Ukraine & Co.

Die Probleme einer EU-Erweiterung

Die Erwartungen sind groß, dass noch dieses Jahr Beitrittsgespräche mit der Ukraine beginnen. Doch das wirft grundlegende Fragen zur EU-Erweiterung auf.

Die Probleme einer EU-Erweiterung

Die Probleme einer EU-Erweiterung

Debatte über Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit der Ukraine wirft grundlegende Fragen auf

Die Debatte über eine Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit der Ukraine wirft grundlegende Fragen zur geplanten Erweiterung der Europäischen Union auf. Es geht um Finanzielles, institutionelle Reformen, die Beitrittsambitionen anderer Länder – und die Frage, ob Kiew überhaupt absehbar reif für den Beitritt ist.

rec Brüssel

Eine baldige Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine legt grundsätzliche Probleme einer EU-Erweiterung offen. Im Raum stehen finanzielle Fragen, institutionelle Reformen und die Beitrittsambitionen anderer Länder. Amtierende und frühere Spitzenpolitiker führen eine kontroverse Debatte, ob die Ukraine überhaupt absehbar die Kriterien für eine Aufnahme in die EU erfüllt.

Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union diskutierten die geplante EU-Erweiterung am Freitag in Granada. Am Rande der informellen Beratungen sagte Bundeskanzler Olaf Scholz, dafür müssten die Entscheidungsstrukturen geändert werden. „Es kann bei Steuern und der Außenpolitik nicht bei der Einstimmigkeit bleiben.“ Die Handlungsfähigkeit der EU muss für Scholz auch mit Blick auf die Größe von EU-Kommission und Europaparlament gewahrt bleiben.

Die Debatte über Vertragsänderungen haben die Regierungen Deutschlands und Frankreichs mit einem gemeinsamen Reformpapier angestoßen. Konkreter könnte es in drei Wochen beim EU-Gipfel in Brüssel werden. Die Zeit drängt. Die Erwartungen sind hoch, dass die 27 EU-Staaten noch in diesem Jahr offizielle Beitrittsgespräche mit der Ukraine eröffnen.

Ihr Dilemma: Die Ukraine hat den Kandidatenstatus erst voriges Jahr bekommen, als Zeichen der Solidarität mit dem von Russland angegriffenen Land. Etliche andere Beitrittskandidaten warten sehr viel länger auf den zweiten Schritt, die Eröffnung konkreter Beitrittsgespräche. Das EU-Parlament fordert, auch die Gespräche mit der Republik Moldau dieses Jahr zu eröffnen. Staaten vom Balkan und die Türkei sind ebenfalls in der Warteschleife.

Juncker contra Michel

„Die Ukraine kann 2030 zur EU gehören“, sagte Ratspräsident Charles Michel diese Woche im Interview mit dem Nachrichtenmagazin „Spiegel“. Er bekräftigte damit Äußerungen aus dem Frühjahr, die nicht wenige in Brüssel und anderen Hauptstädten skeptisch sehen. Denn eine solche Frist droht Erwartungen zu schüren, die nicht zu halten sein könnten. Eine Aufnahme in die EU ist schließlich an Kriterien gebunden.

Prompt meldete sich der frühere EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker zu Wort: Der Luxemburger hält die Ukraine anders als Michel für „nicht beitrittsfähig“, wie er der „Augsburger Allgemeinen“ sagte. „Wer mit der Ukraine zu tun gehabt hat, der weiß, dass das ein Land ist, das auf allen Ebenen der Gesellschaft korrupt ist“, sagte Juncker. Trotz der Anstrengungen Kiews seien „massive interne Reformprozesse“ vonnöten.

Die EU-Kommission hat Verbesserungen etwa im Kampf gegen Korruption zu Bedingungen für Beitrittsgespräche gemacht. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, zu Gast in Granada, gab sich unbeirrt. „Wir haben die sieben Empfehlungen der EU-Kommission fast vollständig erfüllt“, sagte Selenskyj, „und werden in diesem Jahr bereit sein, die EU-Beitrittsgespräche aufzunehmen.“ Die EU-Kommission wird dazu demnächst einen Zwischenbericht veröffentlichen.

EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola redete den Staats- und Regierungschefs ins Gewissen: Wo ein Wille, da ein Weg, sagte sie in Granada. „Jetzt müssen wir unseren Worten Taten folgen lassen.“ Eine Diskussion über die Aufnahmefähigkeit der EU und interne Reformen sei lange überfällig. Ukraine und Moldau „werden bereit sein, der EU beizutreten, und wir müssen ebenfalls bereit sein“.

Bei der EU-Erweiterung geht es nicht zuletzt ums Geld. Denn die Ukraine und andere Beitrittskandidaten hätten Anspruch auf Zahlungen aus dem EU-Haushalt. Im Falle der Ukraine gilt das insbesondere für die Landwirtschaft: Das Land ist einer der weltweit wichtigsten Exporteure von Getreide und Sonnenblumenöl. Subventionen für die Agrarpolitik sind der größte Posten im EU-Haushalt.

Eine Frage des Geldes

Bei einer EU-Erweiterung müssten die anderen EU-Mitglieder deshalb auf Einschnitte gefasst sein. Einen groben Eindruck vermittelt ein Papier aus dem Rat der EU-Staaten, das neuerdings in Brüssel kursiert. Demnach stünden der Ukraine über sieben Jahre schätzungsweise 186 Mrd. Euro aus dem EU-Haushalt zu. Das ist der übliche Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung.

Den Berechnungen liegt die EU-Finanzplanung für den laufenden Turnus bis 2027 zugrunde. Sie sind entsprechend hypothetisch, aber auch in anderer Hinsicht durchaus aufschlussreich. So würden bei einer großen Erweiterungsrunde „viele“ derzeitige Nettoempfänger zu Nettozahlern, zu denen Deutschland seit jeher gehört.

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