IM BLICKFELD

Die Schweiz zappelt am Angelhaken der US-Justiz

Von Daniel Zulauf, Zürich Börsen-Zeitung, 25.4.2012 "In einem Bächlein helle . . ." - Franz Schuberts Melodie zum Lied der quirligen Forelle, die zu ihrem eigenen Verderben auch im trüben Gewässer weiterjagte, müsste den Schweizer Bankiers und...

Die Schweiz zappelt am Angelhaken der US-Justiz

Von Daniel Zulauf, Zürich”In einem Bächlein helle . . .” – Franz Schuberts Melodie zum Lied der quirligen Forelle, die zu ihrem eigenen Verderben auch im trüben Gewässer weiterjagte, müsste den Schweizer Bankiers und ihren verstummten Helfern aus der Politik gerade in diesen Zeiten besonders vertraut in den Ohren klingen. Sorglosigkeit, Selbstüberschätzung und wohl nicht zuletzt auch eine Portion Gier veranlassten im Jahr 2008 gleich mehrere Banken zur Jagd auf rund 20 000 US-Kunden, die die UBS nach ihrem erzwungenen Ausstieg aus dem Offshore-Geschäft nicht mehr weiter betreuen durfte und wollte.Als Jäger versuchten sich dabei keineswegs nur die im weltweiten Geschäft erfahrenen Vermögensverwalter, sondern auch die bieder-konservativen öffentlich-rechtlichen Kantonalbanken aus Zürich und Basel. Auch die kleine alteingesessene Privatbank Wegelin aus St. Gallen witterte eine einmalige Chance, schnell an neue Kunden zu kommen.Die Banken haben sich dabei aber gründlich verkalkuliert, wie die Schweiz seit einigen Monaten immer deutlicher erkennen muss. Vorläufiger Höhepunkt: Im Januar verklagte die US-Justiz die Bank Wegelin wegen Steuerhinterziehung. Die unbeschränkt haftenden Teilhaber der Bank sahen sich gezwungen, das von der Klage unbehelligte Schweizer Geschäft an die Raiffeisen-Gruppe zu verkaufen. Möglicherweise wird den Wegelin-Partnern von ihrem Verkaufserlös nicht mehr viel übrig bleiben, wenn der amerikanische Strafprozess vorüber ist.Der transatlantische Steuerstreit schwelt allerdings schon seit bald eineinhalb Jahren und er hat dabei laufend an Intensität gewonnen. Seitdem sich die UBS im Februar 2009 mit der amerikanischen Justiz auf einen Vertrag zur Aussetzung der Strafverfolgung (Deferred Prosecution Agreement) einigen konnte und dafür eine Buße von 780 Mill. Dollar zahlte, haben die US-Behörden weitere elf Schweizer Banken ins Visier genommen. Elf Banken im VisierBetroffen sind neben den bereits genannten auch der Schweizer Ableger der britischen HSBC, Bank Julius Bär, die Liechtensteinische Landesbank, die nicht mehr aktive Neue Zürcher Bank, die Schweizer Niederlassungen der israelischen Banken Leumi, Hapoalim und Mizrahi sowie allen voran die Credit Suisse.Die Großbank wurde im Juni 2011 als erstes der elf Institute von der US-Justiz offiziell über die Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens informiert. Seit Dezember wissen auch die anderen (mit Ausnahme der drei israelischen Banken) offiziell, dass sie im Visier der amerikanischen Ermittler stehen. Nach der Offenlegung der Kontodaten von 4 500 mutmaßlichen Steuersündern, auf die sich die Schweiz und Amerika in einem separaten Staatsvertrag geeinigt hatten, haben die US-Ermittler über eine Flut von Selbstanzeigen und Befragungen von Schweizer Bankern große Mengen an zusätzlichem Beweismaterial gesammelt.Seither hat die US-Justiz den Druck auf die Schweizer Banken laufend erhöht. Unbestätigten Informationen aus Schweizer Medien zufolge, sollen die US-Behörden bei den zuständigen Stellen im Finanzministerium bereits im Dezember auf die Herausgabe von insgesamt 6 500 Kundendossiers der elf Banken gedrungen haben. Eine schwerwiegende Forderung, wie auch die US-Behörden wissen mussten. Denn unter dem seit 1996 mit den USA geltenden Doppelbesteuerungsabkommen genießen amerikanische Steuerhinterzieher immer noch den Schutz des Bankgeheimnisses. Amtshilfe leistet die Schweiz unter dem inzwischen zwar geänderten, aber noch immer nicht ratifizierten Staatsvertrag nur im Fall von Steuerbetrug.Durch die Klage gegen Wegelin ist das Gerangel um die Datenlieferung – von den US-Behörden vermutlich gewollt – hektischer geworden. Im Februar sicherte die unter Druck geratene Schweizer Regierung den Amerikanern eine umfangreiche Lieferung von internen Bankdaten zu, welche die US-Behörden in ihren Strafuntersuchungen als Beweismittel verwenden können. Dabei ging es allerdings nicht um die vom Bankgeheimnis geschützten Kundendaten im engeren Sinn, sondern um Informationen aus E-Mails und Protokollen rund um das Gebaren der Schweizer Banken im amerikanischen Offshore-Geschäft. Die Schweizer stellten den US-Behörden dabei eine vollständige Entschlüsselung der Daten in Aussicht, wenn sich die Länder auf eine Lösung des Steuerstreites geeinigt haben. Die Angst ist großAllein der Umstand, dass der Schweizer Bundesrat den US-Behörden so weit entgegenzukommen versuchte, dass er den gewagten Versuch unternahm, eine exakte Trennlinie zwischen streng vertraulichen Kundendaten und allgemeinen Informationen zu ziehen, macht deutlich, wie groß die Angst der Schweizer gewesen sein muss, dass die US-Justiz versuchen könnte, über eine weitere Klage gegen eine größere Bank nach dem Vorbild der UBS eine Datenherausgabe am bestehenden Schweizer Recht vorbei zu erzwingen.Die Bestrebungen von Staatsekretär Michael Ambühl, der auf Schweizer Seite für die Verhandlungen im Steuerstreit zuständig ist, zeigten in der Folge keinerlei Fortschritte mehr – im Gegenteil. Auf US-Seite herrschte unvermittelt Funkstille. Vergeblich warteten Ambühl und die elf klagegefährdeten Banken auf Signale, dass die sehnlichst erhoffte Vereinbarung zur Aussetzung der Strafverfolgung bald zustande kommen könnte. Auch der Befreiungsschlag für die übrigen mehr als 300 Banken, die sich mit einer pauschalen Zahlung für mutmaßlich Steuervergehen in der Vergangenheit freizukaufen hofften, schien plötzlich wieder in den Bereich des Wunschdenkens entschwunden zu sein.Vor zwei Wochen spitzte sich die Situation noch weiter zu. Die Ursache dafür war diesmal ein Urteil des Schweizer Bundesverwaltungsgerichtes, das die Position eines amerikanischen Credit-Suisse-Kunden stützte, der sich gegen die Auslieferung seiner Kontodaten wehrte. Der Richterspruch streute Sand in ein laufendes Amtshilfeverfahren, mit dem die Amerikaner um Informationen über mutmaßliche Steuerbetrugsdelikte in 650 Fällen nachsuchten. Seit dieser Entscheidung haben die Schweizer Behörden einer vorzeitigen Entschlüsselung eines Teils des im Februar in die USA gelieferten Datenmaterials zugestimmt.Die Schweizer Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf traf sich am vergangenen Wochenende in Washington in Sachen Steuerstreit mit ihrem Amtskollegen Timothy Geithner und Justizminister Eric Holder. Offensichtlich hat nun also auch Amerika die Steuervergehen der Schweizer Banken zur Chefsache erklärt. Dies habe zu einer “Entkrampfung”, der Beziehungen geführt, sagte Widmer-Schlumpf. Ebenso ist in den vergangenen Tagen aber klar geworden, dass die Schweiz einen hohen Preis bezahlen muss, um von der US-Justiz-Angel freizukommen.