Im InterviewKonstantin Veit

„Die Transmission der Geldpolitik kann jetzt etwas länger dauern“

Die Wochen der Notenbanken sind eingeläutet: Diese Woche entscheiden die Fed, die EZB und die Bank of Japan, nächste Woche folgt die Bank of England. Im Interview äußert sich Konstantin Veit, Portfolio-Manager und Zinsexperte beim Vermögensverwalter Pimco, über die aktuelle Geldpolitik und den Ausblick.

„Die Transmission der Geldpolitik kann jetzt etwas länger dauern“

Herr Veit, die Europäische Zentralbank (EZB) wird ihre Leitzinsen am Donnerstag wohl erneut anheben. Aber was dann? Kommt dann mehr oder ist der Zinsgipfel dann erreicht?

Der Großteil der Zinserhöhungen liegt sicher auch im Fall der EZB hinter uns. Einige Zinsschritte sind aber noch denkbar. Das ist allerdings nicht so entscheidend. Die wichtigere Frage ist, wie lange die EZB dann auf diesem Niveau bleibt. Da lohnt ein Blick in die USA: Die Kerninflation hat dort bereits vor längerer Zeit ihren Höchststand erreicht, ist dann aber nicht gefallen wie ein Stein. Im Euroraum dürfte der Rückgang der Kernrate noch langsamer gehen. Die EZB wird deshalb wohl längere Zeit an hohen Zinsen festhalten müssen. Hoffnungen auf baldige Zinssenkungen sind nicht realistisch.

Unter Ökonomen, aber auch bei einigen Notenbankern wächst die Sorge zu überziehen. Ist es aus Ihrer Sicht aktuell die größere Gefahr, die Zinsen zu stark anzuheben und die Konjunktur über Gebühr abzubremsen, oder die Zinsen nicht stark genug zu erhöhen und die Inflation nicht zu besiegen?

Wenn eine Notenbank zu wenig getan hat und Inflationserwartungen außer Kontrolle geraten, ist eine geldpolitische Korrektur ungleich schmerzhafter als in dem Fall, dass eine Zentralbank die Zinsen zu stark erhöht hat und die Konjunktur leidet. Sie kann die Leitzinsen zügig wieder senken.

Der EZB werden da gerne vermeintliche Fehler aus den Jahren 2008 und 2011 vorgehalten, als sie die Leitzinsen erhöhte und diese Anhebungen sehr schnell wieder einkassieren musste.

Wenn Sie heute den damaligen EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet fragen würden, würde der vermutlich sagen, dass die Datenlage zum damaligen Zeitpunkt diese Schritte gerechtfertigt hat. Hinterher ist man immer schlauer. Der Risikomanagementansatz spricht meines Erachtens derzeit dafür, jetzt eher entschlossener zu handeln, trotz aller Unsicherheit und Risiken. Der Elefant im Raum sind da sicher der Arbeitsmarkt und die Lohnentwicklung.

Bundesbankpräsident Joachim Nagel hat den anhaltend starken Arbeitsmarkt unlängst als ein „Mysterium“ bezeichnet, das die Euro-Notenbanker intensiv beschäftige.

Die EZB ist jetzt zuversichtlicher, was die Transmission, also die Übertragung ihrer strafferen Geldpolitik, betrifft. Bei den Finanzierungsbedingungen haben sich sehr schnell Effekte gezeigt. Bei der Realwirtschaft ist das noch nicht so eindeutig, und die große Unbekannte ist da tatsächlich der Arbeitsmarkt. Er zeigt sich sehr stark. Nach der Pandemie halten viele Unternehmen lieber länger an ihren Arbeitskräften fest und der Dienstleistungsbereich hat an Bedeutung gewonnen, der aber weniger zinssensitiv ist. Das kann auch dafür sprechen, dass die Transmission der Geldpolitik jetzt etwas länger dauern kann.

Auch? Was spricht aus Ihrer Sicht denn noch dafür? Die Frage, wie schnell die Geldpolitik in der Wirtschaft ankommt, ist ja auch umstritten.

Für eine langsamere Übertragung der Geldpolitik spricht womöglich auch die große Ersparnis aus der Corona-Zeit. Und auch die Tatsache, dass es heute mehr Immobilienbesitzer gibt und Kredite tendenziell längere Laufzeiten haben, kann da Einfluss haben. Zugleich deuten die jüngsten Einkaufsmanagerindizes durchaus auf eine Stagnation der Wirtschaft im Euroraum hin. Gewisse Annahmen in den EZB-Inflationsprognosen sind dennoch tendenziell eher optimistisch.

Im Juni hatte die EZB für 2025 eine Gesamtrate von 2,2% und eine Kernrate von 2,3% prognostiziert.

Die EZB setzt in diesen Prognosen auf eine sehr starke Erholung der Produktivität. Das erscheint in der Form recht optimistisch. Es ist unwahrscheinlich, dass ohne eine Abschwächung des Arbeitsmarkts die letzte Meile auf dem Weg zum 2-Prozent-Ziel zu schaffen ist. Ich rechne allerdings auch nicht damit, dass die disinflationäre Tendenz aus der Vor-Corona-Zeit zurückkehren wird. Das Zusammenspiel von Geld- und Fiskalpolitik sollte sich deutlich weniger von anderen Jurisdiktionen unterscheiden.

Neben den Leitzinsen ist eine weitere Baustelle die EZB-Bilanzschrumpfung, also der Abbau der enormen Anleihebestände. Geht die EZB da richtig vor oder bräuchte es mehr Tempo?

Die EZB spielt das Thema Bilanzabbau aus gutem Grund ein wenig herunter. Das institutionelle Setup der Eurozone hat sich wenig verändert und ist weiter fragil. Wenn man sich momentan Italien anschaut, hält es sich bislang sehr viel besser, als man es bei 400 Basispunkten Zinserhöhungen innerhalb eines Jahres und dem Ende der APP-Reinvestitionen hätte erwarten können. Derzeit profitiert Italien allerdings noch von der starken heimischen Nachfrage nach Anleihen wegen der hohen Renditen. Die EZB will den Bilanzabbau so marktschonend wie möglich gestalten. Sie hat sicherlich kein Interesse daran, ihre Rettungsprogramme TPI oder OMT aktivieren zu müssen, die bislang ohnehin nur auf sehr dünnem Papier bestehen.

Seit 2006 ist Konstantin Veit bei Pimco tätig. Der Wirtschaftswissenschaftler, der zudem Klavier studiert hat, ist heute Portfoliomanager und Leiter der European Rates- und Short-Term Desks in der Niederlassung London.

Das heißt, das aktuelle Tempo ist angemessen?

Semioffizielle Schätzungen der EZB besagen, dass die Einstellung der APP-Reinvestitionen in etwa einer Zinserhöhung um 25 Basispunkte entspricht und die langfristigen Zinsen um rund 60 Basispunkte erhöht. Das ist nicht die Welt. Spannender wird die Diskussion, wenn es um ein Ende der Reinvestitionen bei PEPP geht. Flexible PEPP-Reinvestitionen sind aktuell die erste Verteidigungslinie gegen Fragmentierung. Die Diskussion dürfte Ende 2023 so richtig losgehen. Da spielt dann natürlich auch die Debatte über das künftige geldpolitische Rahmenwerk eine wichtige Rolle.

Also im Kern die Frage, wie viel Liquidität die EZB im System vorhalten will und wie sie diese an die Banken verteilt.

Ohne zusätzliche Maßnahmen würden wir vermutlich erst gegen Ende des Jahrzehnts wieder in ein System ohne Überschussliquidität zurückkehren. Das ist eine sehr lange Zeit. Die Debatte über das künftige Rahmenwerk ist überwiegend technisch, aber auch durchaus brisant. Es beinhaltet etwa auch Fragen bezüglich des zukünftigen Spielraums in Krisenzeiten, Zentralbankprofitabilität und verschiedene Schattierungen von Risiken politischer Einflussnahme.

Wie beurteilen Sie denn die Kommunikation der EZB? Einerseits betont sie zum Beispiel stets ihre Datenabhängigkeit, kündigt dann aber doch oft Schritte im Voraus an. Andererseits nehmen die widersprüchlichen Aussagen aus dem EZB-Rat zu.

Im Vergleich zu manch anderer Zentralbank ist die Kommunikation der EZB brillant. Aber Scherz beiseite: Ich denke, die Kommunikation ist insgesamt in Ordnung. Jetzt wird es aber zunehmend schwerer. Was die EZB auf jeden Fall vermeiden will, ist, dass ihre Signale zu einer Lockerung der Finanzierungsbedingungen führen. Die zunehmende Kakophonie der EZB sehe ich nicht als großes Problem. Bislang war die Geldpolitik eine Einbahnstraße, aber das ändert sich jetzt. Und die Unsicherheit ist enorm groß. Besonders gegen Ende eines Zinszyklus ist mehr Meinungsvielfalt zu erwarten und sie macht Sinn.

Lassen Sie uns zum Schluss noch einen kurzen Blick auf die anderen großen Zentralbanken werfen: Was erwarten Sie für die Fed und was sollte sie tun?

Die Fed ist weiter als die EZB, und hat sich früher aus der akkommodativen Geldpolitik verabschiedet. Und der Leitzins ist nun über der Kerninflation. Jetzt macht es durchaus Sinn, auch mal abzuwarten, wie sich der bisherige Zinszyklus auswirkt. Nach einer Pause kann es dann mit dem Zins aber auch noch höher gehen – so wie vermutlich diese Woche. Auch bei der Fed gilt: Die Spekulationen auf baldige Zinssenkungen, womöglich noch dieses Jahr, sind eher optimistisch. Solange es keinen echten Schock in der Wirtschaft oder dem Bankensystem gibt, wird die Fed wohl nicht so schnell wieder senken.

Die Bank of England haben Sie bereits implizit angesprochen.

Die Kommunikation der Bank of England hat sicherlich Luft nach oben. Das Handeln selbst war gar nicht so verkehrt – auch wenn es nicht ideal aussieht, wenn man das Zinserhöhungstempo erst drosselt und dann wieder hochfahren muss. Ich glaube nicht, dass das Inflationsproblem in Großbritannien strukturell größer ist als andernorts. Die Bank of England wird aber noch mehr tun müssen.

Und wie sieht es bei der Bank of Japan aus? Bleibt die in ihrer lockeren Außenseiterrolle oder steht auch dort eine Wende bevor?

Die Bank of Japan dürfte auf absehbare Zeit ihre Kontrolle der Renditekurve aufgeben und den Leitzins aus dem negativen Bereich holen. Das wird aber kein Vorbote eines aggressiven Zinserhöhungskurses sein – solange die Inflation in Japan nicht viel stärker anzieht als derzeit. Die Auswirkungen dieser geldpolitischen Anpassungen sollten die globalen Finanzmärkte nicht übermäßig beeinflussen.

Im Interview: Konstantin Veit

“Transmission der Geldpolitik kann länger dauern”

Der Notenbank-Experte von Pimco über weitere Zinserhöhungen der EZB, den Abbau des Anleihebestands und den Vergleich zu Fed & Co.

Die Wochen der Notenbanken sind eingeläutet: Diese Woche entscheiden die Fed, die EZB und die Bank of Japan, nächste Woche folgt die Bank of England. Im Interview äußert sich Konstantin Veit, Portfolio-Manager und Zinsexperte beim Vermögens- verwalter Pimco, über die aktuelle Geldpolitik und den Ausblick.

Das Interview führte Mark Schrörs.

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Seit 2006 ist Konstantin Veit bei Pimco tätig. Der Wirtschaftswissenschaftler, der zudem Klavier studiert hat, ist heute Portfoliomanager und Leiter der European Rates- und Short-Term Desks in der Niederlassung London.

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