LEITARTIKEL

Die Selbstblockade

Auch nach der Septembersitzung des Offenmarktausschusses der US-Notenbank (FOMC) verharren die kurzfristigen Zinsen unter 0,25 %. Eine große Überraschung ist das zwar nicht. Es werde wohl doch eher Dezember, prognostizierte eine Mehrheit der...

Die Selbstblockade

Auch nach der Septembersitzung des Offenmarktausschusses der US-Notenbank (FOMC) verharren die kurzfristigen Zinsen unter 0,25 %. Eine große Überraschung ist das zwar nicht. Es werde wohl doch eher Dezember, prognostizierte eine Mehrheit der US-Ökonomen noch kurz vor der Zinssitzung. Fed-Chefin Janet Yellen wurde am Donnerstag indes nicht müde, zu betonen, dass der Zeitpunkt des Einstiegs letztlich nicht so wichtig sei. Man habe eben noch etwas abwarten wollen, um die Auswirkungen der weltweiten Konjunkturabschwächung auf die heimische Wirtschaft einschätzen zu können. Auch viele Ökonomen bliesen ins gleiche Horn und betonen im Anschluss an die Zinssitzung, dass sich an der fundamentalen Einschätzung der Fed und ihrer mittelfristigen Strategie damit nichts geändert habe. Sie verschiebe sich nur etwas weiter nach hinten.Nur eine leichte Verschiebung also? Das kann man auch anders sehen. Die Einschätzung gilt zwar, wenn die Zinsprognose vom diesjährigen Juni mit der vom September verglichen wird. Doch ein so kurzer Betrachtungszeitraum lässt nur in den seltensten Fällen tektonische Verschiebungen beobachten. Über eine längere Betrachtungsdauer zeigt sich indes, dass die Fed seit Einführung der Zinsentwicklungsprojektionen (Dot-Plots) im Januar 2012 stetig nach unten korrigieren musste. Ursprünglich hatte das Gros der FOMC-Mitglieder bereits für 2014 mit mehreren Zinsanhebungen gerechnet. Ende 2014 war dann zunächst noch März oder Juni 2015 als Beginn der Zinswende im Visier. Dann wanderte die Erwartung in Richtung Juni oder September, wenig später auf September oder Dezember und mittlerweile lauten die Einschätzungen auf Dezember oder gar erst Anfang des kommenden Jahres. Das ist keine leichte Verschiebung, sondern eine Serie fast schon pathologisch optimistischer Fehleinschätzungen. Über die gesamte Zeitspanne hat die US-Wirtschaft moderates Wachstum gezeigt. Die Arbeitslosenquote ist überraschend deutlich auf 5,1 % und damit unter den Zielwert gesunken. Nur die Teuerungsrate hinkt dem Inflationsziel hinterher.Doch die seit langem gedämpfte Inflation allein ist es nicht, welche die Fed von einem Zinsschritt abgehalten hat. Die US-Notenbank begründet das erneute Stillhalten mit den internationalen Konjunkturproblemen – insbesondere in China – sowie den davon ausgelösten Finanzmarktturbulenzen. Und da liegt der Unterschied zur bisherigen Linie: Die Fed kündigt explizit an, die internationale Entwicklung “zu beobachten”. Damit wird faktisch eine weitere Hürde aufgestellt, die es vor Zinsentscheidungen zu nehmen gilt.Notenbankchefin Yellen mag sich weiter optimistisch äußern, dass dieses Jahr noch die Zinsen erhöht werden – vielleicht sogar schon im Oktober, wie sie andeutete. Abhängig ist sie nun aber auch von der Entwicklung im Ausland. Dass die US-Inflationsrate bis zum Jahreswechsel wesentlich zulegt, erwarten nicht einmal die in der Vergangenheit chronisch optimistischen FOMC-Mitglieder. Im Gegenteil: Sie haben ihre diesbezüglichen Erwartungen für das laufende Jahr seit Juni um 30 Basispunkte auf 0,4 % gesenkt. Auch für die kommenden Jahre wurde die Inflations- ebenso wie die Wachstumsprognose reduziert. Nur die Arbeitslosenquote entwickelt sich besser als befürchtet. Angesichts der niedrigsten Beschäftigungsquote seit den 1970er Jahren hat auch dieser Erfolg indes ein Haar in der Suppe.Ohne große Verschiebungen der nationalen Konjunkturkennziffern bis zum Jahresende steigt die Bedeutung der nun stärker berücksichtigten internationalen Entwicklungen. In China wird derzeit von vielen Ökonomen zumindest kurzfristig eher eine Verschärfung als eine Entspannung der Lage befürchtet. Wenn die Fed also schon aktuell das Risiko scheut, eine Zinswende einzuleiten, dürfte sich dies so bald kaum ändern. Selbst wenn es zu einer Zinsanhebung kommt, schätzen Wall-Street-Händler derzeit die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr zum Nullzins binnen zwei Jahren auf immerhin 20 %. Eine solch schmerzhafte Kehrtwende will Yellen sicher vermeiden. Auch deshalb wartet sie zu. “Die Fed läuft Gefahr, zur Geißel der Märkte zu werden”, befindet Vanguard-Ökonom Roger Aliaga-Diaz. Dabei hängt deren Volatilität wesentlich an der Unsicherheit über die kommenden Schritte der Notenbank, wie die Achterbahnfahrt am Aktienmarkt nach dem Zinsentscheid eindrucksvoll gezeigt hat. Die niedrigen Zinsen könnten daher noch weit länger Bestand haben, als man sich heute vorstellen mag. Der Offenmarktausschuss hat sich mit seinen neuen Entscheidungsparametern unfreiwillig selbst blockiert.——–Von Sebastian SchmidDie US-Notenbank wartet mit der Zinserhöhung auch wegen der Märkte. Dabei ist sie mit ihrer Politik ein wesentlicher Treiber der gestiegenen Marktvolatilität.——-