UNTERM STRICH

Die schwarze Null ist ein tiefrotes Minus

Börsen-Zeitung, 11.1.2020 Während ein Nullzinsniveau zum Ausdruck bringt, dass dem Gegenwartskonsum kein höherer Wert beigemessen wird als künftigem Konsum, ist dieser Paradigmenwechsel in der politischen Welt noch nicht angekommen. Politiker buhlen...

Die schwarze Null ist ein tiefrotes Minus

Während ein Nullzinsniveau zum Ausdruck bringt, dass dem Gegenwartskonsum kein höherer Wert beigemessen wird als künftigem Konsum, ist dieser Paradigmenwechsel in der politischen Welt noch nicht angekommen. Politiker buhlen um Gunst und Wählerstimmen, indem sie heute Leistungen versprechen, deren Bezahlung erst in der Zukunft erfolgt. In alternden Gesellschaften wie der deutschen erscheint das als besonders erfolgversprechend. Eine Partei, die Wählerzuspruch bekanntlich dringend nötig hat, ist die SPD. Da sie mit ihrer Programmatik zur Umverteilung von Reich zu Arm in ihrer traditionellen Klientel zunehmend an Grenzen stößt, weil 70 Jahre Marktwirtschaft auch die Arbeiterklasse und Angestellte zu kleinen Vermögensbesitzern gemacht hat, ergänzt sie ihre Agenda um die Umverteilung zwischen den Generationen. Vor allem vor diesem Hintergrund sind die diversen Vorstöße des neuen Führungsduos der Partei und insbesondere ihres Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans zur Rentenreform zu sehen. Wechsel auf die ZukunftDer ehemalige Finanzminister von Nordrhein-Westfalen müsste wissen, was für einen Unfug er fordert, wenn er die Beitragsbemessungsgrenze abschaffen will. Denn den heute höheren Beiträgen der Gutverdienenden für die Rentenkasse stünden in der Zukunft auch höhere Rentenansprüche dieser Beitragszahler gegenüber. Es wäre also ein weiterer Wechsel auf die Zukunft, wie es der Generationenvertrag im deutschen Rentenversicherungssystem ja grundsätzlich schon ist. Aus Sicht der Politik ist das Schöne an solchen Wechseln, dass man sich fürs Verteilen von Wohltaten – Stichworte Rente mit 63 und Grundrente – feiern lassen kann, ihre in der Zukunft fällige Einlösung im öffentlichen Bewusstsein aber weitgehend verdrängt wird. Hohe implizite Staatsschuld Das wäre so, als wenn ein Unternehmen sein Fabrikgelände im Sale-and-Lease-back verkauft, um aus dem Erlös ein großes Betriebsfest und Sonderzahlungen zu finanzieren. Immerhin müsste das Unternehmen die Leasingverpflichtungen bilanzieren, während der Staat für seine Leistungsversprechen keine Rückstellungen bilden muss. Während die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse und mehr noch das Haushaltsziel der schwarzen Null aktuell die Gemüter erregt, kräht bisher kein Hahn nach den Folgen der großzügig ausgestellten Wechsel auf die Zukunft, im Fachjargon implizite Staatsverschuldung genannt.Das perfide an dieser Form der Umverteilung ist, dass sie scheinbar nichts kostet. Die junge Generation, die dereinst für die heutige Großzügigkeit aufkommen muss, ist politisch noch zu grün hinter den Ohren. Die Jungen haben zwar kapiert, dass der ihnen von den Eltern und Großeltern gebotene Wohlstand mit einem hohen Verbrauch natürlicher Ressourcen und zunehmenden Klimaschäden einhergeht, und sie protestieren – vornehmlich freitags – dagegen. Dass aber auch die Finanzierung dieses Wohlstandes alles andere als nachhaltig ist und am Ende von ihnen zu tragen sein wird, ist den wenigsten der jungen Generation bewusst. Dabei fehlt es hierzu ebenso wenig an verlässlichen Daten und Hochrechnungen wie zu den Klimaschäden. Die Stiftung Marktwirtschaft errechnet eine “Nachhaltigkeitslücke” von 226 %, ermittelt aus den gesamten Schulden der öffentlichen Hand in Deutschland im Jahr 2019 von 7,6 Bill. Euro in Relation zum BIP von 2018 in Höhe von 3,4 Bill. Euro. Ein Drittel dieser Schulden sind die explizite Staatsschuld, bereits zwei Drittel entfallen aber auf die implizite Staatsschuld, also staatliche Leistungsversprechen für die Zukunft, die durch das heutige Steuer- und Abgabenniveau nicht gedeckt sind. Allein gegenüber dem Vorjahr hat sich die implizite Staatsschuld von 81 % des BIP auf 165 % des BIP glatt verdoppelt. Und die künftigen Defizite in der gesetzlichen Rentenversicherung stellen bei Fortschreibung des Status quo mit 78 % des BIP bereits die Hälfte der impliziten Staatsverschuldung. Drohende StaatspleitenDa die Risiken der Finanzwelt in einer globalen Welt ähnlich wie die Klimabelastungen nicht an nationalen Grenzen haltmachen, lohnt der Blick auf das große Ganze. Die globalen Schulden aller öffentlichen und privaten Haushalte dieser Welt schätzt der IWF auf 188 Bill. Dollar. Das wären 226 % des Welt-BIP und damit eine ähnliche Relation wie die für Deutschland ermittelte Nachhaltigkeitslücke. Allerdings ist in der IWF-Zahl auch die private Verschuldung enthalten, nicht aber die implizite Verschuldung. Letztere liegt freilich in den meisten anderen Industrieländern deutlich niedriger als in Deutschland und in Schwellenländern spielt sie keine Rolle.Was ist an einer Verschuldung von 226 % des BIP so schlimm? Nichts – wenn die Notenbanken der Welt in der Lage wären, den Zins dauerhaft bei null zu halten. Das wird aufgrund der unterschiedlichen Konjunkturen und Haushaltspolitiken in den großen Industrie- und auch Schwellenländern aber ebenso wenig funktionieren wie das Einfrieren der Erderwärmung auf null Grad. Angesichts der in den letzten Jahrzehnten hochgeschossenen, von der Niedrigzinspolitik der Notenbanken noch geförderten Verschuldung sind damit vielen Ländern heute schon Fesseln angelegt. Ein auch nur geringfügiger Zinsanstieg hätte für etliche Länder ein abruptes Ende des süßen Lebens auf Pump zur Folge, für manche den Staatsbankrott. In Deutschland würde aus der impliziten Staatsschuld schnell eine nicht mehr finanzierbare explizite Verschuldung mit der Folge eines Schuldenschnitts in Gestalt von Leistungskürzungen.Fazit: Die so heftig kritisierte schwarze Null ist in Wahrheit – bei Berücksichtigung der impliziten Verschuldung – ein dickes rotes Minus, weil die Ausgabenspielräume für Konsum anstatt für Investitionen genutzt und zusätzliche Leistungen mit Wechseln auf die Zukunft finanziert wurden. – c.doering@boersen-zeitung.de——-Von Claus DöringDie so umstrittene schwarze Null ist in Wahrheit – bei Berücksichtigung der impliziten Staatsverschuldung – ein dickes rotes Minus.——