Die vereinigte Linke siegt in Frankreich
Große Überraschung bei der Parlamentswahl in Frankreich: Die vereinigte Linke lässt den rechtsnationalen Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen hinter sich und gewinnt die Abstimmung. Das Bündnis verfehlt allerdings die absolute Mehrheit. Der französische Premierminister Gabriel Attal hat gleich nach der ersten Hochrechnung seinen Rücktritt angekündigt. Das Mitte-Lager von Staatspräsident Emmanuel Macron verfüge über keine Mehrheit mehr, teilte er nach Bekanntwerden erster Hochrechnungen mit.
Die neue Volksfront kann einer ersten Prognose zufolge mit 184 bis 198 Sitzen im 577 Mandate umfassenden Parlament rechnen. Das Mitte-Lager von Präsident Emmanuel Macron dürfte demnach auf 150 bis 180 kommen. Der rechte Rassemblement National (RN), der in der ersten Wahlrunde triumphiert hatte, kommt demnach nur auf 135 bis 143 Mandate.
Der Gründer der französischen Linkspartei sieht nach dem überraschenden Wahlerfolg des Linksbündnisses bei der Parlamentswahl einen klaren Regierungsauftrag. „Der Präsident hat die Pflicht, den Nouveau Front Populaire zum Regieren aufzufordern“, sagte Jean-Luc Mélenchon nach den ersten Hochrechnungen. Macron solle seine Niederlage eingestehen. Mélenchon schloss Verhandlungen über einen Zusammenschluss mit Macrons Lager aus.
„Keine Koalition der Gegensätze“
Der Chef der Sozialisten, Olivier Faure, hat zugleich angekündigt, kein Regierungsbündnis mit dem Mitte-Lager von Präsident Emmanuel Macron einzugehen. Es solle keine „Koalition der Gegensätze“ geben, die die Politik Macrons fortsetze, sagte Faure und forderte, Frankreich zu erneuern. Es solle unter anderem massive Investitionen für den Klimaschutz geben. Auch sollten Reiche stärker besteuert werden.
Frankreichs Grüne indessen haben bekundet, regieren zu wollen. „Wir haben gewonnen und jetzt werden wir regieren“, sagte Grünen-Generalsekretärin Marine Tondelier in Paris. „Heute Abend gibt es eine große Wahrscheinlichkeit, dass die Volksfront vorne liegt“, sagte Tondelier. „Die soziale Gerechtigkeit hat gewonnen, die ökologische Gerechtigkeit hat gewonnen und heute Abend hat das Volk gewonnen und jetzt geht es erst los.“ Die seit 1981 höchste Wahlbeteiligung habe belegt, wie wichtig den Menschen in Frankreich die Parlamentswahl gewesen sei, sagte Tondelier. „Das ist ein schöner Sieg der Demokratie, er gehört euch allen.“
RN spricht von neuer „Einheitspartei“
Der Chef der französischen Rechtsnationalen, Jordan Bardella, hat nach dem überraschenden Sieg des Linksbündnisses bei der Parlamentswahl heftig gegen seine politischen Gegner ausgeteilt. Das Mitte-Lager von Staatschef Emmanuel Macron und das Linksbündnis bezeichnete er als „Einheitspartei“ und „Bündnis der Schande“. Bardella schimpfte auf „Wahlabkommen“, die Frankreich „in die Arme der extremen Linken werfen“.
Die Linke und das Mitte-Lager hatten sich in der Stichwahl auf Wahlkreisebene Absprachen getroffen, um nach dem Rechtsruck in der ersten Runde einen Durchmarsch des RN zu verhindern. Ohne eine absolute Mehrheit im Parlament für ein politisches Lager droht nun ein Patt. Neuwahlen sind binnen eines Jahres ausgeschlossen.
Große Überraschung
Das Ergebnis ist eine große Überraschung. Nach der ersten Wahlrunde vor einer Woche sahen Prognosen das RN noch knapp unter der absoluten Mehrheit und damit möglicherweise in der Lage, die nächste Regierung zu stellen. Der Rechtsruck fällt nun geringer aus als erwartet.
Wie es weitergeht, ist vorerst unklar. Mit dem Ergebnis ergeben sich verschiedene Zukunftsszenarien. Die Linken könnten versuchen, von den Mitte-Kräften Unterstützung zu bekommen – entweder als eine Minderheitsregierung mit Duldung oder in einer Art Großer Koalition. Angesichts der gegensätzlichen politischen Ausrichtungen ist allerdings nicht abzusehen, ob dies gelingen könnte.
Machtteilung mit Macron
Bei einem Premier aus dem linken Lager müsste Macron die Macht teilen. Der Premier würde wichtiger. Was dies für Deutschland und Europa hieße, ist unklar. Das Linksbündnis ist in sich gespalten und vertritt bei vielen großen politischen Themen sehr unterschiedliche Positionen.
Sollte keines der Lager eine Regierungsmehrheit finden, könnte die aktuelle Regierung als Übergangsregierung im Amt bleiben oder eine Expertenregierung eingesetzt werden. Frankreich droht in einem solchen Szenario politischer Stillstand. Eine erneute Auflösung des Parlaments durch Macron und Neuwahlen sind erst im Juli 2025 wieder möglich.
Für Deutschland und Europa hieße das, dass Paris als wichtiger Akteur in Europa und als Teil des deutsch-französischen Tandems nicht mehr tatkräftig zur Verfügung stehen würde. Statt neuer Initiativen stünde in Frankreich Verwaltung an der Tagesordnung. Das Amt von Staatschef Macron bleibt von der Wahl zwar unangetastet, doch ohne handlungsfähige Regierung könnte auch er seine Projekte nicht durchsetzen.
Folgen für Deutschland und Europa
Brüssel und Berlin dürften von dem Wahlausgang erleichtert sein. Zwar können die Rechtsnationalen ihre Fraktion in der Nationalversammlung ausbauen. Eine Regierung scheint für sie aber quasi unmöglich. Diese wäre wohl das Schreckszenario für Deutschland und die Europäische Union gewesen. Das RN hält im Gegensatz zu Macron wenig auf die seit Jahrzehnten enge Zusammenarbeit mit Berlin. Die europaskeptischen Nationalisten streben zudem danach, den Einfluss der Europäischen Union in Frankreich einzudämmen.
Mit einer RN-Regierung wäre Frankreich politisch massiv nach rechts gerückt. Erstmals seit dem mit den Nationalsozialisten kollaborierenden Vichy-Regime wären wieder Rechtsaußen-Kräfte an die Macht gekommen.
Den Rechtsnationalen wurde das Zweckbündnis der linken und liberalen Kräfte für die zweite Wahlrunde zum großen Nachteil. Auch dürfte die Angst vor einer rechtsnationalen Regierung viele Menschen an die Wahlurne getrieben haben.
Etliche Kandidatinnen und Kandidaten des RN waren zudem wegen angeblicher rechtsextremer oder antisemitischer Aussagen in der Vergangenheit ins Gerede gekommen. Somit ergaben sich in der Öffentlichkeit Zweifel an der von Marine Le Pen betriebenen „Entteufelung“ der Partei. Mit diesem Kurs versucht Le Pen seit Jahren, ihre Partei gemäßigter erscheinen zu lassen und bis in die bürgerliche Mitte hinein wählbar zu machen.
Angst vor Rechts
Die Linken profitierten von ihrem im Eiltempo gebildeten Bündnis. Auch dass sie die Führungsfrage offen ließen, dürfte ihnen geholfen haben, diejenigen Wähler hinter sich zu vereinen, die ein Problem mit dem Linkspopulisten Mélenchon haben.
Außerdem dürften die Linken wegen der Verunsicherung und Angst vor einem historischen Rechtsruck in Frankreich und einer rechtsnationalen Regierung deutlich mehr Zuspruch bekommen haben.
Für den unpopulären Macron ist das Ergebnis überraschend weniger vernichtend als erwartet. Macron scheiterte zwar mit dem Versuch, die relative Mehrheit seiner Mitte-Kräfte mit den Neuwahlen auszubauen. Immerhin könnte seine Fraktion aber noch vor Le Pens Rechtsnationalen zweite Kraft werden und mit den Linken in Regierungsverantwortung sein.
Noch in der ersten Wahlrunde war Macron und seinen Anhängern die Einigkeit des linken Lagers zum Verhängnis geworden. Die Auflösung der Nationalversammlung wurde von vielen als unverantwortlich gewertet. Auch dies lasteten Französinnen und Franzosen Macron an