START DER DEUTSCHEN EU-RATSPRÄSIDENTSCHAFT

Die Suche nach dem perfekten Kompromiss

Volle Konzentration auf Recovery Fund und Budget

Die Suche nach dem perfekten Kompromiss

Von Andreas Heitker, BrüsselEs geht um den größten Geldtopf, den es jemals in der Europäischen Union gegeben hat: Fast 2 Bill. Euro sollen in den nächsten Jahren über den EU-Haushalt ausgegeben werden. Vorschläge der EU-Kommission über einen Budgetrahmen von 1,1 Bill. Euro für die Periode 2021 bis 2027 sowie von weiteren 750 Mrd. Euro für ein Corona-Wiederaufbauprogramm liegen seit Ende Mai auf dem Tisch. Hierzu eine Einigung unter den 27 EU-Staaten zu organisieren, dürfte die wichtigste und schwierigste Aufgabe der deutschen Ratspräsidentschaft werden. Darüber sind sich alle Beteiligten und politischen Beobachter in Brüssel und Berlin einig. Alle anderen Themen sind erst einmal zweitrangig.Die deutsche Diplomatie wird im zweiten Halbjahr 2020 daran gemessen, ob rechtzeitig ein für alle Seiten zufriedenstellender Kompromiss für den nächsten mittelfristigen Finanzrahmen (MFR) und den Recovery Fund gelingt. Othmar Karas, österreichischer Vizepräsident des EU-Parlaments, verwies gestern noch einmal darauf, dass die EU in den kommenden Monaten vor einer der wichtigsten Bewährungsproben seit ihrer Gründung stehe. “Da ist es ein Glücksfall, dass nun mit Angela Merkel die deutsche Bundeskanzlerin die Stafette der Ratspräsidentschaft in der EU übernimmt”, ist sich der Christdemokrat sicher.Die Erwartungen sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft sind groß, dass es Deutschland als größtes und finanzstärkstes EU-Land mit seiner großen diplomatischen Erfahrung und Manpower schon irgendwie schafft, den perfekten Kompromiss zu organisieren. Denn es reicht diesmal kaum, einen abtrünnigen Regierungschef in einer Nachtsitzung quasi “weichzukochen”. Das Gesamtpaket muss schließlich von allen nationalen Parlamenten auch noch gebilligt werden. Ohne eine stabile Einigung wird die Ratifizierung zum Vabanquespiel.Vieles hängt nun vom Verlauf des Sondergipfels am 17./18. Juli in Brüssel ab, wenn die EU-Staats- und Regierungschefs erstmals seit Ausbruch der Pandemie wieder zu einem physischen Treffen zusammenkommen. Der letzte Videogipfel vor knapp zwei Wochen hatte noch eine lange Liste von offenen Punkten offenbart, die weit über die Bedenken der selbst ernannten “sparsamen vier” (Österreich, Niederlande, Dänemark, Schweden) hinausgehen. Umstritten sind nach wie vor das Gesamtvolumen des Wiederaufbaufonds, die Aufteilung der Summe in Kredite und Zuschüsse, der Verteilungsschlüssel und die Auszahlungsbedingungen. Auch der Start der Rückzahlungen und die Möglichkeit, Geld auch über neue Eigenmittel im EU-Haushalt einzusammeln, gelten noch als Streitthemen.Auch innerhalb Deutschlands gibt es zu vielen der Themen keine klare Meinung – zum Beispiel bei der Frage, ob die EU sich für das geplante Konjunkturpaket erstmals so stark verschulden sollte. Die Forderungen nach einer noch stärkeren Solidarität werden von einer großen Mehrheit abgelehnt – auch wenn die Bundesbürger der EU im Schnitt sehr positiv gegenüberstehen.