Die Schlacht von Woterlu
Franzosen haben ein eigenwilliges Verhältnis zu ihrer eigenen Geschichte – vor allem zu ihrer Militärgeschichte. Wenn man durch Paris spaziert, trifft man auf Dutzende Straßen, die nach erfolgreichen Kriegsherren benannt wurden. General Lemonnier, General Margueritte, General Foy, General Blaise, General Michel-Bizot. Zudem gibt es jede Menge Boulevards und Plätze, deren Namen Schauplätze militärischer Erfolge französischer Truppen widerspiegeln: Sebastopol, Austerlitz, Wagram. Ein Schlachtfeld jedoch fehlt: Waterloo. Im Straßenverzeichnis der französischen Hauptstadt findet sich nicht einmal eine Sackgasse, die diesen Namen trägt. Der Eindruck drängt sich auf: Die Franzosen haben es nicht so mit Niederlagen.In Frankreichs Nachbarländern ist das mit den Straßennamen ganz anders. In Deutschland, wo man sich nicht so gerne an Generäle erinnert, ist es beispielsweise äußerst beliebt, ganze Straßenzüge mit den Namen von – in der breiten Öffentlichkeit kaum bekannten – Mitgliedern des Paulskirchenparlaments zu tapezieren. Ernst Moritz Arndt, Friedrich Ludwig (Turnvater) Jahn oder Ludwig Uhland. Deutschlands größter Spaßmacher, Heinz Erhardt, hat deshalb einmal Uhland als “Erfinder der gleichnamigen Straße” bezeichnet. *In Belgien wiederum dominieren zum einen die Monarchen: Leopold, Baldouin, Astrid. Zum anderen ehrt Brüssel die echten Helden des Volkes: Tim-und-Struppi-Erfinder Hergé ist eine Straße gewidmet – und der Chanson-Legende Jacques Brel ebenso wie dem Radsport-Champion Eddy Merckx sogar eine Metrostation. Daneben kennt Brüssel eine ganze Menge von Straßennamen, bei denen wahrscheinlich niemand mehr erklären kann oder will, wie sie zustande kamen. Mein persönlicher Favorit ist die “Rue Lieutenant Albert et Marie-Louise Servais Kinet”, in die ich nicht einmal ziehen würde, wenn man mir eine Wohnung umsonst anbieten würde. Schließlich wäre es jedes Mal eine Qual, am Telefon die Adresse angeben zu müssen. Platz 1 auf der Rangliste meiner Kinder nimmt übrigens die “Rue van Aa” ein – worauf auch immer das anspielt. *Zurück zur Militärgeschichte, zurück nach Waterloo. Das Städtchen, das keine 20 Kilometer südlich von Brüssel liegt, wird in wenigen Tagen internationale Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Denn die Schlacht, in der die Preußen kamen und Napoleon eine herbe Niederlage einstecken musste, jährt sich am 18. Juni zum 200. Mal. 190 000 Besucher werden am “Butte du Lion”, am Löwenhügel, erwartet. Das sind immerhin mehr Touristen als seinerzeit Soldaten (174 000). Waterloo erlebt seine zweite große Schlacht – diesmal allerdings mehr um Pommes und Parkplätze.Ob es sich in diesen Tagen um Einheimische oder um Schaulustige handelt, die man in Brüssels Süden treffen wird, kann man übrigens anhand eines simplen Tests prüfen. Wir Anlieger sprechen von “Waterloo”, die Touristen von “Woterlu” – weil sie es so von Abba gelernt haben. Belgier finden das nicht so doll. Schließlich heißt es ja auch nicht “Heidelbörg” oder “Tschämpsilaises” (sondern Champs-Elysées). *Der Jahrestag der Schlacht – an der Belgier im engeren Sinne nicht beteiligt waren, weil es Belgien als unabhängigen Staat erst 15 Jahre später gab – ist übrigens erneut ein augenscheinliches Beispiel dafür, wie Flamen und Wallonen so ticken. Ursprünglich wollte Belgien – aus touristischen Gründen – eine 2-Euro-Münze in Verkehr bringen, die an Waterloo erinnert. Die Franzosen waren verschnupft und verhinderten dieses Vorhaben mit einem Veto. Die Belgier reagierten darauf in der ihnen eigenen Art: Sie lassen nun eine 2,50-Euro-Waterloo-Münze prägen. Denn die fällt wegen ihres krummen Nennwerts nicht unter die Regeln für Zahlungsmittel, sondern gilt als Sammlerstück, gegen das Frankreich keine Einwände geltend machen kann. Das wird die Nachbarn schmerzen. Denn die haben es ja, wie gesagt, nicht so mit Niederlagen.