LÄNDERREPORT: SAUDI-ARABIEN

Die Wirtschaft des Wüstenstaates trotzt der globalen Krise

Hohe Rohöleinnahmen erlauben der Regierung immense Konjunkturprogramme - Arbeitslosigkeit dennoch sehr hoch - Königsfamilie hält Protestpotenzial gering

Die Wirtschaft des Wüstenstaates trotzt der globalen Krise

Von Bernhard Esser *)Es ist ein positives Signal für den zaghaften gesellschaftlichen Wandel in Saudi-Arabien: Das Königreich nominierte erstmals in seiner Geschichte Athletinnen für die Olympischen Spiele. In London sollen die Judoka Wodjan Ali Seraj Abdulrahim Shahrkhani und die Läuferin Sarah Attar an den Start gehen. Es scheint sich etwas zu bewegen in Saudi-Arabien, wenn auch die Probleme der Frauen in dem Golfstaat nicht schlagartig mit dem Olympia-Debüt saudi-arabischer Athletinnen gelöst sind.Dabei hat König Abdullah ibn Abd al-Aziz seit seiner Machtübernahme 2005 wichtige Reformen – auch der Frauenrechte – eingeleitet. Kritiker werfen dem Königshaus allerdings vor, die Umgestaltung gehe zu langsam voran. Zugleich lasse die Regierung echten Willen zu politischen Reformen vermissen. Zwar gab es unter dem Eindruck des “Arabischen Frühlings” einzelne Zugeständnisse sozialer Freiheiten, dies aber lediglich, um das Protestpotenzial einzudämmen. Insgesamt ist es der saudischen Königsfamilie bisher allerdings gelungen, die Machtbalance zu ihren Gunsten zu entscheiden. Dies auch, weil es kaum Anzeichen einer breiten Protestbewegung innerhalb der Gesellschaft gibt. Öl dominiert ExporteEiner der Gründe für die relative politische Stabilität des Golfstaates ist dessen wirtschaftliche Prosperität. Die Wirtschaft des Königreichs Saudi-Arabien hängt am Ölhahn und verdient an einem hohen Ölpreis. Die Verkäufe von Erdöl und Erdölprodukten stellen mit annähernd 90 % die wichtigste Einnahmequelle des Landes dar. Die Erlöse daraus machen mehr als vier Fünftel der gesamten Exporteinnahmen des Landes aus.Trotz zwischenzeitlich nachgebender Ölpreise und der anhaltenden gesellschaftlichen Spannungen in der gesamten Region hat die Wirtschaft in Saudi-Arabien auch im laufenden Jahr ein hohes Wachstumstempo gehalten. Im ersten Halbjahr betrug die reale Expansion des Bruttoinlandsproduktes (BIP) knapp 6 %. Derzeit signalisieren die Frühindikatoren eine Fortsetzung dieses Trends für die größte Volkswirtschaft der Golfstaaten, während die Vorzeichen in weiten Teilen der Welt auf eine weitere Abschwächung hindeuten. Für das laufende Jahr ist somit ein reales BIP-Wachstum in Saudi-Arabien um 4,1 % wahrscheinlich (2011: 6,6 %).Die Stärke des saudi-arabischen Wirtschaftswachstums basiert vor allem auf zusätzlichen staatlichen Ausgaben. Derzeit pumpt die Regierung Gelder im Rahmen fiskalischer Maßnahmen für das Hauhaltsjahr 2012 und der 2011 beschlossenen zusätzlichen Ausgaben in Höhe von 130 Mrd. Dollar in die heimische Volkswirtschaft. Dabei gibt es eine zunehmende Fokussierung auf Infrastruktur-, Energie- und Wasserversorgungsprojekte. Mit derartigen Großprojekten bleibt Saudi-Arabien auch für zahlreiche deutsche Unternehmen ein sehr interessanter Markt.Zugleich hat die Kreditvergabe saudi-arabischer Banken in den zurückliegenden Monaten zugenommen. Während der ersten fünf Monate des laufenden Jahres wuchsen die Bankkredite an die Privatwirtschaft um mehr als 6 % gegenüber der Vorjahresperiode. Mit diesem Multiplikationsfaktor reichen die wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Regierung deutlich über den reinen Infrastrukturbereich hinaus. Großer HaushaltsüberschussDerzeit dürfte die Ausgabenpolitik des Königreichs auf einem Mindestpreis für Rohöl von 85 Dollar je Barrel basieren. Allerdings ist das Land mit erheblichen Reserven und einer soliden Finanzlage – das Haushaltsplus liegt bei 8 % des BIP – gegen derartige Preisrückgänge gewappnet. In den zurückliegenden sechs Jahren hat die Regierung Reservemittel mit einem Gegenwert von mehr als 550 Mrd. Dollar aufgebaut. Das entspricht in etwa dem Umfang der gesamten Wirtschaftsleistung Saudi-Arabiens in einem Jahr. Diese Mittel würden dazu ausreichen, die derzeitige Ausgabenpolitik vollumfänglich für mehr als zwei Jahre zu finanzieren oder ein Haushaltsdefizit in Höhe von 10 % der im gleichen Zeitraum erzielten Wirtschaftsleistung ohne zusätzliche Neuverschuldung zu decken. Sollte es im Jahresverlauf zu einem erneuten Preisverfall beim Öl kommen, ist zwar mit einer leichten Zurückhaltung der staatlichen Konjunkturprogramme zu rechnen, im Kern wird die Regierung in Riad aber voraussichtlich an ihrer expansiven Fiskalpolitik festhalten.Dafür spricht die hohe Arbeitslosigkeit im Königreich. Jüngsten Daten zufolge liegt die veröffentlichte Arbeitslosenquote bei rund 10 %, inoffizielle Schätzungen sprechen von 20 % bis 30 %. Betroffen sind davon vor allem Jugendliche, bei denen die Arbeitslosenquote etwa 25 % erreicht, und Frauen mit einem höheren Bildungsabschluss.Die Privatwirtschaft außerhalb des Öl- und Petrochemiesektors spielt in der saudi-arabischen Volkswirtschaft bislang nur eine kleine Rolle, verzeichnete in den vergangenen Jahren aber deutliche Zuwachsraten. Derzeit profitiert dieser Sektor ungemein von den Zuwendungen der öffentlichen Hand, die eine Diversifizierung der Wachstumsträger im Land wünscht. Im April dieses Jahres ist der Einkaufsmanagerindex für die Privatwirtschaft auf den höchsten Stand seit Juli 2011 geklettert. Seitdem bewegen sich die Umfrageergebnisse für das verarbeitende Gewerbe in Saudi-Arabien um einen Stand von 60 Punkten, signifikant oberhalb der 50-Punkte-Marke, deren Überschreiten ein Wachstum in der Industrie anzeigt. Besonders die Detailfragen zu den Auftragsbeständen und der gegenwärtigen Produktionsleistung weisen mit positiven Einschätzungen auf eine wachsende Inlandsnachfrage hin, die aufgrund der leichten Besserung am Arbeitsmarkt zusätzliche Dynamik erhält. Seit neun Monaten berichten die Unternehmen über Neueinstellungen.Eine veritable Bedeutung erhält der privatwirtschaftliche Sektor durch die demografische Entwicklung: Im Jahr 2010 lebten in Saudi-Arabien über 27 Millionen Menschen. Nach Einschätzung der Vereinten Nationen wird die Einwohnerzahl bis 2050 auf 45 Millionen steigen. Derzeit wächst die Bevölkerung mit einer noch immer relativ hohen Rate von 2,6 %, die jedoch niedriger ausfällt als das Wachstum des BIP. Die saudi-arabische Bevölkerungsentwicklung befindet sich bereits in einem Übergang von einer klassischen pyramidalen Struktur hin zu einer weniger stark wachsenden Gesellschaft. Nach Schätzung der UN wird sich die sinkende Fertilitätsrate bis 2025 soweit auswirken, dass sich die Erhöhung der Nachwuchszahlen stabilisiert.Im Schnitt bleibt die saudi-arabische Bevölkerung in dieser Zeit relativ jung. Das bedeutet, dass die Alterung der Gesellschaft keine Rolle spielt und stabil wachsende Jahrgänge auf den Arbeitsmarkt drängen. Mit entsprechenden Investitionen in Bildung und einer ausreichenden Zahl an Arbeitsplätzen ergeben sich gute Entwicklungschancen. Stimmen diese Voraussetzungen, wird sich Saudi-Arabien in den kommenden Jahren in der Lage befinden, seine demografische Dividende einzufahren. Spannungen in der RegionDer insgesamt positive Ausblick für die saudi-arabische Volkswirtschaft ist derzeit allerdings durch die Spannungen in der Region überschattet, besonders durch die Entwicklung in Syrien. Saudi-Arabien hat ebenso wie der Staat Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate eine Haltung gegen die syrische Staatsführung unter Präsident Baschar al-Assad eingenommen. In Riad unterstützt man derzeit vor allem Anstrengungen, über Druck von Außen einen Führungswechsel in Damaskus herbeizuführen. Die Berichte über direkte Hilfen des Iran und der Golfstaaten an die Regierung oder die Rebellen in Syrien zeigen aber, dass auch Saudi-Arabien das Risiko eingeht, in einen Stellvertreterkrieg um die Hegemonie in der Region zu geraten.Die saudi-arabische Börse erreichte im ersten Quartal nach einem satten Plus von 23 % einen neuen Rekordstand. Allerdings fielen danach die Kurse ebenso schnell wieder von 7 944 auf 6 600 Punkte zurück. Der maßgebliche Tadawul All Share Index (Tasi) legte seit Jahresanfang damit lediglich 3 % zu. Derzeit mehren sich jedoch die Anzeichen für erneute Kursgewinne des Aktienleitindexes. Etwas leichterer ZugangFür ausländische Anleger ist der Zugriff auf den saudi-arabischen Kapitalmarkt in den vergangenen zwei Jahren zum Teil erleichtert worden. Allerdings blieb die größte Börse innerhalb der Golfstaaten davon ausgenommen. Ausländische Investoren greifen deshalb bei einem erwünschten Aktienengagement in dem Königreich auf sogenannte “Swap-Agreements” mit inländischen Finanzintermediären zurück. Daneben existieren Anlagemöglichkeiten für ausländische Privatanleger in Fonds- und Zertifikateanteilen. Aus Sicht eines Investors aus der Eurozone führt die feste Anbindung der saudi-arabischen Währung an den Dollar dazu, dass die Kursänderungen des Euro zum Dollar einen erheblichen Einfluss auf den Gesamtertrag eines Engagements haben. Eine Aufhebung des festen Währungskorsetts steht in dem Königreich nicht auf der Agenda.Insgesamt erweisen sich die hohe Arbeitslosigkeit und die Abhängigkeit der Rohölexporte vom globalen Konjunkturverlauf als Belastungsfaktoren für die saudi-arabische Ökonomie. Dennoch und trotz einer deutlichen Konjunkturflaute in den westlichen Industrieländern bleibt Saudi-Arabien auf einem soliden Wachstumspfad. Dabei verhindert vor allem die expansive Fiskalpolitik der Regierung in Riad ein Schrumpfen der Wirtschaft.—-*) Bernhard Esser ist Direktor im Treasury Research von HSBC Trinkaus mit Schwerpunkt Emerging Markets.