DEBATTE ÜBER DIE STAATSSCHULDEN

Die Schulden sind zu hoch! Wirklich?

Unter Ökonomen bricht eine Diskussion los, ob die hohen Verbindlichkeiten von Staaten wirklich eine Gefahr darstellen

Die Schulden sind zu hoch! Wirklich?

Die Finanzkrise 2008 wurde durch faule Kredite ausgelöst. Bekämpft wurde die Krise mit noch mehr Schulden. Seit 2008 sind die Schuldenberge der Staaten noch mal stark gestiegen. Das ist gefährlich, warnen viele Ökonomen. Andere Volkswirte bleiben gelassener. Solange die Zinsen auf einem niedrigen Niveau verharren, seien Schulden gar nicht so schlimm, sagen sie.Von Archibald Preuschat, Frankfurt184 000 000 000 000 Dollar: So hoch war der globale Schuldenberg laut jüngsten Berechnungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) per Ende 2017. Wem diese 184 Bill. Dollar viel vorkommen, den täuscht sein Gefühl nicht. Noch nie zuvor war der weltweite Schuldenstand so hoch: Er betrug 225 % des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP). Ein bisschen erscheint es, als ob die Welt nichts gelernt hat.Gut zehn Jahre liegt die globale Schuldenkrise, die im Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers gipfelte, jetzt zurück. Auslöser war eine Überschuldung. Bekämpft haben die meisten Staaten die Krise mit noch mehr Schulden. Die Statistiken des IWF sprechen auch mit Blick auf die Staatsverschuldung eine deutliche Sprache: Zwischen 2008 und 2018 legten die Staatsschulden in der Eurozone um 14,5 Punkte auf jetzt 85 % des BIP zu. In den sieben größten Industrienationen (G7) stiegen die Staatsschulden noch stärker um 27 Punkte auf 117 %. Japan, dessen Staatsverschuldung im abgelaufenen Jahr mit mehr als 230 % des BIP zu den höchsten in der Welt gehört, hat sich vorgenommen, die hohen Schuldenstände auf die Agenda der G20-Staaten, der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, zu setzen. Japan hat in diesem Jahr die Präsidentschaft der G20 inne. Alles nur halb so schlimm?Doch wie gefährlich ist die Lage, droht eine neue globale, womöglich weitaus schlimmere Schuldenkrise oder ist alles nur halb so schlimm und hohe Schuldenstände die neue Normalität?In den volkswirtschaftlichen Lehrbüchern werden die negativen Folgen einer hohen Staatsverschuldung deutlich dargestellt: Durch das Bedienen der Schulden wird der Handlungsspielraum der aktuellen wie auch nachfolgender Generationen eingeschränkt. Die Zinsen steigen, weil öffentliche Schulden die private Kreditnachfrage verdrängen. Steuererhöhungen drohen, um das Gemeinwesen finanzieren zu können. Hohe Schulden dämpfen das Wachstum – so die noch verbreitete Sicht. Erreicht der Schuldenberg ein nicht mehr tragfähiges Niveau, droht gar der Staatsbankrott. Dass dies nicht nur Thesen aus dem Lehrbuch sind, zeigt die griechische Staatsschuldenkrise ebenso wie die Situation Argentiniens und der Türkei im vergangenen Jahr.Für Jörn Quitzau, Volkswirt bei Berenberg, steht fest: “Die Schulden sind zu hoch. Sie waren vor 15 Jahren zu hoch, als das Thema noch niemanden interessierte. Sie waren vor zehn Jahren zu hoch, sie waren auch vor fünf Jahren zu hoch, als man von der Krise zermürbt war.” William White, der frühere Chefökonom der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), kann für sich in Anspruch nehmen, einen guten Riecher für drohende Finanzkrisen zu haben. Sagte er die von 2008 doch schon 2003 voraus. Und auch heute, als Berater für die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), warnt White eindringlich: Die Ultraniedrigzinspolitik seit der Finanzkrise hat die Risikobereitschaft noch verstärkt. Die Chance, Schuldenberge abzutragen, wurde vertan: “Der besorgniserregendste Nebeneffekt der jüngsten Geldpolitik war der kontinuierliche Anstieg der nichtfinanziellen Schulden zum globalen BIP.” GegenbewegungMittlerweile bildet sich aber – insbesondere in den hoch verschuldeten USA – unter Volkswirten eine Gegenbewegung heraus, die einen hohen Verschuldungsgrad für gar nicht so schlimm halten. Eine Ansicht, die nicht zuletzt der ehemalige Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds (IWF), Olivier Blanchard, vertritt: “Niedrige Zinsen bedingen nicht nur, dass Staatsschulden geringe fiskalische Kosten haben, sondern auch, dass sie nur geringe Kosten für das Gemeinwohl bedeuten.”Blanchard argumentiert dabei, dass hohe Schulden nicht zwangsläufig zu künftig höheren Steuern führen: “Die Zinssätze von heute sind nicht nur niedrig, sondern liegen unter den Wachstumsraten. Zum Beispiel übersteigen die 10-jährigen Prognosen der nominalen US-Wachstumsraten die 10-jährigen nominalen Zinssätze für US-Staatsanleihen um etwa 1,2 %.” In anderen großen fortgeschrittenen Volkswirtschaften macht Blanchard sogar noch größere Unterschiede aus: in Großbritannien 2,3 %, in der Eurozone 1,7 % und in Japan 1,4 %. “Wenn diese Ungleichheit in der Zukunft gilt, entstehen für die Schulden keine fiskalischen Kosten.” Auch unterstellt Blanchard nur niedrige zukünftig von der Allgemeinheit zu tragende Kosten. Kritiker werfen ein, dass die derzeitige Ungleichheit zwischen dem sicheren Zinssatz und der Wachstumsrate nicht von Dauer sein wird, womöglich auch ein Erbe der Finanzkrise ist.Der Ökonom führt aber aus, dass das Ungleichgewicht zwischen sicherem Zinssatz und Wachstumsrate in langen Zeitreihen betrachtet mit Ausnahme der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts eher die Regel als die Ausnahme ist.Blanchard will seine Theorie aber ausdrücklich nicht als Lizenz zum Schuldenmachen verstehen. “Schulden sind schlecht, aber sie sind eben nicht katastrophal”, will er seine Botschaft verstanden wissen. Schulden können – sollten aber richtig – verwendet werden, etwa zur Finanzierung von Infrastrukturprojekten.Auch wenn er Schulden nicht die Absolution erteilen möchte und auch die Verschuldung zur Umsetzung der US-Steuerreform mitnichten gutheißt, seine Worte hallen nach, vor allem in den USA: James Bradford DeLong, Ökonom an der University of California, Berkeley, und ehemaliger Stellvertreter des damaligen US-Finanzministers Lawrence Summers, schrieb jüngst in einem Gastbeitrag, er habe sowieso nicht verstanden, warum sich Politiker im “globalen Norden” in den vergangenen zehn Jahren so einen Kopf über die Staatsverschuldung gemacht hätten. Für DeLong ist der Zinssatz “eindeutig ein Maß für die Kosten von Schulden und Defiziten”. Nicht per se bestrafenDie Ratingagenturen fordert Blanchard derweil zum Umdenken auf: “Wenn die fiskalischen Kosten der Schulden gering sind, sollten die Länder nicht für hohe Schulden per se bestraft werden.”Dietmar Hornung, Staatenrating-Analyst bei Moody’s, mag sich aber nicht auf eine Betrachtungsweise beschränken lassen. Das Modell der Ratingagentur berücksichtige sowohl die Schuldenlast als auch die Zinskosten. Die fiskalischen Kosten als das Verhältnis von Zinszahlungen zu Staatseinnahmen allein böten aber keinen verlässlichen Anhaltspunkt für die langfristige Bonität eines Landes, darum berücksichtige Moody’s auch die Schuldenlast als das Verhältnis von Schulden zu BIP bei der Bonitätsprüfung.