Die Richtungswahl nimmt Gestalt an
Von Stefan Paravicini, Berlin
Die anstehende Bundestagswahl ist eine Richtungswahl. Das haben die wahlwerbenden Parteien dem Souverän über viele Wochen und Monate eingebläut. Zunächst schien es dabei in erster Linie um die Richtungen zu gehen, die ein grün-schwarzes Bündnis mit Annalena Baerbock als erster Kanzlerin der Grünen oder eine schwarz-grüne Koalition mit CDU-Chef Armin Laschet an der Regierungsspitze einschlagen würde. Doch die Grünen verwelkten schnell und mit der plötzlich wieder unangefochtenen Union schien ein Richtungsentscheid zwischen einem der drei Dreierbündnisse Jamaika-, Kenia- oder Deutschland-Koalition bevorzustehen. Aber dann formte SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz irgendwann im Spätsommer die Raute und vielen Wählerinnen und Wählern dämmerte auf einmal, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht mehr zur Wahl steht. Die Union rutschte ab und warnt seither in höchster Not vor der Gefahr eines rot-grün-roten Bündnisses, womit sie ihre Stammwähler auf den letzten Metern mobilisieren will.
Union in die Opposition
Am Sonntagabend hat die Richtungswahl sehr konkrete Gestalt angenommen. Denn im Rahmen der letzten von drei Fernsehdebatten zwischen Baerbock, Laschet und Scholz im sogenannten „Triell“-Format legten sich SPD und Grüne so klar wie nie in diesem Wahlkampf auf ein gemeinsames Regierungsbündnis fest. Am liebsten würde er mit den Grünen regieren, erklärte Scholz und ließ dabei eine Präferenz für eine Ampel-Koalition mit der FDP erkennen, falls Rot-Grün es zu zweit nicht auf die erforderliche Mehrheit bringen sollte. Viel überraschender aber war, wie deutlich sich Baerbock gegen ein Bündnis mit der Union positionierte. „Ich hielte es für richtig, wenn die Union in die Opposition ginge“, stellte die Spitzenkandidatin der Grünen am Sonntagabend bei ProSieben und Sat.1 klar und legte in einem Interview mit dem „Handelsblatt“ nach. „Vielleicht reicht es am Ende sogar für ein Zweierbündnis zwischen Grün und Rot“, erklärte Baerbock ihre Präferenz. Der Gang in die Opposition sei dagegen keine Option, denn dahin wolle sie die Union schicken.
Er sei sehr froh über diese Klarheit, sagte Laschet. Nun werde allen klar, dass es um eine Richtungswahl gehe. „Gestern fehlten nur die Linken, dann wäre das Bild komplett gewesen“, sagte er im Rückblick auf den rot-grünen Schulterschluss. Rot-Rot-Grün habe andere Vorstellungen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik und würde Deutschland in eine schwere wirtschaftliche Krise stürzen, warnte Laschet. „Nur wer Union wählt, bekommt die Union“, sagte CSU-Chef Markus Söder mit Blick auf die Absage der Grünen an ein Bündnis mit der Union. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt erteilte derweil den Überlegungen, dass die Union auch als Zweitplatzierter bei der Bundestagswahl eine Regierung bilden könnte, eine Absage.
Die Zuspitzung zur Richtungsentscheidung könnte der Union auf den letzten Metern helfen, noch an die SPD heranzurücken. In einer Umfrage von Insa nach dem TV-Triell hat die Union (22%) etwas Boden auf die SPD (25) gutgemacht, während die Grünen (15) stagnieren und FDP (12) sowie Linke (6,5) leicht verloren haben. Welche Richtung die Koalitionsverhandlungen einschlagen, wird am Wahlabend in jedem Fall schwer auszumachen sein.