NOTIERT IN LONDON

Die olympische Seele kostet nichts

Viel ist im Umfeld von "London 2012" über die mit jeden Olympischen Spielen wachsenden Auswüchse der Kommerzialisierung gelästert worden. Viele Londoner ärgerten sich, dass zur raschen Fortbewegung der Funktionäre und Gäste der Olympia-Sponsoren...

Die olympische Seele kostet nichts

Viel ist im Umfeld von “London 2012″ über die mit jeden Olympischen Spielen wachsenden Auswüchse der Kommerzialisierung gelästert worden. Viele Londoner ärgerten sich, dass zur raschen Fortbewegung der Funktionäre und Gäste der Olympia-Sponsoren (die Sportler machten nur den kleinsten Anteil aus) eigens olympische Fahrspuren in der Innenstadt eingerichtet wurden, während die Normalbürger im Stau steckten. Sauer stieß manchem auch die Rechnung auf, wonach die Sponsoren mit 1,1 Mrd. Pfund rund 7 % zu den Gesamtkosten beitrugen, aber für ihre Kunden und Mitarbeiter 13 % der Eintrittskarten zugesprochen bekamen – und dann auch noch überwiegend die begehrtesten. Derweil gingen viele sportbegeisterte Steuerzahler, die den Löwenanteil der Kosten trugen, bei der Ticket-Lotterie leer aus.Nur eine Woche vor der Eröffnung sorgte dann auch noch das Versagen des mit 650 000 Mitarbeitern weltweit größten privaten Sicherheitsdienstleisters G4S für einen Eklat. Die Firma hatte sich als unfähig erwiesen, die vertraglich zugesicherten 10 000 Sicherheitskräfte zu mobilisieren. Als Ersatz mussten Tausende Berufssoldaten einspringen. Doch all die Befürchtungen über angeblich von Kommerz und Gewinnsucht entseelte Spiele lösten sich in Luft auf, kaum war der Rauch der bombastischen Eröffnungsfeier des Filmregisseurs Danny Boyle verflogen. Nicht die Sponsoren vermochten den Spielen ihren Stempel aufzudrücken, sondern jene 70 000 Briten, die an den diversen Sportstätten Freiwilligendienste leisten. Sie geben den Spielen mit ihrer Freundlichkeit, Offenheit und Vielfalt ihren durch und durch britischen Charakter, der das Herz der Besucher erwärmt und einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt.Den vor allem für die Information und Betreuung der Besucher eingesetzten Freiwilligen wurde im Rahmen einer kurzen Einführung nahegelegt, sie sollten bitte den aus aller Welt erwarteten Gästen das Gefühl vermitteln, willkommen zu sein. Wie das umzusetzen sei, blieb ihnen überlassen. Sie ließen sich dabei viel einfallen.”Willkommen im Olympiapark. Bitte nehmen Sie Ihre Karten in die Hand und behalten Sie Ihr Lächeln.” Der Brite ostasiatischer Herkunft setzt das Megafon ab und grinst breit von seinem Hochstuhl auf die Menschenmasse herab, die sich vom Bahnhof Stratford auf einem schmalen Band zwischen violett-rosaroten Abschrankungen in Richtung der Sportstätten schlängelt. “Wie viele Spieler stehen auf dem Volleyball-Feld?”, fragt ein Helfer eine Gruppe von verdutzten Briten, die in der Schlange vor der Sicherheitskontrolle im Messezentrum Earl’s Court stehen. Keiner weiß die Antwort. Bingo! Lächelnd und ungefragt gibt er eine kurze Einführung in die Regeln des auf der Insel wenig bekannten Spiels. Eine junge Frau verwandelt die öde Aufforderung, keine Flüssigkeiten aufs Gelände mitzunehmen, in ein Liedchen, das hüpfend gejohlt wird. Ein weiterer Volunteer verkündet zu später Stunde aus dem Megafon: “Wir lieben die dänischen Gesichtsfarben.” Eine von Kopf bis Fuß in diesen Nationalfarben gekleidete Familie winkt dem Charmeur geschmeichelt zu.Mit einer solch aufmerksamen, charmanten und stets lustigen Umsorgung der Gäste entstand ganz von selbst eine gute Stimmung. Dazu trugen auch die in Kampfuniform an den Sicherheitskontrollen arbeitenden Soldaten bei, die viel freundlicher waren als die von den Flughäfen zur Genüge bekannten (bezahlten) privaten Sicherheitsleute. Die im offiziellen Olympia-Jargon Game Maker genannten Freiwilligen haben sich zu mindestens zehn Tagen Einsatz plus drei bis vier Tagen Ausbildung bereit erklärt. Dafür kriegen sie keinen Penny. Doch das wäre auch gar nicht nötig. Für die Einsätze hatten sich 250 000 Briten gemeldet. Alle in den letzten Tagen befragten Helfer äußerten sich geradezu euphorisch. Sie sind, so lautet der Tenor, glücklich, Teil des in ihrem Leben einzigartigen nationalen Anlasses der Olympischen Spiele sein zu dürfen. Sie repräsentieren die große Tradition der Freiwilligenarbeit in Großbritannien, wo laut offiziellen Statistiken ein Viertel der Bevölkerung regelmäßig Frondienste für den guten Zweck leistet. Mit ihrem Einsatz stellen sie sicher, dass die Spiele eben doch zum Fest des Volkes und nicht der Sponsoren wurden.