Die Wirtschaft spielt im Abwehrkampf gegen rechts eine wichtige Rolle
Ansichtssache
Die Wirtschaft spielt im Abwehrkampf gegen rechts eine wichtige Rolle
Von Harald Christ
Wenn in diesen Tagen die Rede von einer Zeitenwende ist, dann sind damit meist internationale Entwicklungen gemeint. Kaum weniger alarmierend ist jedoch die Zäsur, die sich derzeit in der politischen Landschaft Deutschlands vollzieht – die Ergebnisse der Landtagswahlen in Bayern und Hessen belegen das auf erschreckende Weise. Noch vor wenigen Jahren wäre es absolut unvorstellbar gewesen, dass in Bayern jede dritte Stimme auf das Konto von Parteien geht, die rechts von der CSU angesiedelt sind. Mehr als 30% für AfD und Freie Wähler – und in Hessen etabliert sich die rechtsradikale „Alternative“ gar als zweitstärkste politische Kraft. Mit deutlichem Abstand vor SPD und Grünen.
Was ist nur los in diesem Land?
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat den Satz geprägt, dass Demokratie die Staatsform der Mutigen sei. So recht er damit hat, so sicher gilt auch der Umkehrschluss: Wenn der Mut sinkt, wenn sich in weiten Teilen der Bevölkerung diffuse Ängste zu einer depressiven Melange vermengen, dann gerät die Demokratie insgesamt unter Druck.
Und genau das scheint gerade zu passieren. Zudem verheißt der bange Blick auf die Europawahl und die Landtagswahlen im kommenden Jahr nichts Gutes. Im Gegenteil! Dass wir damit auf eine gefährliche schiefe Ebene geraten, unseren international (noch) guten Ruf als stabilen Investitionsstandort und damit unseren Wohlstand ernstlich gefährden, dürfte jedem vernünftigen Beobachter klar sein.
Sicher haben wir alle es uns in den vergangenen Jahren zu einfach gemacht: Das Erstarken der AfD als reines Phänomen Ostdeutschland deklariert und uns eingeredet, man könne rechtsradikale und antidemokratische Ressentiments quasi östlich der einstigen Grenze einhegen – wie in einer politischen Quarantänestation. Aber das Virus ist längst ausgebrochen. Es kontaminiert nach und nach das ganze Land. Die Folge ist ein Paradoxon: Obwohl vermutlich kaum ein AfD-Wähler ernsthaft glaubt, dass rechtsradikale Schreihälse das Land besser regieren könnten als die aktuellen Verantwortungsträger, wird eine Partei gewählt, deren Radikalität den Wohlstand aller gefährdet. Man könnte also von einer Form autoaggressiven Verhaltens sprechen.
Die Regierenden in Bund und Ländern haben diesem Phänomen bislang offenbar wenig entgegenzusetzen. Die Statements und Stellungnahmen aus den demokratischen Parteien nach den Landtagswahlen in Bayern und Hessen waren kaum mehr als die üblichen Plattitüden und Rituale. Nur keine Panik, alles im Griff, das wird schon.
Dabei werden mangels einfacher Antworten die zwei wichtigsten Fragen verdrängt: Worauf gründen sich die Ängste vor tatsächlichem oder vermeintlichem individuellen wie kollektiven Niedergang. Und: Wie kann ihnen wirksam begegnet werden? Oder anders: Wie kann in Zeiten multipler Krisen wieder Zuversicht geweckt werden, Optimismus und der Glaube an die Resilienz des Einzelnen wie der offenen, liberalen Gesellschaft?
Immerhin scheint Bundeskanzler Olaf Scholz nach langem Zaudern inzwischen die Brisanz der Lage erkannt zu haben. Das direkte Gespräch mit Oppositionsführer Friedrich Merz über eine begrenzte Zusammenarbeit beim drängenden Thema Begrenzung der Migration kann ein erster Schritt sein, um über Parteigrenzen hinweg zu signalisieren: Wir beginnen zu verstehen, was die Menschen draußen im Lande umtreibt, was sie bedrückt, was ihnen Angst macht. Allerdings steht zu befürchten, dass – sowohl auf Seiten der Ampel-Parteien als auch bei CDU und CSU – die Versuchung zu groß ist, solche Gespräche für vermeintliche parteipolitische Geländegewinne zu nutzen und damit zu entwerten. Dabei ist die Aufgabe klar: Die Politik muss klare Botschaften aussenden, Entscheidungen treffen, die für die große Masse der Bevölkerung ebenso relevant wie verständlich sind – und diese dann offensiv kommunizieren. Nur dann besteht die Chance, Verständnis auch für jene Probleme zu erzeugen, die sich einer raschen Lösung entziehen oder die außerhalb des Handlungsbereichs der deutschen Politik liegen. Einfach ist das natürlich nicht, zumal im medialen Getöse die schrillsten Stimmen am ehesten Gehör finden. Heißt: Rationalität und der Wille zum Kompromiss sind Werte, die insbesondere in den sozialen Netzwerken einen zunehmend schweren Stand haben. Damit erklärt sich auch, warum ausgerechnet AfD, Verschwörungstheoretiker und Trolle aller Art auf Plattformen wie Instagram oder Tiktok so erfolgreich sind.
Plattform nutzen
Eine bisher zu wenig beachtete Rolle im Abwehrkampf gegen antidemokratische Tendenzen kommt der Wirtschaft und vor allem den Unternehmen zu. Hier, wo abseits ideologischer Belastungen tagtäglich Entscheidungen getroffen werden, die unmittelbar in Erfolg oder Misserfolg münden, existiert eine Plattform, von der aus Vernunft sich ausbreiten kann. Die Verantwortungsträger in den Unternehmen sollten diese Plattform offensiv nutzen, um ihren Beschäftigten die einfachen Wahrheiten zu vermitteln: Politische Instabilität führt dazu, dass noch mehr Investoren aus Deutschland abwandern, was auf mittlere Sicht der Wirtschaft schweren Schaden zufügt. Bisher sichere Arbeitsplätze könnten schnell zur Disposition stehen. Und: Ohne Zuwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt wird sich unser Wohlstandsniveau nicht halten lassen.
Henrik Müller, Wirtschaftsprofessor an der Uni Dortmund, hat es kürzlich auf den Punkt gebracht, als er davon sprach, dass rechtsradikale Kreise es geschafft hätten, Öffentlichkeit und Politik mit ihren kruden Theorien zu „kapern“. Hier, also auf der Ebene der medialen Wahrnehmbarkeit, müssen die liberalen Stimmen einer offenen Gesellschaft so schnell wie möglich Terrain zurückgewinnen. Und das nicht nur rein defensiv, sondern mit einer offensiven Erzählung, die erklärt, auf welchen Säulen unsere bisherige Erfolgsgeschichte beruht: auf Vernunft, Rationalität – und einer guten Portion Optimismus.
Die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine und in Nahost, die zunehmende Macht autokratischer Parteien auch in Europa führen uns täglich vor Augen: Wir stehen als Gesellschaft in einem beinharten Wettbewerb miteinander unvereinbarer Systeme. Hier unser auf Vielfalt, Liberalität und Kompromiss gegründetes Modell; dort Abschottung, Renationalisierung, Ressentiment und Diskriminierung. Es ist keineswegs selbstverständlich, dass sich unser Gesellschaftsmodell durchsetzt, sondern eine Aufgabe, die anstrengend und kräftezehrend ist. Dieser Aufgabe müssen wir uns stellen. In Politik, Wirtschaft – und auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens.
Die Verantwortlichen in den Unternehmen sollten ihre Plattform offensiv nutzen, um die einfachen Wahrheiten zu vermitteln.
Harald Christ ist ein deutscher Unternehmer und Politiker. Nach 31 Jahren in der SPD trat der gebürtige Wormser 2020 der FDP bei und fungierte dort als Bundesschatzmeister. Derzeit ist er Chairman des von ihm gegründeten Beratungsunternehmens Christ & Company Consulting GmbH.