für den ESM. Ich halte es für unrealistisch, dass wir ihn wieder abschaffen. Aber man muss ihn begrenzen, sonst klappt es mit dem Marktdruck nicht. Aber das allein wird nicht reichen, es braucht weitere Schritte.- Die da wären?Selbst wenn Banken und Investoren auf das No-Bail-out vertraut hatten, gab es klare Anreize, sich anders zu verhalten und eher riskantere Staatsanleihen ins Portfolio zu nehmen. Die EZB etwa hat die Sicherheiten für Zentralbankgeld unabhängig von der Risikoprämie gleich gewichtet. Das sollte sich ändern und die EZB hat ja auch schon Maßnahmen hierzu ergriffen. Genauso problematisch war, dass Banken Staatsanleihen nicht mit Eigenkapital hinterlegen mussten. Diese Nullgewichtung muss fallen.- Das wird die Politik auf die Barrikaden rufen.Das ist für Regierungen in der Tat nicht einfach, weil sie damit ein Privileg aufgeben und sich teilweise höhere Zinslasten einhandeln. Deshalb geht das auch nicht von heute auf morgen, sondern die Gewichtung muss langsam, aber verbindlich über eine längere Frist steigen. Das ist eine offene Flanke der Bankenunion, bei der die neue Bundesregierung Führung zeigen könnte. Parallel wäre ein Insolvenzregime für Staaten einzuführen. Das Modell, dass ein Investor auch ein Risiko trägt, sollte nicht nur bei der Bankenunion gelten, sondern auch bei der Staatsfinanzierung.- Ist denn in der Politik überhaupt der Wunsch präsent, die Disziplinierungkraft des Marktes für eigene Zwecke einzusetzen? Derzeit geht es doch eher in die andere Richtung: Der Markt muss diszipliniert werden. Starke politische Kräfte wollen sogar die Schröder’schen Agenda-Reformen wieder zurückdrehen.Ich hoffe nicht, dass das geschieht. Immerhin haben die Agenda-Reformen dazu geführt, dass Deutschland als der einst “kranke Mann Europas” sich jetzt bester Gesundheit erfreut. Jetzt geht der Trend hin zu Mindestlöhnen und die Leiharbeit wird diskreditiert. Das sehe ich auch mit Sorge. Die Chancen, dass Menschen wieder in den Arbeitsmarkt finden, würden deutlich verringert. Deutschland hat damals ja keinen Raubtierkapitalismus eingeführt, sondern lediglich für etwas mehr Flexibilität gesorgt. Und die Entscheidung für mehr Markt brachte große Erfolge bei der Beschäftigung.- Was sind denn die drei Top-Prioritäten, welche die neue Bundesregierung jetzt aus Ihrer Sicht angehen sollte?Auf keinen Fall wachstumsfeindliche Steuererhöhungen durchsetzen. Im Gegenteil: Künftigen Finanzierungsspielraum sollte man für Steuersenkungen nutzen. Vor allem gilt das für die Abflachung der kalten Progression. Das andere ist die Reform der Energiewendepolitik. Es gibt hier viel Potenzial, bei gleicher politischer Zielrichtung Einsparungen vorzunehmen, die dann die Haushalte weniger belasten und auch die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen erhalten. Bei der Bildung gibt der deutsche Staat im internationalen Vergleich relativ mehr für Studenten und relativ weniger für Kleinkinder aus. Da der Gewinn für die Gemeinschaft auf der frühkindlichen Seite und für den Einzelnen beim Studium am Größten ist, solle man umschichten.—-Das Interview führten Mark Schrörs und Stephan Lorz.