Die vier Probleme der neuen EU-Ratspräsidentschaft

Mit Bulgarien übernimmt das Armenhaus Europas für ein halbes Jahr eine führende Rolle im Brüsseler Reformprozess - Geringe Erwartungshaltung

Die vier Probleme der neuen EU-Ratspräsidentschaft

Von Andreas Heitker, BrüsselNach elf Jahre EU-Mitgliedschaft hat Bulgarien in dieser Woche erstmals für ein halbes Jahr die Ratspräsidentschaft in der Union übernommen. Die Aufgabe gilt als äußerst herausfordernd für das 7-Millionen-Einwohner-Land, stehen in den kommenden Monaten doch bedeutende Weichenstellungen in Brüssel an: Die Brexit-Gespräche gehen in die entscheidende zweite Verhandlungsphase. In der Asyl- und Migrationspolitik wird um einen Konsens gerungen. Die EU-27 will ihren neuen mittelfristigen Haushaltsrahmen für die Zeit nach dem britischen Austritt abstecken. Und die Eurozone soll außerdem noch wetterfester gestaltet werden. Hinzu kommt: Die Zeit drängt. 2019 stehen bereits in der ersten Jahreshälfte der Brexit und die nächsten Europawahlen an. 2018 gilt daher nicht nur für den EU-Abgeordneten Jo Leinen (SPD) als “Schicksalsjahr für Europa”.Zweifel, ob in dieser Situation eine bulgarische Ratspräsidentschaft zur rechten Zeit kommt, scheinen durchaus angebracht zu sein. Denn die Regierung aus Sofia muss zugleich mit vier Problemen fertig werden, die einer erfolgreichen EU-Führung im Wege stehen könnten. Es geht nicht nur um die fehlenden personellen Kapazitäten und Erfahrungen. Es geht auch darum, dass Bulgarien in vielen wichtigen Institutionen und Gruppierungen innerhalb der EU, über die in den nächsten Monaten verstärkt diskutiert wird, gar kein Mitglied ist. Dies schränkt Autorität und die Fähigkeit zum Ausloten von Kompromissen durchaus ein.Das Land gehört weder der Währungsunion an noch dem Schengen-Raum, noch der Gruppe der Visegrád-Staaten, die angesichts der neuen Ost-West-Bruchstelle in der EU verstärkt im Fokus steht.Hinzu kommt, dass das Bulgarien eigentlich schon genug mit seinen eigenen Problemen zu kämpfen hat. Seit Beginn der EU-Mitgliedschaft muss sich das Land immer noch einem Kooperations- und Kontrollverfahren stellen, in dem Brüssel regelmäßig Reformfortschritte im Bereich Justizwesen sowie bei der Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität bewertet. Auch heute noch gilt Bulgarien als eines der korruptesten Länder der EU. Gegen ein umfassendes Antikorruptionsgesetz, das vor Weihnachten noch auf die Schnelle verabschiedet wurde, legte Staatspräsident Rumen Radew gestern sein Veto ein. Wie es weitergeht, ist noch unklar.Zu den heimischen Problemen gehört zudem, dass Bulgarien sich mit seinen Wachstums- und Verschuldungskennziffern aktuell zwar sehen lassen kann (siehe Grafik) – das Land aber dennoch weiter das Armenhaus der EU ist. Das Bruttoinlandprodukt pro Kopf betrug 2016 gerade einmal 49 % des EU-Durchschnitts. Bulgarien war damit mit Abstand Schlusslicht in der Union. Viele Menschen, allen voran die gut ausgebildeten, haben das Land bereits in Richtung Westen verlassen.Das vierte Problem betrifft die Prioritätensetzung der Regierung in Sofia für ihre erste EU-Ratspräsidentschaft. Während sich in Brüssel aktuell die Diskussionen um die Zukunft der EU insgesamt drehen sowie natürlich um die Megathemen Brexit, Migration und Eurozone, will Bulgarien in den nächsten Monaten unter anderem ein starkes Augenmerk auf den Westbalkan legen und damit auf die grundsätzlichen Beitrittsperspektiven von Ländern wie Serbien, Montenegro, Albanien oder Mazedonien. Mitte Mai ist daher ein EU-Westbalkan-Gipfel geplant. Ob dieses – langfristig sicherlich wichtige – Thema die EU aktuell weiterbringt, ist aber zweifelhaft. Estland hatte es mit seinem Digitalisierungsschwerpunkt zielführender getroffen.Das letzte Halbjahr hat noch einmal gezeigt, welchen Arbeitsaufwand eine EU-Ratspräsidentschaft mit sich bringt. Insgesamt mehr als 1 200 Arbeitsgruppen haben die Esten geleitet. 31 Ratssitzungen, zehn informelle Ministertreffen in Tallinn, 226 Treffen auf Expertenebene. Es gab einen Digitalgipfel, einen Gipfel der Östlichen Partnerschaft und einen mit der Afrikanische Union. 137 Triloge – also Verhandlungen der EU-Mitgliedstaaten mit dem Europaparlament zu aktuellen Gesetzesinitiativen – wurden abgehalten. Trotz vieler Erfolge mussten zahlreiche Dossiers zur weiteren Bearbeitung nun an Sofia übergeben werden (siehe “Offene Baustellen”).Unter dem Motto “Einigkeit macht stark” will die bulgarische Regierung am kommenden Donnerstag den Start ihrer Ratspräsidentschaft feiern. Für die überdurchschnittlich EU-freundliche Bevölkerung ist dies ein Tag der Freude. Ministerpräsident Bojko Borissow dürfte dann allerdings unter besonderer Beobachtung stehen. Denn an seiner konservativ-rechten Regierung sind auch die Ultranationalisten vom Bündnis “Vereinigte Patrioten” beteiligt. Und die könnten die Zweifel über die Führungsfähigkeiten Sofias in schwierigen europäischen Zeiten noch zusätzlich verstärken.—– Kommentar Seite 1