Die Ukraine strapaziert ihre Gläubiger
est Moskau – Durch die Schuldenkrise in Griechenland ist die öffentliche Aufmerksamkeit weg vom Ukraine-Konflikt gelenkt worden. So rückte in den Hintergrund, dass sich in der Ukraine derzeit ein wirtschaftliches Desaster zuträgt. Schon heute könnte der größte Flächenstaat Europas mit seinen 45 Mill. Einwohnern die Voraussetzungen für einen “technischen Default” schaffen, also eine Staatspleite – hervorgerufen nicht durch mangelnde Fähigkeit, Auslandsschulden zu bedienen, sondern durch mangelnden Willen dazu.Formal geht es bei den fälligen Zinsen für eine bis 2017 laufende Anleihe nicht um viel: Gerade einmal 120 Mill. Dollar (110,4 Mill. Euro) sollen internationale Gläubiger erhalten, ehe am 23. September weitere 500 Mill. Dollar und im Dezember 3 Mrd. Dollar fällig werden. Alles zusammen ist Teil jener 19 Mrd. Dollar, die Kiew internationalen Privatinvestoren schuldet. Allein, die Ukraine hat sich selbst gesetzlich dazu ermächtigt, die Zahlungen per Moratorium auszusetzen, wenn sie will.Sie begründet das Gesetz mit dem “Schutz nationaler Interessen” und damit, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) eine Verringerung der Schuldenlast um 15 Mrd. Dollar binnen vier Jahren fordert. Der IWF hat dem kriegsgeplagten Land 17,5 Mrd. Dollar an Krediten zugesagt und knapp ein Drittel davon schon ausbezahlt. Große Symbolkraft”Die Situation ist in dieser Hinsicht durchaus mit Griechenland vergleichbar”, sagt Vasili Astrov, Ukraineexperte am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW), auf Anfrage: “Das Land steht nämlich vor der Frage, ob es schlimmer ist, die Schulden zu bedienen oder nicht.” So gesehen bekomme der Freitag große Symbolkraft, betont Dmitri Bojartschuk, Staatsschuldenexperte am Kiewer Wirtschaftsinstitut Case, gegenüber der Börsen-Zeitung: “Er wird zeigen, wo die Ukraine steht und wozu sie bereit ist.”Einen Schuldenschnitt von 40 % will das Land bei den Privatgläubigern durchsetzen, dazu niedrigere Zinssätze und Laufzeitenstreckung. Zumindest von einem Schuldenschnitt wollen die Geldgeber nichts wissen. Seit Wochen verhandeln einigen von ihnen, angeführt vom US-Investmentfonds Franklin Templeton.Bis dato ist unklar, wie nah man sich gekommen ist. Die internationale Investmentbank Lazard, von der Ukraine als Berater und Vermittler engagiert, lehnte am Mittwoch einen Kommentar ab. Das ukrainische Finanzministerium war weder über Telefon noch über E-Mail zu erreichen. Die Agentur Bloomberg meldete am Donnerstag, diese Woche würden nicht wie geplant direkte Gespräche zwischen den privaten Gläubigern und der Ukraine stattfinden.Das Land steht mit dem Rücken zur Wand wie kein zweites in Europa. Über Jahre von schwer korrupten Eliten ausgebeutet, muss die Ukraine zudem auch den Separatistenkonflikt im industriereichen Osten verdauen. Hinzu kommt die Schocktherapie des IWF etwa in Form radikal erhöhter Energiepreise. Im Vorjahr brach das Bruttoinlandprodukt um 6,8 % ein und dürfte 2015 auch ohne technischen Default um 9 bis 10 % schrumpfen.Die Landeswährung Hrywnja hat in eineinhalb Jahren fast zwei Drittel ihres Werts verloren, die Inflation ist dieses Jahr auf über 50 % gestiegen. Die Verwerfungen schlagen auch auf den Handel durch. Die deutschen Exporte in die Ukraine brachen laut Statistischem Bundesamt im Vorjahr um ein Drittel ein, und in den ersten vier Monaten 2015 um weitere 30 %. Wie es den Banken geht, zeigen Zahlen der Raiffeisen International (RBI): Sie stuft 52,3 % ihrer 2,47 Mrd. Euro Ukraine-Kredite als notleidend ein.Die EU hat die Dramatik der Situation genauso erkannt wie der IWF. Am Mittwoch hat die EU-Kommission dem Land Finanzhilfen in Höhe von 600 Mill. Euro überwiesen. Dies ist die erste Zahlung aus einem neuen Hilfsprogramm über insgesamt 1,8 Mrd. Euro. Die restlichen 1,2 Mrd. Euro will die EU “in den kommenden Monaten” auszahlen. Mittelfristig VorteileWenn Kiew am Freitag die Zahlung an die Gläubiger verweigert, bestünde noch eine zehntägige Gnadenfrist, bis die Staatspleite verkündet würde. Danach würde wohl das Länderrating herabgestuft, so Bojartschuk. Der kurzfristige Schock dürfte die Währung nochmals nach unten ziehen, was die Importe weiter verteuert und die Inflation anheizt.Danach freilich könnte das Zahlungsmoratorium mittelfristig durchaus Vorteile bringen, meint Astrov: Die Ukraine würde sich Geld sparen, immerhin seien 5 % des BIP als jährliche Ausgaben für den Schuldendienst veranschlagt: “Mittelfristig wäre ein technischer Default gar nicht so schlecht”, sagt der Ukraineexperte des Wiener Instituts für Wirtschaftsvergleich.