IM BLICKFELD

Die Suche nach dem Mehrwert im künftigen EU-Budget

Von Andreas Heitker, Brüssel Börsen-Zeitung, 10.1.2018 Die Beratungen über die Finanzausstattung der EU nach dem Brexit gehen in die heiße Phase. Nach ersten Sondierungen auf einer Expertenkonferenz zu Wochenbeginn wird sich heute erstmals das...

Die Suche nach dem Mehrwert im künftigen EU-Budget

Von Andreas Heitker, BrüsselDie Beratungen über die Finanzausstattung der EU nach dem Brexit gehen in die heiße Phase. Nach ersten Sondierungen auf einer Expertenkonferenz zu Wochenbeginn wird sich heute erstmals das Kollegium der EU-Kommission mit dem Thema befassen. Haushaltskommissar Günther Oettinger will Ende Mai einen konkreten Vorschlag für den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen ab 2021 veröffentlichen. Im Februar steht das Thema zuvor auch noch auf der Agenda eines informellen Gipfels der Staats- und Regierungschefs der EU-27 in Sofia.Die Diskussionen sind heikel, klafft im künftigen EU-Etat doch eine Lücke von mindestens 20 Mrd. Euro, möglicherweise sogar bis zu 30 Mrd. Euro im Jahr. Allein durch das Ausscheiden des bisherigen Nettozahlers Großbritannien fehlen jährlich bis zu 13 Mrd. Euro in den Kassen. Hinzu kommt die Finanzierung neuer oder zusätzlicher Aufgaben, beispielsweise in den Bereichen Sicherheit, Verteidigung oder Migration. Die EU-Kommission will die Lücke nur zum kleineren Teil durch Kürzungen und Umschichtungen schließen. Der Rest soll aus zusätzlichen Einnahmen kommen.In den vergangenen Jahren kam der EU-Haushalt mit Einnahmen von etwas weniger als 1 % des europäischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Oettinger spricht jetzt von einem Anstieg auf “1,1x %”. Diese Forderung fällt deutlich moderater aus als etwa die einer Verdoppelung des Etats durch EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani oder die eines eigenen Eurozonen-Budgets aus dem Ideenkasten von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Widerstände provoziert sie aber dennoch. Eine kleinere EU benötige auch nur noch einen kleineren Haushalt, stellte etwa der neue österreichische Kanzleramtsminister Gernot Blümel am Montag in Brüssel klar. Große HaushaltslöcherDer aktuelle siebenjährige Finanzrahmen der EU läuft noch bis Ende 2020 und umfasst Verpflichtungen von insgesamt 1 087 Mrd. Euro (siehe Grafik). An diesem Rahmen dürfte sich auch durch den Brexit im März 2019 nichts mehr ändern, da sich die britische Regierung mittlerweile bereiterklärt hat, ihre Verpflichtungen aus dem mittelfristigen Finanzplan auch zu tragen und ohnehin eine Brexit-Übergangsperiode bis Ende 2020 absehbar ist.Heruntergebrochen auf 2018 umfasst der EU-Haushalt Verpflichtungen von 160 Mrd. Euro. Mit 59 Mrd. und 55 Mrd. Euro bilden die Landwirtschaft und die Kohäsionsfonds erneut die mit Abstand größten Ausgabenblöcke. Diese stehen in der aktuellen mehrjährigen Finanzperiode für fast drei Viertel der Ausgaben. Und auch wenn dies angesichts der gestiegenen Herausforderungen durch Digitalisierung, Terror, Klimawandel und Migration in Brüssel kaum noch jemand für zeitgemäß hält: Viel ändern wird sich daran auch durch die jetzt angestoßene Neujustierung wohl nicht.Allenfalls Kürzungen von bis zu 10 % wird die EU-Kommission in diesen Bereichen wohl vorschlagen. Behördenpräsident Jean-Claude Juncker will den Nationalstaaten in der Landwirtschaft zwar wieder größere Befugnisse geben, will an der gemeinsamen Agrarpolitik der Union im Grundsatz aber nicht rütteln. Die EU müsse autark bleiben und dürfe bei der Lebensmittelversorgung nicht abhängig von anderen werden, so sein Argument. Und auch die Mittel aus den Strukturfonds spielen seiner Ansicht nach bei der weiteren Angleichung der Lebensverhältnisse in Europa und der solidarischen Ausgestaltung der EU eine entscheidende Rolle. 2016 standen die Zahlungen aus Brüssel netto ja auch für mehr als 3 % des BIP in Rumänien, Ungarn und Litauen. In Bulgarien waren es sogar mehr als 4 %.Ob die Auszahlung von Mitteln aus den Kohäsionsfonds künftig an Bedingungen geknüpft wird, wie verschiedentlich – auch von deutscher Seite – gefordert, bleibt abzuwarten. Eine einheitliche Ausrichtung der EU-Mitglieder bei dieser Frage scheint derzeit nur wenig realistisch. Als Voraussetzungen für den künftigen Erhalt von Geld aus Brüssel war schon das Abarbeiten von Strukturreformen oder das Einhalten von Rechtsstaatlichkeitsgrundsätzen genannt worden.Auf jeden Fall soll nach Vorgabe von Haushaltskommissar Oettinger in Zukunft kein Programm mehr finanziert werden, das nicht einen “europäischen Mehrwert” liefert. Wie dieser Mehrwert aber genau definiert wird, ist eine der schwierigen offenen Fragen. Eine bessere Zusammenarbeit der EU-Staaten in der Verteidigungspolitik, etwa durch eine gemeinsame und abgestimmte Beschaffungspolitik, könnte nach Berechnungen der EU-Kommission Kostenersparnisse von mehr als 25 Mrd. Euro im Jahr bringen. Auch im Bereich von Forschung und Entwicklung, bei Austauschprogrammen wie Erasmus oder in der Asylpolitik ist ein europäischer Mehrwert rasch ersichtlich. Aber was noch? Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung warnte bereits davor, zu vielen Projekten einen europäischen Mehrwert zu bescheinigen. Wohl keine schnelle EinigungDie EU-Kommission würde die Verhandlungen über den neuen mehrjährigen Haushaltsrahmen gerne vor der Europawahl Mitte 2019 abschließen. Dies könnte allerdings ein frommer Wunsch sein, zeigen die bisherigen Erfahrungen doch, dass erst das Näherrücken der letzten Deadline die Kompromissbereitschaft der Regierungen steigen lässt. Dies könnte dafür sprechen, dass erst unter der nächsten deutschen EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte 2020 eine Einigung möglich ist.Viel wird in den nächsten Monaten davon abhängen, ob es gelingt, die Debatte um Nettozahler/Nettoempfänger zu durchbrechen. Hierzu beitragen könnte die Einführung von neuen Einnahmen, die zum Beispiel aus dem europäischen Emissionshandel stammen könnten. Politisch, so ist sich EU-Kommissionschef Juncker sicher, seien ohnehin alle EU-Länder “Nettoempfänger”. Jetzt gilt es nur noch, dies auch den Wählern klarzumachen.