LÄNDERREPORT: MEXIKO

Die Wähler hoffen auf ein Reformwunder

Nach der Bestätigung des umstrittenen Wahlergebnisses durch das oberste Wahlgericht muss der künftige Präsident tiefsitzendes Misstrauen zerstreuen

Die Wähler hoffen auf ein Reformwunder

Von Mauro Toldo *)Jetzt ist es amtlich: Die Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) kehrt nach einer Durststrecke von zwölf Jahren zurück an die Macht in Mexiko. Das oberste Wahlgericht des Landes hat die Anfechtung des Wahlergebnisses vom Juli durch Andrés Manuel López Obrador, den Kandidaten der linksgerichteten Partei der demokratischen Revolution (PRD), verworfen und den Wahlausgang bestätigt.Der Wahlsieger Enrique Peña Nieto hatte bei der Wahl am 1. Juli nur 36,2 % der Stimmen bekommen, 5 Prozentpunkte mehr als López Obrador. Der Wahlverlierer warf dem Sieger Stimmenkauf und Wahlfälschung vor. Dies war zwar wohl tatsächlich der Fall, da Wahlfälschungen und Stimmenkäufe bei allen der drei großen Parteien nachgewiesen worden sind – auch bei der Partei von López Obrador. Aber nach Ansicht der Richter blieben die Unregelmäßigkeiten in einer Größenordnung, die nicht zu einer entscheidenden Verfälschung des Ausgangs geführt hat. Mitschuld an BlockadeEine Überraschung war das Ergebnis indes nicht. Im Juli waren die Mexikaner an die Wahlurnen gegangen, um die aktuelle Regierungspartei – die konservative Partei der Nationalen Aktion (PAN) – für den politischen Stillstand der vergangenen Jahre zu bestrafen. Allerdings haben sie stattdessen diejenige Partei zurück an die Macht gebracht, die für diesen Stillstand durch ihre Blockadehaltung in der Opposition mitverantwortlich war. Zudem regierte die PRI Mexiko von 1929 bis 2000 ununterbrochen und war in dieser Zeit für Korruption und Klientelismus bekannt. Viele Mexikaner sehen daher die Rückkehr der PRI an die Macht sehr kritisch. In Enrique Peña Nieto, der sich als Erneuerer der Partei und als Reformer verkauft, sehen sie so etwas wie den “Wolf im Schafspelz”, der letztlich doch nur ein Instrument der vermeintlich machthungrigen und korrupten PRI ist.Aber was ist wirklich zu erwarten, wenn nun Enrique Peña Nieto am 1. Dezember als neuer mexikanischer Präsident vereidigt wird? Hat sich die PRI in den zwölf Jahren in der Opposition verändert? Die aktuelle Koalition der PRI mit den Grünen verfügt über keine Mehrheit im Parlament und muss Verhandlungen mit den Oppositionsparteien führen. Das ist einerseits positiv, weil die anderen Parteien Kontrollmöglichkeiten haben. Andererseits ist offen, wie sich die Zusammenarbeit mit der Opposition gestalten wird. Eine konstruktive Zusammenarbeit mit der PRD scheint aus heutiger Sicht ausgeschlossen. Für die in Aussicht gestellten Reformen des Arbeitsmarktes, die Steuerreform und die Öffnung des Ölsektors wäre wohl eine Zusammenarbeit mit der noch regierenden konservativen Partei PAN denkbar. Es ist jedoch fraglich, ob die PAN nun als Oppositionspartei unpopuläre Reformen unterstützen wird, nachdem die PRI ihrerseits aus der Opposition heraus nicht zur Kooperation bereit war. Es wäre Mexiko zu wünschen, wenn der Pragmatismus siegen würde. Doch Skepsis erscheint angebracht.Trotz des Reformstaus während seiner Amtszeit kann der noch amtierende Präsident Felipe Calderón auch Erfolge vorweisen. So wurde die Kartellgesetzgebung erfolgreich reformiert. Die bislang bestehenden Monopole haben beispielsweise zu übermäßig hohen Telefontarifen geführt. Carlos Slim Helú, dem u. a. der Telefonriese Telmex gehört, ist mittlerweile der reichste Mann der Welt. Die neuen Gesetze dürften für mehr Wettbewerb und für niedrigere Preise sorgen. Über diese Reform hinaus hat Calderón das Land weitgehend stabil durch die große Wirtschaftskrise geführt. Starkes WachstumMexiko wächst im Moment stärker als viele andere Länder in der Region. Nachdem im vergangenen Jahr bereits ein Wachstum von 3,9 % erzielt wurde, dürfte die mexikanische Wirtschaft 2012 einen Zuwachs von immerhin 3,8 % erreichen. Ein stabiler Arbeitsmarkt, ein geringes Verschuldungsniveau der privaten Haushalte und ein solides Bankensystem sprechen dafür, dass der private Konsum noch geraume Zeit die tragende Säule der inländischen Nachfrage bilden kann.Auch die Exportwirtschaft ist mittlerweile solider aufgestellt als noch vor einigen Jahren. Die zurückhaltende Entwicklung der Löhne, ihr starker Anstieg in den Konkurrenzländern (vor allem in China), die Abwertung des mexikanischen Peso und die geografische Nähe zu den USA, die aufgrund der gestiegenen Transportkosten stärker ins Gewicht fällt, haben zu einem Anstieg der Wettbewerbsfähigkeit geführt.Allerdings hat die Nähe zu den USA auch durchaus ihre Kehrseite: Vier Fünftel der mexikanischen Exporte gehen über die nördliche Grenze des Rio Grande in die USA, womit Konjunkturprobleme beim großen Nachbarn auch in Mexiko schnell zu spüren sind.Ein großes Problem stellt in Mexiko seit Jahren die Gewalt der Drogenkartelle dar. In den gewaltsamen Auseinandersetzungen sind in den letzten Jahren über 120 000 Menschen ums Leben gekommen. Viele Firmen halten sich aufgrund der Sicherheitsproblematik mit Investitionen zurück. Immerhin wird der Warenhandel mit den USA bislang durch die Gewalt nicht behindert. Die Bemühungen der Regierung zur Eindämmung der Gewalt blieben bislang aber erfolglos und auch die neue Regierung wird es schwer haben, hier Erfolge zu erzielen. Inflation im GriffIm Gegensatz zur Sicherheitspolitik bewegt sich die Geldpolitik in ruhigen Bahnen: Inflation stellt seit Jahren für Mexiko kein ernsthaftes Problem dar. Die Zentralbank hat sich eine sehr gute Reputation erarbeitet. Allerdings ist die Inflationsgefahr jüngst wieder etwas gestiegen. Denn aufgrund schlechter Witterungsbedingungen kommt es zu dramatischen Ernteausfällen. Eine ähnliche Entwicklung hat 2007 die Tortilla-Krise ausgelöst. Damals ging die Bevölkerung auf die Straße, um gegen zu hohe Nahrungsmittelpreise zu demonstrieren. Seit Juni liegt die Inflationsrate oberhalb des Zielkorridors der Zentralbank von 3 % +/- 1 Prozentpunkt. Allerdings dürfte diese Verfehlung nur kurzfristig bestehen. Es steht zu erwarten, dass sich die Inflationsrate mittelfristig wieder in Richtung Zielkorridor bewegen wird. Die hohe Glaubwürdigkeit der Zentralbank dürfte dafür sorgen, dass die Inflationserwartungen unter Kontrolle bleiben. Die Geldpolitik wird voraussichtlich nicht auf diesen vorübergehenden Inflationsanstieg reagieren. Noch bis tief ins kommende Jahr hinein dürfte die Zentralbank den Leitzins unverändert bei 4,5 % lassen.Die Zentralbank profitiert davon, dass die Regierung bei der Fiskalpolitik keine Experimente macht. Das Budgetdefizit betrug im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre weniger als 1 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Mexiko hat seit Jahren mit dieser verantwortungsvollen Fiskalpolitik bei den Investoren Punkte gesammelt. Bereits 2006 hatte das Land ein “Gesetz zur fiskalischen Verantwortung” mit einer Defizitobergrenze eingeführt.Dennoch bleibt der Staatshaushalt anfällig. Der Hauptgrund ist die Abhängigkeit von den Öleinnahmen. Öl macht etwa ein Drittel der Staatseinnahmen aus. Die staatliche Ölgesellschaft wird regelrecht ausgepresst, was den Raum für notwendige Investitionen und damit die künftigen Förderkapazitäten deutlich einschränkt. Bereits in den vergangenen zehn Jahren ist die Ölproduktion dramatisch zurückgegangen. Ohne eine Öffnung des Ölsektors für private Investitionen ist davon auszugehen, dass die Ölförderung noch weiter sinkt.Die Schwäche auf der Einnahmenseite des Staates zeigt sich auch in der Steuerbasis, die mit 10 % des BIP die niedrigste aller OECD-Staaten ist. Eine Steuerreform ist daher notwendig, um langfristig eine stabilere fiskalische Lage zu sichern. Die Ausgabendisziplin hat zwar verhindert, dass die öffentlichen Schulden über ein Niveau von 35 % des BIP angeschwollen sind, aber eine Verbesserung ist ohne eine umfassende Steuerreform unwahrscheinlich. Stabile SchuldenstrukturAuch wenn die Einnahmensituation sich nicht deutlich verbessert hat, wurde in Mexiko an anderen Schrauben gedreht, um die Staatsfinanzen zu stabilisieren. So hat man einen Schwerpunkt auf die Schuldenstruktur sowie die Finanzierungswege gelegt. Der Anteil der lokalen öffentlichen Verschuldung ist auf zuletzt rund 80 % der gesamten öffentlichen Verschuldung gestiegen. Zudem hat die durchschnittliche Laufzeit der Verschuldung in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Diese Faktoren verringern die Anfälligkeit für Krisen. Auch hinsichtlich der externen Finanzierung ist Mexiko solider aufgestellt als in der Vergangenheit. Die internationalen Reserven haben sich in den vergangenen fünf Jahren auf 150 Mrd. Dollar verdoppelt. Zudem hat der Zugang zu einer flexiblen Kreditlinie (FCL) des Internationalen Währungsfonds über 73 Mrd. Dollar das Risiko eines externen Finanzierungsengpasses zusätzlich gemindert. Probleme im ÖlsektorDie Ratingagenturen haben aufgrund des Reformstaus der Regierung Calderón seit Jahren eine abwartende Haltung eingenommen. Bei Moody’s steht das Land mit “Baa1” drei Stufen oberhalb der Schwelle zum Investment Grade, bei Standard & Poor’s und Fitch sind es zwei Stufen. Aktuell ist der Ratingausblick bei allen drei Agenturen stabil. Sollten die Reformvorhaben von Peña Nieto umgesetzt werden, eröffnet sich neuer Spielraum für Ratingheraufstufungen.Wichtig wäre allem voran die Öffnung des Ölsektors für private Investoren, da das Land dadurch wichtige Projekte finanzieren könnte. Die Ölproduktion würde steigen und Einnahmen sowie Arbeitsplätze sichern. Zudem sollte die anstehende Steuerreform die Steuerbasis erweitern und somit stabilere Staatseinnahmen sichern, die die Abhängigkeit vom volatilen Ölmarkt senken würden. Und zuletzt würde die von Unternehmen lang ersehnte Arbeitsmarktreform zu einer höheren Flexibilität am Arbeitsmarkt führen und Mexiko attraktiver für Investoren machen. Es bleibt zu hoffen, dass sich die neue Regierung und die Opposition in den anstehenden Verhandlungen pragmatisch und kooperativ zeigen und der neue Präsident Peña Nieto tatsächlich der Erneuerer und kein Wolf im Schafspelz ist.—-*) Mauro Toldo ist Leiter Emerging Markets/Länderrisikoanalyse im Makro Research der DekaBank.