Die Unabhängigkeit der Notenbanken ist in Gefahr
“The good die young” – die Guten sterben jung, ist der Name eines britischen Kino-Thrillers aus den frühen 1950er Jahren. Auch in der Öffentlichkeit wird regelmäßig lamentiert und heftig getrauert, sobald ein Idol der viel zu frühe Tod ereilt. Wird dies in der nicht zu fernen Zukunft auch mit Blick auf die politische Unabhängigkeit der Notenbanken zu beklagen sein? Nach den Entwicklungen der vergangenen Jahre ist das zu befürchten. Wieso “jung” oder “früh”Wieso “jung” oder “früh”, mag man in diesem Zusammenhang fragen. Schließlich verfügt die Bundesbank über eine mehr als 60-jährige Geschichte. Die deutsche Institution kann jedoch getrost als Mutter der Unabhängigkeit von Währungshütern bezeichnet werden. Zusammen mit der charismatischen Persönlichkeit des früheren Fed-Vorsitzenden Paul Volcker wurde so in den 1980er Jahren der Resonanzboden für das generelle Primat der politischen Unabhängigkeit bereitet. Mit diesem Rückenwind kam es (erst) im Verlauf der 1990er Jahre zu der großen Emanzipationswelle von Zentralbanken – mit dem Höhepunkt in den Jahren 1997 bis 1998, als die Statuten der Bank von England und der Bank von Japan geändert wurden. So gesehen ist das Phänomen also gerade eben erst den Kinderschuhen entwachsen.Nur 20 Jahre später steht aber wohl leider eine Rückabwicklung dieser Autonomie auf der Tagesordnung. Ursache ist die Finanzkrise, in deren Gefolge die Zentralbanker zunächst in die Rolle des Feuerwehrmanns und später des Alleskönners gedrängt wurden. “Halb zog sie ihn, halb sank er hin” – mangels des Willens und/oder der Fähigkeit der politischen Institutionen zu schmerzhaften Reformen wurden immer mehr Aufgaben den Notenbanken aufgebürdet. Deren Mandatsrahmen wurde ausgedehnt, nach Lesart vieler gingen die zahlreichen unorthodoxen Maßnahmen wie insbesondere die Staatsanleihenkaufprogramme sogar deutlich über das satzungsgemäß Erlaubte hinaus. Auch eine inkludierte Bankenaufsicht birgt in diesem Kontext schwere Interessenkonflikte.Die neue Ära einer Art Zentralbank-Kommandowirtschaft ist durch dreierlei gekennzeichnet. Erstens, finanzielle Repression: Mit einem Zinssatz unterhalb der Wachstumsrate der Volkswirtschaft geht eine schleichende Umverteilung vom Gläubiger zum Schuldner einher. Zweitens, finanzielle Dominanz: Für die Beziehung zwischen Geldpolitik und Finanzmärkte gilt mittlerweile das Prinzip der umgekehrten Maßgeblichkeit. Soll heißen: Die Notenbanken richten sich bei ihren Aktionen immer mehr nach den Signalen und Bedürfnissen der Kapitalmärkte und werden somit letztlich zu deren Büttel. Drittens schließlich, fiskalische Dominanz: Geld- und Finanzpolitik haben ihre traditionellen Rollen getauscht. Die Zentralbanken sichern die Solvenz von Staaten, die Höhe der Inflation scheint von den Nöten der Fiskalpolitik bestimmt. Die irrlichternde Diskussion über die Vorzüge von 4 % statt 2 % Inflation zeigt dies überdeutlich. Verkehrte Welt. Trend zu PopulismusUnd mehr noch: Durch die Vermischung von Geld- und Fiskalpolitik muss die politische Unabhängigkeit der Notenbanken hinterfragt werden. Es spricht vieles dafür, dass die Zentralbanken bei Übernahme weiterer Aufgaben einer demokratischen Legitimierung unterworfen werden müssen. Mit dem global beobachtbaren Trend zu Populismus verschärft sich die Gemengelage zusehends. Kennzeichen dieses Trends sind eine hyperaktive Fiskalpolitik und offensichtlicher Protektionismus – siehe die USA unter Präsident Donald Trump. Eine autonome Notenbank stört hier nur. Kein Wunder daher, dass es unverhohlene Versuche gibt, die Zentralbanken stärker an die Kandare zu nehmen. Sichtbarstes Beispiel – aber nur der Anfang – ist der subtile Ansatz, über die Postenbesetzung in den geldpolitischen Entscheidungsgremien das monetäre Ruder zu übernehmen. Es benötigt nicht viel Fantasie, um sich das Ende der Reise vorzustellen: Die Währungshüter werden (wieder) zum verlängerten Arm der Finanzministerien degradiert. Enges Mandat gefragtDaher gilt: Zurück zu den Wurzeln! In einer Demokratie erfordert die politische Unabhängigkeit der Notenbanken zwingend die Beschränkung auf ein eng ausgelegtes, eindimensionales Mandat: die Preisstabilität. Die Geschichte wiederum hat gezeigt, dass nur eine unabhängige und ausschließlich diesem Ziel verpflichtete Geldpolitik erfolgreich sein kann. Am Ende steht dann auch ein nachhaltigerer Wachstumspfad. Ist das Vernünftige nun aber auch das Wahrscheinliche? Wohl eher nein. Denn selbst wenn in den USA in Bezug auf die Währungshüter der sogenannte Becket-Effekt – das Amt prägt die Person und nicht andersherum – griffe, wäre es nicht überraschend, wenn dort am Ende des Tages das Trump’sche “You’re fired!” stünde. In einem derartigen Regime vereinnahmter Notenbanken werden die volkswirtschaftlichen Schwankungen und Kapitalmarktvolatilitäten ceteris paribus zunehmen. Traurig, oder gezwitschert: Sad!—-Ingo Mainert, CIO Multi Asset Europe bei Allianz Global Investors