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Die Währungsunion sturmfest machen - Europa stärken!

Börsen-Zeitung, 10.1.2018 1. Ausgangspunkt: Kaum Chancen für eine politische Union Eine politische Union Europas, wie sie ursprünglich als Voraussetzung oder Folge der Europäischen Währungsunion gedacht war und beim Gipfel von Amsterdam (1997) nicht...

Die Währungsunion sturmfest machen - Europa stärken!

1. Ausgangspunkt: Kaum Chancen für eine politische UnionEine politische Union Europas, wie sie ursprünglich als Voraussetzung oder Folge der Europäischen Währungsunion gedacht war und beim Gipfel von Amsterdam (1997) nicht durchgesetzt werden konnte, wird es auf absehbare Zeit nicht geben.Der “Lackmustest” für die Möglichkeit der Weiterentwicklung der EU zu einer wirklichen politischen Union wäre die Bereitschaft, den ältesten Grundsatz der westlichen Demokratie, das gleiche Stimmengewicht aller Wähler bei allgemeinen Wahlen (“one man – one vote”) ohne Unterschied nach Geschlecht, Vermögen (vgl. früheres Zensuswahlrecht) oder Wohnsitz/Region auch für die Wahl zum Europäischen Parlament einzuführen. Die Abgeordneten des Europäischen Parlaments hätten dann endlich auch Wahlkreise, wie die Abgeordneten in nationalen Parlamenten; die Sichtbarkeit und die Verantwortung des Europäischen Parlaments gegenüber dem Wähler würde gestärkt; das Stimmengewicht einer in Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien abgegebenen Stimme wäre nicht – wie bisher – 10- bis 12-mal geringer als der Einfluss einer in Malta oder Luxemburg abgegebenen Stimme. Leider ist eine solche Bereitschaft weder in Brüssel/Straßburg noch in den Mitgliedstaaten zu erkennen. Im Gegenteil: das Thema “demokratische Legitimität” der europäischen Institutionen wird mehr oder weniger tabuisiert.2. Das Problem: Verlust der grundlegenden Orientierung über das Funktionieren einer Währungsunion ohne politische UnionEine dauerhafte stabile Währungsunion ohne den “Unterbau” einer politischen Union ist ein historisches Novum oder – positiv ausgedrückt – ein “Alleinstellungsmerkmal” der Europäischen Währungsunion. Den Vätern (und Müttern) des Euro – von Theo Waigel in Deutschland über Jean Claude Trichet in Frankreich bis Azeglio Ciampi in Italien – war klar, dass eine solche Währungsunion nur dauerhaft überlebensfähig ist, wenn die fehlende politische Union durch einen festen und funktionsfähigen rechtlichen Rahmen und feste, vertrauenswürdige Institutionen ersetzt wird; sie haben diesen Rahmen mit dem Maastrichter Vertrag sowie dem Stabilitäts- und Wachstumspakt geschaffen, der nach den Erfahrungen der Staatsschulden- und Bankenkrise seit 2007 einer Schärfung und Ergänzung bedarf, aber im Grunde nach wie vor der einzige Weg für eine dauerhaft stabile Währungsunion ist.Dieser Rahmen bestand nach der Erkenntnis der “Gründergeneration” und besteht auch heute darin, für die fehlende politische Union in den für die Währung zentralen Politikbereichen (vor allem Wirtschaft- und Finanzpolitik mit Ausstrahlungen in die Sozial- und Rechtspolitik) einen Ausgleich zu schaffen durch ein festes Regelwerk von Budget-Restriktionen (Verbot übermäßiger Staatsverschuldung, Art. 126 AEUV) und eine Absicherung der finanziellen Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten (keine monetäre Staatsfinanzierung, Art. 123 AEUV; keine Übernahme von oder Haftung für Staatsschulden eines anderen Mitgliedstaats, Art. 125 AEUV). Der Stabilitätspakt sollte als ein “öffentlicher Kontrollmechanismus” wirken, die finanzielle Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten (“No Bail-out”-Regel) als ein “marktwirtschaftlicher Kontrollmechanismus” das Vertrauen der Märkte und Bürger in die Solidität der Mitgliedstaaten sichern und über “Marktdisziplin” einen Druck in Richtung einer “Flexibilität für Reformen” ausüben. Eine solche Flexibilität für Reformen zur Sicherung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedstaaten ist eine notwendige Voraussetzung für das Gelingen einer Währungsunion. In der Währungsunion fehlt ja definitionsgemäß die Möglichkeit, Unterschiede in der preislichen Wettbewerbsfähigkeit durch externe Auf- und Abwertungen auszugleichen; sie muss durch die Bereitschaft zur Anpassung der “internen (realen) Wechselkurse”, also von Löhnen und Preisen und letztlich allen die Wettbewerbsfähigkeit bestimmenden Faktoren (einschließlich der Effizienz des öffentlichen Sektors und der Gerichtsbarkeit sowie der Infrastruktur) ersetzt werden.Diese grundlegenden Erkenntnisse über die Voraussetzungen einer Währungsunion ohne politische Union, die der Gründergeneration klar vor Augen waren, sind in den letzten Jahren zunehmend in Vergessenheit geraten oder bewusst verdrängt worden. In den aktuellen “Reformkonzepten” auf europäischer Ebene (zum Beispiel “Fünf Präsidenten-Bericht”, Vorschläge von EU-Kommissionspräsident Juncker) spielen sie genauso wenig eine Rolle wie in den Vorschlägen von Mitgliedstaaten, wie des französischen Präsidenten Macron. Von deutscher Seite gibt es leider – trotz zahlreicher Vorschläge (Bundesbank, Sachverständigenrat, Ifo-Institut) – kein abgestimmtes Konzept für die Weiterentwicklung der Währungsunion, wenn man einmal von einer Weiterentwicklung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zu einem “Europäischen Währungsfonds” absieht, dessen Einzelheiten, Vorteile und Risiken hier aus Raumgründen im Detail nicht diskutiert werden. Es besteht deshalb die Gefahr, dass eine künftige deutsche Regierung auf die Vorschläge von anderer Seite, die in Richtung Risiko-, Haftungs- und Schuldenübernahme gehen und somit den dargestellten Grundvoraussetzungen für eine langfristig stabile Währungsunion widersprechen, nur situativ, ohne geschlossenes Gegenkonzept reagiert. Dies dürfte – wie in der Vergangenheit – dazu führen, dass die Vorschläge anderer Staaten im Grunde akzeptiert, aber mit Einschränkungen und Auflagen verbunden werden, die den deutschen Bedenken Rechnung tragen sollen. Schon nach kurzer Zeit werden diese Einschränkungen und Auflagen aber als “deutscher Legalismus”, “Austeritätspolitik” oder Prinzipienreiterei in Zweifel gezogen oder sogar lächerlich gemacht.Ein Beispiel hierfür ist die Entwicklung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der in der letzten Finanzkrise durch eine Ergänzung der Europäischen Verträge (Art. 136 a AEUV) eingeführt wurde und durch die von ihm gewährten “Rettungskredite gegen strenge Auflagen” wesentlich zur Überwindung der akuten Krise beigetragen hat. Mag das Prinzip der finanziellen Eigenverantwortung dadurch geschwächt worden sein, letztlich blieb es durch die Reformauflagen aber (noch) erhalten. Schließlich hat auch der Internationale Währungsfonds mit auflagengebundenen Krediten (Konditionalität) gute Erfahrungen gemacht.Vielen der derzeit diskutierten Vorschläge zur Weiterentwicklung der Währungsunion, etwa der sog. Fiskalkapazität oder dem vom französischen Notenbankpräsidenten ins Gespräch gebrachten Kreditfonds, fehlt jedoch dieses Element der Reformauflagen und damit der Anpassung der “realen Wechselkurse”. Als Begründung wird meist angeführt, die Währungsunion brauche ein Instrument zur Abfederung “asymmetrischer Schocks”; hierbei wird weder zwischen exogenen – also vom Mitgliedstaat nicht oder kaum beeinflussbaren Faktoren wie etwa Rohstoffkrisen – und endogenen, also vom Mitgliedstaat zu beeinflussenden Krisen wie Bankenkrisen – unterschieden. Es bleibt auch die Erfahrung der Vergangenheit unerwähnt, dass viele solcher ökonomischer Schocks ohne Transfermechanismen von den betroffenen Mitgliedstaaten durch zunächst harte, aber letztlich erfolgreiche und vertrauensbildende Reformen überwunden werden konnten (wie etwa das Beispiel Finnlands oder die erfolgreichen Reformanstrengungen Estlands zeigen). Befürworter einer “Fiskalkapazität” verweisen oft auf die USA, wo unter dem einprägsamen Schlagwort “rainy day funds” Stabilisierungsfonds zum Ausgleich wirtschaftlicher Rückschläge zur Verfügung stünden. Diese Fonds existieren aber gerade nicht auf Bundesebene, sondern in den einzelnen Gliedstaaten der USA und werden aus Überschüssen guter Haushaltsjahre gespeist.Oft werden zudem von anderen Mitgliedstaaten und europäischen Institutionen Vorschläge kritisiert, die – wenn auch nur in bescheidenem Umfang – das Prinzip der finanziellen Eigenverantwortung stärken und die in Vergessenheit geratenen Grundvoraussetzungen der Währungsunion wieder beleben wollen. So hat selbst der Präsident des ESM den Vorschlag der Bundesbank, Kredite des Stabilitätsmechanismus (ESM) mit einer automatischen Prolongation der Laufzeiten von Staatsanleihen des Empfängerstaates zu verbinden und dadurch einen Beitrag zu einer notwendigen, berechenbaren Restrukturierung von Staatsschulden zu leisten, mit dem Argument zurückgewiesen, dies könne zu einem “Run” aus den Anleihen des betroffenen Mitgliedstaates und damit zu einer Verschärfung der Krise führen. Zugespitzt läuft dieses Argument darauf hinaus, jegliche Form der Marktdisziplin, die ja definitionsgemäß in Marktreaktionen besteht, auszuschließen. Dabei war die fehlende Marktdisziplin in der ersten Phase der Währungsunion (1999 bis 2007), die auf dem fehlenden Glauben der Finanzmärkte an die finanzielle Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten beruhte, nach heutiger allgemeiner Erkenntnis einer der Hauptgründe für die Krise ab 2007. Glaubwürdige und von vornherein berechenbare Regeln zur Marktdisziplin führen auch nicht zu einem plötzlichen, unerwarteten “Run auf die Staatsanleihen” eines Mitgliedstaats, sondern zu einer allmählichen Ausweitung der Spreads (Zinsunterschiede) für Staatsanleihen und damit zu dem gewünschten rechtzeitigen Signal an die betroffenen Regierungen, notwendige Reformen zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit einzuleiten.Eine kürzliche Untersuchung der EZB zur Entwicklung der “realen Konvergenz in der Eurozone” zeigt eindrucksvoll: den größten Vorteil von der Währungsunion, den höchsten Wachstumsgewinn relativ zum Euro-Durchschnitt, hatten die Länder, die sich an die ökonomischen und finanziellen Spielregeln der Währungsunion gehalten haben (wie insbesondere die baltischen Staaten oder die Slowakei bei Überwindung der Krise), während die Staaten, die versuchten, die finanziellen Regeln zu umgehen oder umzuinterpretieren (Italien und Griechenland) die höchsten Wachstumseinbußen relativ zum Durchschnitt des Euroraums hatten.3. Skizze möglicher Maßnahmen zur Zukunftssicherung der Währungsunion- Die – bereits erwähnte – automatische Prolongation von Staatsanleihen bei außerordentlichen Krediten (des ESM oder einer künftigen Fiskalkapazität). Diese von der Bundesbank vorgeschlagene Maßnahme würde die Glaubwürdigkeit des Bail-out-Verbotes erhöhen, die Marktdisziplin schon weit im Vorfeld möglicher Krisen stärken und somit die Krisenursachen bekämpfen.Im Vergleich zu anderen Vorschlägen zur Staatenrestrukturierung (Schuldenerlass, sog. Haircut) bliebe den Gläubigern sowohl die Forderung selbst wie das Zinsversprechen erhalten; das vom ESM abzudeckende Finanzierungsvolumen würde erheblich reduziert, was dem ESM die Erfüllung seiner Aufgaben wesentlich erleichtern würde. Der Vorschlag könnte zudem technisch ziemlich einfach, durch eine Ergänzung der Anleihekonditionen für künftige Staatsanleihen, umgesetzt werden.- Eine schrittweise Unterlegung der Staatsanleihen mit Eigenkapital. Die bisherige Privilegierung von Staatsanleihen im Vergleich zu Krediten an Verbraucher oder private Unternehmen (durch Befreiung von Eigenkapitalunterlegung, Einordnung in die höchste Liquiditätsklasse, Befreiung von Grenzen für “Klumpenrisiken” (Großkredite)) verstärkt die krisenverschärfende gegenseitige Abhängigkeit von Staaten und Banken. Ein – an Übergangsregeln geknüpfte – schrittweiser Abbau dieser Privilegierung würde Kredite für Unternehmensinvestitionen für die Banken attraktiver machen und einen erheblichen Konjunkturschub bedeuten. Die Mitgliedstaaten hätten einen ökonomischen Anreiz, durch Reformen und solide Finanzpolitik eine positive Aufnahme ihrer Anleihen auf den Finanzmärkten zu erreichen, was die Finanzstabilität stärkte.Dem von mancher Seite erhobenen Einwand, international (etwa auf der “Baseler Ebene”) fehle es hierfür an Unterstützung, ist entgegenzuhalten, dass sich die Kommission in anderen Politikbereichen (etwa im Umwelt- oder Klimaschutz) von einer Vorreiterrolle Europas nicht nur politische, sondern auch ökonomische Vorteile verspricht.- eine Härtung des Stabilitätspakts durch Beurteilung der Kriterien – Erfüllung (bzw. -verletzung) durch eine unabhängige Stelle (etwa den ESM). Die Glaubwürdigkeit des Stabilitätspakts als zentrales Element der “Maastrichter Architektur” wurde dadurch gestärkt. Der Vorschlag ist zugleich ein Test für den Reformwillen der EU-Kommission, die Stabilität der Währungsunion über “eigeninstitutionelle Interessen” zu stellen; denn die Kommission müsste eine bisher von ihr selbst wahrgenommene Aufgabe auf eine unabhängige Einrichtung delegieren.- Unterlegung von Krediten (einschließlich der Targetkredite jenseits betragsmäßiger und zeitlicher Limite) durch valide Sicherheiten (teilweise Verpfändung künftiger Steuereinnahmen). Die Verknüpfung eines Kredits mit belastbaren Sicherheiten ist der älteste und effektivste Weg, die Glaubwürdigkeit der Rückzahlung eines Kredits zu erhöhen. Während die bisher im Euroraum praktizierte Methode, Kredite an Auflagen zu knüpfen, die durch späteres Verhalten zu erfüllen sind, einen Anreiz ausübt, die Auflagen zu kritisieren oder sich ihnen zu entziehen, würde durch diese Maßnahme die Gegenleistung des Schuldners unmittelbar (“uno actu”) mit der Leistung des Gläubigers verknüpft. Da die Verpfändung eines Teils künftiger Staatseinnahmen eine sehr fühlbare Einschränkung der politischen Handlungsmöglichkeiten einer Regierung bedeutet, würde damit die Position reformwilliger Politiker in den jeweiligen Staaten gestärkt, die für einschneidende Reformen und damit eine Vermeidung solcher Folgen werben. Bisher spiegelten oft “populistische” Politiker in den betroffenen Staaten der Bevölkerung vor, es gebe einen schmerzfreien und risikolosen Weg aus selbstverschuldeten Schwierigkeiten, man müsse nur genug Druck auf vorhandene oder potenzielle Gläubiger ausüben.Nicht zuletzt zeigt die Geschichte überwundener oder vermiedener Staatsinsolvenzen, dass die Unterlegung von Staatsanleihen mit aktuellen oder künftigen Staatseinnahmen ein sehr wirkungsvoller Weg zur Wiedergewinnung der finanziellen Handlungsfähigkeit und des Marktvertrauen eines Staates ist. Zuletzt war dies 1975 bei der Vermeidung einer Insolvenz des US-Staates New York der Fall (vor dem Hintergrund, dass die Bundesebene der USA keine Bereitschaft zeigte, über eine unmittelbare Armutshilfe hinaus den Staat finanziell zu unterstützen).- Keine “Flucht aus der Konditionalität” (den Reformauflagen) durch eine Zentralisierung der Einlagensicherung. Der für die Glaubwürdigkeit der (in einigen Mitgliedstaaten noch nicht richtlinienkonform ausgestalteten) nationalen Einlagensicherungen wichtige “Backstop” muss nicht neu geschaffen werden, sondern existiert schon, und zwar in Form der Kreditmöglichkeiten des ESM: falls es die finanzielle Leistungsfähigkeit eines Mitgliedstaats übersteigt, sein nationales Einlagensicherungssystem im Krisenfalle durch Haushaltsmittel abzustützen, kann dieser Staat jederzeit einen Kredit des ESM beantragen – muss dafür allerdings Reformauflagen, etwa im Insolvenzrecht oder Bilanzrecht der Banken, erfüllen. Die immer wieder erhobene Forderung nach einem “Backstop” (Ausfallgarantie) außerhalb der Fazilitäten des ESM ist deshalb bei Licht besehen der Versuch, den bei der letzten Ergänzung der Europäischen Verträge bekräftigten Kern der Eigenverantwortung (Reformauflagen für Rettungskredite) zu schleifen.Bei allen diesen Vorschlägen geht es letztlich darum, das oberste Gut Europas zu erhalten: das Vertrauen der Bürger in das Funktionieren seiner Institutionen und in die Gerechtigkeit seiner Regeln und Verfahren.—-Franz-Christoph Zeitler, von 2006 bis 2011 Vizepräsident der Deutschen Bundesbank