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Die stille Retterin des Rubel

Von Eduard Steiner, Moskau Börsen-Zeitung, 16.10.2015 Weil sie trotz Wirtschaftsorkan einen Finanzkollaps vermieden hat, wurde Elwira Nabiullina vom Fachmagazin "Euromoney" zur Notenbankerin 2015 gekürt. Was hat sie richtig gemacht und warum hat...

Die stille Retterin des Rubel

Von Eduard Steiner, MoskauWeil sie trotz Wirtschaftsorkan einen Finanzkollaps vermieden hat, wurde Elwira Nabiullina vom Fachmagazin “Euromoney” zur Notenbankerin 2015 gekürt. Was hat sie richtig gemacht und warum hat Kremlchef Wladimir Putin auf sie gesetzt?An den Beginn der 51. Woche des Vorjahres wird Nabiullina lieber nicht erinnert werden wollen. Mit einem Schlag war der Kollaps des russischen Finanzsystems zum Greifen nah gekommen und wäre binnen weniger Stunden ziemlich sicher eingetreten, wenn falsch gehandelt worden wäre. In Windeseile zog Nabiullina die Notbremse und setzte den Leitzinssatz von 10,5 % auf 17 % in die Höhe. Letztlich wirksam, wie sich bald herausstellen sollte. Der große Finanzcrash mit dem befürchteten Bank-Run war abgewendet. Notenbankerin des JahresAuch deshalb hat das in London editierte Fachmagazin “Euromoney” in seiner Oktoberausgabe Nabiullina zur Notenbankerin des Jahres gekürt. Seit 15 Jahren vergibt das Magazin diesen Titel. Nabiullina, eine zierliche Frau mit kaum hörbarer Stimme, bedankte sich sichtlich glücklich. Ihre Verdienste gehen freilich weit über diesen Zinskraftakt hinaus. Generell habe sie dem wirtschaftlichen Sturm, der Anfang 2014 über das Land hereingebrochen ist und 2015 zu einer Rezession geführt hat, mit vernünftigen Maßnahmen Widerstand geleistet, betonte die Jury.In der Tat durchlebt Russland die schwerste Wirtschaftskrise seit dem Rubelcrash 1998 und der globalen Finanzkrise 2008. Die Zentralbank selbst prognostiziert für das Gesamtjahr eine Kontraktion der Wirtschaftsleistung von 3,9 bis 4,4 % und erwartet – im Unterschied zu manch anderen optimistischeren Institutionen – auch 2016 einen Abschwung um bis zu 1 %.Zum Faktum der Systemkrise gesellten sich die Sanktionen des Westens wegen des Konflikts in der Ostukraine und der Ölpreisverfall, der den Rubel zwischen Sommer und Dezember 2014 im Wert halbierte. Zum Jahresende 2014 betrug der Kapitalabfluss 156 Mrd. Dollar. Die Inflation, deren Drosselung im Laufe der vergangenen Jahre zum Hauptziel der Zentralbank geworden war, zog kräftig an, die Gold- und Währungsreserven begannen zu schwinden.In dieser Situation musste Nabiullina nicht nur Liquidität bereitstellen, damit die Firmen ihre Auslandsschulden bedienen konnten. Um die Währungsreserven nicht länger zur Stützung des fallenden Rubel zu verschwenden, hat sie sich Anfang November 2014 auch dazu entschieden, den zuvor sukzessiven Übergang zum freien Wechselkurs mit einem Schlag abrupt zu vollziehen. Ein Paukenschlag, mit dem sie allerdings weitgehend Beifall erntete.Heute sind die von Nabiullina gesparten Milliarden Gold wert. Weil der Kreml und die Regierung vor einschneidenden Reformen zurückschrecken, müssen die Finanzreserven herhalten, um das Budget zu retten. Intime Kennerin der MachtDie 51-jährige Zentralbankchefin Nabiullina, die für die allernächste Zeit eigenen Worten zufolge keine große Volatilität beim Rubelkurs erwartet und den Leitzins inzwischen wieder auf 11 % gesenkt hat, weiß um die Denkart im Kreml durchaus Bescheid. Schließlich kennt sie die Machthaber aus nächster Nähe. Bis zu ihrer Ernennung zur Zentralbankchefin Mitte 2013 nämlich hatte die ausgewiesene Expertin für Makroökonomie ein Jahr lang als Präsidentenberaterin fungiert. Zuvor immerhin fünf Jahre lang als Wirtschaftsministerin. Noch früher als Leiterin des wirtschaftlichen “Zentrums für strategische Konzepte”, das einmal als Schattenkabinett angedacht war.Das schafft eine gewisse Nähe zum Kremlchef, die sich andererseits gerade in den Vorstellungen über die Wirtschaftspolitik auf den ersten Blick nicht aufdrängen würde. Von der freien Marktwirtschaft geprägt wurde Nabiullina nämlich schon in den neunziger Jahren. Einer ihrer Mentoren war Jewgeni Jasin, Ex-Wirtschaftsminister und heute akademischer Leiter der renommierten Moskauer Higher School of Economics. Rektor dieser Schule ist übrigens Jaroslaw Kuzminow, Nabiullinas Ehemann.Putin hat im Laufe seiner langen Amtszeit eben nicht nur Weggefährten aus dem KGB an die Schaltstellen des Staates gehievt, sondern zur Wahrung einer gewissen Balance eben auch liberalere Geister. Im Einfluss können sie sich mit den dirigistischen Hardlinern freilich nicht messen. Da kann es schon vorkommen, dass selbst Nabiullina für einen Termin bei Putin mehrere Stunden im Vorzimmer des Kremlchefs warten musste, obwohl angesichts der Rubelkrise der Hut brannte, wie Eingeweihte zu erzählen wissen. Arbeit gibt es noch genugJedenfalls hätten Nabiullina und ihr Team die Währungskrise überwunden, meint Jasin im Gespräch. Es sei nur die erste Phase der Wirtschaftskrise gewesen. Ihr folgen die Krise der Realwirtschaft und die Vertrauenskrise. Diese sind schon nicht mehr Nabiullinas Zuständigkeit. Sie hat auch so noch Berge an anderen Aufgaben. Das Aufräumen des äußerst fragmentierten Bankenmarktes etwa. Waren vor einigen Jahren noch über 1 000 Geldinstitute auf dem Markt, sind es inzwischen an die 800. Dass man am Ende eine Anzahl von 200 bis 300 anpeile, dementiert Nabiullina: Die Institute müssten lediglich “gesund” sein, sagt sie.Im Übrigen blickt sie nach vorn. Sollte die Volatilität beim Rubel enden, könne man die Währungsreserven wieder aufstocken, meinte sie kürzlich. Zu Wochenbeginn konnte sie vermelden, dass im dritten Quartal zum ersten Mal seit Mitte 2010 Russland Kapital zugeflossen ist – und zwar netto 5,3 Mrd. Dollar.