IM INTERVIEW: JÖRG KRÄMER UND RALPH SOLVEEN, COMMERZBANK

"Die Rechnung kommt später"

Die Bankenvolkswirte erwarten einen Wandel der Eurozone hin zur "italienischen Währungsunion"

"Die Rechnung kommt später"

Die Reformunwilligkeit der Euro-Krisenländer in Kombination mit einer willigen Notenbank und der Scheu der Geberländer vor einem Bruch verändern die Struktur der Europäischen Währungsunion grundlegend. Jörg Krämer, der Chefvolkswirt der Commerzbank, und sein Kollege Ralph Solveen zu den Folgen dieses Wandels für Europa und vor allen Dingen Deutschland.- Herr Dr. Krämer, Frau Merkel hat in Ottawa die Krisenpolitik von EZB-Präsident Mario Draghi gelobt und scheint damit auch auf Gegenkurs zur Politik von Bundesbankpräsident Jens Weidmann zu gehen. Welche Folgen wird diese Absetzbewegung für die nächsten Wochen, in der wichtige Entscheidungen – etwa in Karlsruhe – anstehen, haben?Jörg Krämer: Die europäischen Politiker haben natürlich ein Interesse daran, dass die EZB Anleihen der strauchelnden Peripherieländer kauft. Je mehr die EZB übernimmt, desto weniger fällt bei den Rettungsfonds EFSF/ESM an. Dann sinkt das Risiko, dass die Regierungen ihre Parlamente wieder einmal bitten müssen, mehr Garantien für die Rettungsfonds bereitzustellen. Der Druck auf die EZB ist hoch, und am Ende dürfte sie in großem Stil Staatsanleihen kaufen. Das Verfassungsgericht wird sich dem nicht in den Weg stellen; im Bereich des Europarechts hat es der Regierung stets viel Freiheit gelassen.- Sie sprechen in Ihrer jüngsten ökonomischen Analyse ganz offen davon, dass sich die Eurozone zu einer “italienischen Währungsunion” wandelt. Was ist darunter zu verstehen – und welche Folgen hat das für die Eurozone insgesamt und Deutschland im Speziellen?Ralph Solveen: Wir haben den Namen gewählt, damit sich jeder vorstellen kann, in welche Richtung die Reise im Euroraum geht. Er wird mittelfristig zahlreiche Parallelen zum Italien der siebziger und achtziger Jahre entwickeln: eine unflexible Wirtschaft, deren Probleme durch eine expansive Geldpolitik, eine hohe Inflation und eine weiche Währung überdeckt werden.- Wie lange kann das funktionieren? Schon formiert sich Widerstand in Deutschland gegen eine so verstandene Währungsunion.Krämer: Die “italienische Währungsunion” dürfte lange Bestand haben. Denn sie wird Wettbewerbsdruck von den reformunwilligen Ländern nehmen. Der weiche Euro wird sie auf den Weltmärkten wettbewerbsfähiger machen. Innerhalb des Euroraums werden sie dadurch Boden gutmachen, dass die niedrigen EZB-Zinsen die Konjunktur und die Lohnkosten in den Kernländern kräftig anschieben.- Was heißt das für Deutschland?Solveen: Zunächst wird es sich gut anfühlen. Schließlich sinkt die Arbeitslosigkeit, und die Löhne und Renten steigen ordentlich. Erst nach einigen Jahren werden die Menschen realisieren, dass die Niedrigzinsen nur eine Scheinblüte erzeugt haben. Langfristig werden wir für die “italienische Währungsunion” mit höherer Inflation und weniger Wachstum bezahlen.- Warum scheinen die Euro-Krisenländer nicht in der Lage oder gar willens zu sein, die nötigen Reformen in ihren Volkswirtschaften durchzusetzen?Krämer: Es gibt Reformen, aber leider nicht in der Breite. Letztlich setzen die Reformverweigerer darauf, dass die Staatengemeinschaft es nicht wagt, einem Peripherieland den Geldhahn zuzudrehen und damit die Existenz der Währungsunion zu gefährden. Die Linksradikalen in Griechenland haben das im Wahlkampf offen ausgesprochen.- Warum ist eine Inflationierung in der Währungsunion in der gegenwärtigen Krise so verführerisch?Solveen: Weil sie kurzfristig der leichtere Ausweg ist. Tiefgreifende Reformen tun zunächst vielen weh, ihre positiven Effekte zeigen sich erst später. Mit einer expansiven Geldpolitik und einer schwächeren Währung kann ich die Probleme erst einmal überdecken, die Rechnung kommt später.- Während in den Niederlanden zunehmend auch deutschlandkritische Töne fallen im Hinblick auf die “harte Haltung” Berlins in der Euro-Krise, zeigt Finnland eher mehr Härte und bringt sogar ein Zerbrechen der EWU in die Debatte. Wird irgendwann auch für Deutschland der Zeitpunkt kommen, da man ein Zerbrechen des Währungsraums hinnehmen sollte?Krämer: Aufwertungsschock für die Kernländer, Überschuldungsprobleme in den Peripherieländern, nicht eintreibbare Target-Forderungen der Bundesbank – die Liste der mit einem Euro-Ende verbundenen Probleme ist lang und schwerwiegend. Nach einem Zerbrechen der Währungsunion würden insbesondere massive politische Konflikte zwischen den ehemaligen Mitgliedsländern der Währungsunion drohen. Es könnte der Warenhandel beschränkt und der gemeinsame Markt zerstört werden. Die in Jahrzehnten gewachsene Arbeitsteilung zwischen den europäischen Volkswirtschaften wäre vernichtet, was zu einer langjährigen Wirtschaftskrise führen dürfte. Die Politiker sind sich bewusst, dass eine saubere Scheidung wohl nicht gelingen würde. Die Wiedereinführung nationaler Währungen ist aus Sicht der Politiker und vieler Wähler deshalb viel zu gefährlich, was wiederum die Lebensdauer der von uns so bezeichneten Form der “italienischen Währungsunion” erhöht.—-Die Fragen stellte Stephan Lorz. ——Szenarien zur Zukunft des Euroraums- Die Volkswirte der Commerzbank gehen davon aus, dass sich die Eurozone zu einer Haftungsunion wandelt und in ihrer Verfasstheit den südlichen Ländern annähert: die “italienische Währungsunion”. Der Euro würde zu einer Schwachwährung verkommen, mehr Inflation, geringes Wachstum und steigende Arbeitslosigkeit wären die Folge. Die Wahrscheinlichkeit dieses Szenarios veranschlagen sie auf 100 %. Gleichwohl haben sie noch weitere Szenarien untersucht: eine “Salami-Union” etwa, bei der ein Land nach dem anderen aus der Eurozone fällt, eine “Verunfallte Union”, die zerbricht, weil es zu einem Bank-run kommt, und eine “Phönix-aus-der-Asche-Union”, bei der die Eurozone gestärkt aus der Krise kommt, weil alle Staaten ihre Hausaufgaben machen. lz——