BundestagswahlInterviews zur neuen politischen Lage

„Die wirtschaftliche Stagnation bleibt uns erhalten“

Ökonomen zum finanziellen Bewegungsspielraum der neuen Bundesregierung unter Führung von CDU-Chef Friedrich Merz. Was können wir hoffen? Was ist zu befürchten?

„Die wirtschaftliche Stagnation bleibt uns erhalten“

Die Deutschen haben gewählt. CDU-Vorsitzender Friedrich Merz ist der Wahlsieger und künftige Bundeskanzler. Die abgestürzte SPD übernimmt die Rolle des zwingend notwendigen Koalitionspartners. Wahlarithmetisch gibt es schließlich keine anderen Möglichkeiten, soll die AfD weiter ausgegrenzt werden.

Nachstehend die von der Börsen-Zeitung eingefangenen Stimmen einer Reihe von Ökonomen zu den ökonomischen Aufgaben der künftigen Bundesregierung.


Nicola Fuchs-Schündeln, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung sowie Professorin für Makroökonomie und Entwicklung an der Goethe-Universität Frankfurt

Nicola Fuchs Schündeln, Präsidentin des WZB in Berlin
WZB / David Ausserhofer
Die Antworten von Nicola Fuchs-Schündeln

Die Wähler haben entschieden. Die neue Bundesregierung wird von CDU-Parteichef Friedrich Merz als Kanzler geführt. Sind Sie zuversichtlich, dass der von Bürgern und Wirtschaft ersehnte „Politikwechsel“ gelingt?

Die deutsche Wirtschaft benötigt dringend Reformen. Die gute Nachricht: Es ist einfacher, diese in einer Zweier- als in einer Dreierkoalition zu verhandeln. Ich hoffe, dass den künftigen Regierungsparteien klar ist, dass wir ehrliche Antworten auf die dringenden Probleme brauchen, keine Klientelpolitik.

Die anstehenden Aufgaben sind gigantisch. Bundeswehr, Infrastruktur/Standort, Wachstum etc. Wo oder in welcher Reihenfolge sollte die neue Bundesregierung hier ansetzen?

Die momentane geopolitische Situation erfordert, dass die Bundesregierung wieder eine treibende Kraft für eine starke EU wird. Kurzfristig müssen durch Reformen Wachstumsimpulse gesetzt werden, gleichzeitig sind mittelfristig Investitionen in die Bildung zentral für das Wachstum in Deutschland.

Kann Deutschland die dafür nötigen gewaltigen Finanzmittel aufbringen? Muss die Schuldenbremse ausgesetzt oder müssen neue Sondervermögen aufgelegt werden?

Ich sehe zwei Hebel, um die nötigen Finanzmittel aufzubringen, und beide werden benötigt: Effizienzgewinne durch Entbürokratisierung und Reformen, die das Staatshandeln vereinfachen, sowie auch zusätzliche Verschuldung, sei es durch Sondervermögen oder eine Reform der Schuldenbremse.

Welchen Beitrag können und müssen die Unternehmen leisten, welchen die Bürger und der Sozialstaat?

Die Unternehmen müssen sich durch Investitionen in Digitalisierung und KI auf die neue Realität mit sinkendem Arbeitsangebot einstellen. Der Sozialstaat muss vereinfacht werden, damit die Hilfe besser bei den Bedürftigen ankommt und er gleichzeitig kostengünstiger wird.

Wie, glauben Sie, werden die Finanzmärkte und wie sollte die EZB reagieren, um das Vorhaben zum Erfolg zu führen? Und was würde passieren, wenn das misslingt?

Es ist nicht die Rolle der EZB, die Vorhaben der deutschen Regierung zum Erfolg zu führen. Ihre Unabhängigkeit ist sehr wichtig und zentral für Europa.


Moritz Kraemer, Chefvolkswirt LBBW

Moritz Kraemer, Chefvolkswirt LBBW
Foto: LBBW
Die Antworten von Moritz Kraemer

Die Wähler haben entschieden. Die neue Bundesregierung wird von CDU-Parteichef Friedrich Merz als Kanzler geführt. Sind Sie zuversichtlich, dass der von Bürgern und Wirtschaft ersehnte „Politikwechsel“ gelingt?

Die schwarz-rote Mehrheit ist minimal, man sollte aufhören, von „Großer Koalition“ zu reden. Und die SPD ist vom Wähler wund geschossen worden und wird sich neu formieren müssen. Aber die Zeichen stehen auf Wechsel. Viele Wünsche werden unerfüllt bleiben. Aber ein „Weiter so“ wird es nicht geben.

Die anstehenden Aufgaben sind gigantisch. Bundeswehr, Infrastruktur/Standort, Wachstum etc. Wo oder in welcher Reihenfolge sollte die neue Bundesregierung hier ansetzen?

Eine Bundesregierung hat keinen Zauberstab, um das Wachstum wieder in Gang zu bringen. Ich erwarte Fortschritte beim Thema Deregulierung. Und das ist gut so. Denn Bürokratie ist eines der Haupthemmnisse für mehr Investitionen und Vertrauen seitens der Unternehmen.

Kann Deutschland die dafür nötigen gewaltigen Finanzmittel aufbringen? Muss die Schuldenbremse ausgesetzt oder müssen neue Sondervermögen aufgelegt werden?

Die wirtschaftliche Stagnation wird uns erhalten bleiben, umso mehr als ein Zollkrieg droht. Die Budgetmittel bleiben knapp. Zur Lockerung der Schuldenbremse wird nun die Linke benötigt. Das Gleiche gilt für neue Sondervermögen. Da werden einige in der Union über ihren Schatten springen müssen!

Welchen Beitrag können und müssen die Unternehmen leisten, welchen die Bürger und der Sozialstaat?

Staatliches Handeln wie Steuern oder Regulierung ist nur ein Teil des Wachstumsproblems. Mindestens ebenso wichtig sind Themen, die mit unserem Mindset zu tun haben. Der demografische Niedergang erfordert zwingend, dass Menschen wieder mehr und länger arbeiten. Immer weniger scheinen aber dazu bereit zu sein.

Wie, glauben Sie, werden die Finanzmärkte und wie sollte die EZB reagieren, um das Vorhaben zum Erfolg zu führen? Und was würde passieren, wenn das misslingt?

Die Kapitalmärkte haben meiner Meinung nach noch nicht wirklich verinnerlicht, dass eine expansivere Budgetpolitik gestern nicht wirklich wahrscheinlicher geworden ist. Die EZB hat hier keine Rolle zu spielen und sollte nicht versuchen, als Steigbügelhalter nationaler Regierungen zu agieren.


Michael Holstein, DZ-Bank

Michael Holstein, Chefvolkswirt der DZ-Bank
DZ-Bank
Die Antworten von Michael Holstein

Die Wähler haben entschieden. Die neue Bundesregierung wird von CDU-Parteichef Friedrich Merz als Kanzler geführt. Sind Sie zuversichtlich, dass der von Bürgern und Wirtschaft ersehnte „Politikwechsel“ gelingt?

Die Ampel wurde abgewählt, die Wähler haben für einen Politikwechsel gestimmt. Eine klare Wirtschaftswende hat jedoch keine Mehrheit bekommen. Insofern sind die Startbedingungen für die neue, CDU-geführte Bundesregierung, sehr schwierig. Für eine wirtschaftspolitische Zeitenwende wäre ein marktfreundlicheres Umfeld mit weniger Vorschriften wichtig. Die neue Zusammensetzung im Bundestag spricht aber nicht zwingend dafür.

Die anstehenden Aufgaben sind gigantisch. Bundeswehr, Infrastruktur/Standort, Wachstum etc. Wo oder in welcher Reihenfolge sollte die neue Bundesregierung hier ansetzen?

Neben höheren Verteidigungsausgaben sind sicherlich mehr Investitionen in die Infrastruktur und niedrigere Unternehmenssteuern hoch oben auf der Prioritätenliste der Union. Zusammen könnte das der mauen Konjunktur in Deutschland durchaus einen Schub geben. Zudem muss Deutschland Leistungs- und Arbeitsanreize neu definieren. Dazu gehört auch die Reform des Sozialstaats.

Kann Deutschland die dafür nötigen gewaltigen Finanzmittel aufbringen? Muss die Schuldenbremse ausgesetzt oder müssen neue Sondervermögen aufgelegt werden?

Steht die neue Regierung, dürften mehr staatliche Investitionen, höhere Militärausgaben und steuerliche Erleichterungen für Unternehmen das wesentliche Ziel sein. Das kostet aber viel Geld und wird nicht vollständig gegenfinanziert werden können. Eine Reform oder eine notfallbedingte Aussetzung der Schuldenbremse ist unausweichlich. Alternativ könnten europäische „Defence Bonds“ zur Finanzierung herangezogen werden. Aufgrund der Sperrminorität durch AfD und Linke wird dieses Szenario wahrscheinlicher.

Welchen Beitrag können und müssen die Unternehmen leisten, welchen die Bürger und der Sozialstaat?

Alle werden einen Beitrag leisten müssen. Die Ressourcen für die höheren Verteidigungsausgaben müssen aufgebracht werden, ebenso wie die Mittel für höhere Investitionen. Der Konsum wird entsprechend etwas eingeschränkt werden müssen. Das könnte Einschnitte bei Sozialausgaben betreffen oder auch höhere Konsumsteuern.

Wie, glauben Sie, werden die Finanzmärkte und wie sollte die EZB reagieren, um das Vorhaben zum Erfolg zu führen? Und was würde passieren, wenn das misslingt?

Die Renditen an den Rentenmärkten dürften tendenziell ansteigen. Ob die EZB ihren Kurs in Richtung expansivere Geldpolitik beibehalten kann, hängt maßgeblich davon ab, ob die Inflationserwartungen nicht zu stark ansteigen. Hierfür sollte die Wirtschaftspolitik im Rahmen ihrer Möglichkeiten sorgen.


Eiko Sievert, Senior Director Sovereign & Public Sector bei der Ratingagentur Scope

Eiko Sievert, Senior Director Sovereign & Public Sector der Ratingagentur Scope
Scope Ratings
Die Antworten von Eiko Sievert

Die Wähler haben entschieden. Die neue Bundesregierung wird von CDU-Parteichef Friedrich Merz als Kanzler geführt. Sind Sie zuversichtlich, dass der von Bürgern und Wirtschaft ersehnte „Politikwechsel“ gelingt?

Eine Zweier-Koalition zwischen der Union und SPD sollte eine schnellere Umzusetzung der Vorhaben erlauben, als dies in einer Dreier-Koalition der Fall wäre. Dennoch sind auch hier viele Kompromisse nötig um unterschiedliche Positionen, z.B. im Migrationsbereich, in einem Programm zu vereinen. 

Die anstehenden Aufgaben sind gigantisch. Bundeswehr, Infrastruktur/Standort, Wachstum etc. Wo oder in welcher Reihenfolge sollte die neue Bundesregierung hier ansetzen?

Die nächste Bundesregierung wird sich diesen Herausforderungen gleichzeitig stellen müssen. Ausgaben für die Bundeswehr werden voraussichtlich kurzfristig weiter steigen müssen. Gleichzeitig muss Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftliche Dynamik erhöhen.

Kann Deutschland die dafür nötigen gewaltigen Finanzmittel aufbringen? Muss die Schuldenbremse ausgesetzt oder müssen neue Sondervermögen aufgelegt werden?

Schuldenaufnahmen über Sondervermögen stellen eine kurzfristige Möglichkeit dar, obwohl die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit die Unterstützung der Grünen und Linken bedarf. Vor allem für wachstumsfördernde Investitionen hat Deutschland noch fiskalischen Spielraum.

Welchen Beitrag können und müssen die Unternehmen leisten, welchen die Bürger und der Sozialstaat?

Private Investitionen und privater Konsum werden das Wirtschaftswachstum stützen müssen. Dazu braucht es die richtigen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.  Außerdem bedarf es einer Ausweitung des Arbeitsangebots und Produktivitätssteigerungen.

Wie, glauben Sie, werden die Finanzmärkte und wie sollte die EZB reagieren, um das Vorhaben zum Erfolg zu führen? Und was würde passieren, wenn das misslingt?

Die Finanzmärkte können etwas höhere Anleiheemissionen des Bundes erwarten. Die EZB sollte sich weiter für Preisstabilität und den Fortschritt der Kapitalmarktunion einsetzen. Dadurch könnte das dringend benötigte Kapital zur Förderung von Investitionen im Privatsektor bereitgestellt werden.


Florian Heider, Wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE in Frankfurt

Florian Heider, Wissenschaftlicher Direktor SAFE Frankfurt
SAFE / Uwe Dettmar
Die Antworten von Florian Heider

Die Wähler haben entschieden. Die neue Bundesregierung wird von CDU-Parteichef Friedrich Merz als Kanzler geführt. Sind Sie zuversichtlich, dass der von Bürgern und Wirtschaft ersehnte „Politikwechsel“ gelingt?

Im Rahmen des Möglichen wird es einen Politikwechsel geben. Allerdings sind die Aufgaben enorm und gleichzeitig der Handlungsspielraum begrenzt. Mangels einer Zweidrittelmehrheit ohne Die Linke und AfD kann weder die Schuldenbremse reformiert noch ein Sondervermögen aufgenommen werden.

Die anstehenden Aufgaben sind gigantisch. Bundeswehr, Infrastruktur/Standort, Wachstum etc. Wo oder in welcher Reihenfolge sollte die neue Bundesregierung hier ansetzen?

Die künftige Regierung steht vor einer doppelten Herausforderung. Sie muss kurzfristige Lösungen für Wachstum und die sich ändernde geopolitische Lage finden. Und gleichzeitig muss sie notwendige Strukturreformen angehen – nicht nur in den o. g. Bereichen, sondern auch bei der Rente und der Bildung.

Kann Deutschland die dafür nötigen gewaltigen Finanzmittel aufbringen? Muss die Schuldenbremse ausgesetzt oder müssen neue Sondervermögen aufgelegt werden?

Der kurz- und langfristige Investitionsbedarf ist enorm. Er wird auch bei anderer Prioritätensetzung nicht aus dem regulären Haushalt kommen können. Durch die besondere Rolle deutscher Staatsanleihen in Europa hat Deutschland einen Standortvorteil durch niedrige Zinsen, den es unbedingt nutzten sollte.

Welchen Beitrag können und müssen die Unternehmen leisten, welchen die Bürger und der Sozialstaat?

Der Beitrag der Unternehmen muss das unternehmerische Risiko sein. Dafür braucht es klare Regeln. Keine Partei hat den Bürgern bisher reinen Wein eingeschenkt, denn ohne Abstriche wird es nicht gehen. Das größte Hemmnis für Reformen werden nationale Partikularinteressen sein.

Wie, glauben Sie, werden die Finanzmärkte und wie sollte die EZB reagieren, um das Vorhaben zum Erfolg zu führen? Und was würde passieren, wenn das misslingt?

Scheitert die wirtschaftspolitische Wende, erschwert es der EZB, eine einheitliche Zinspolitik für eine niedrige, stabile Inflation zu finden. Deutschland muss aber wieder zum Motor Europas werden, denn nur Europa kann sich gegenüber den Interessen der USA, China und Russlands behaupten.


Martin Lück, Macro Monkey

Martin Lück
Martin Lück, Macro Monkey
Macro Monkey
Die Antworten von Martin Lück

Die Wähler haben entschieden. Die neue Bundesregierung wird von CDU-Parteichef Friedrich Merz als Kanzler geführt. Sind Sie zuversichtlich, dass der von Bürgern und Wirtschaft ersehnte „Politikwechsel“ gelingt?

Von der Papierform her spricht wenig für einen Politikwechsel. Von den letzten fünf Legislaturperioden waren Union und SPD an jeweils vier Regierungen beteiligt, haben also den Zustand des Landes zu verantworten. Allerdings sind die neuen Koalitionäre zum Erfolg verdammt. Das stimmt zuversichtlich.

Die anstehenden Aufgaben sind gigantisch. Bundeswehr, Infrastruktur/Standort, Wachstum etc. Wo oder in welcher Reihenfolge sollte die neue Bundesregierung hier ansetzen?

Der Verrat der USA an der Ukraine und ihr Abfallen von Europa stellt die Verteidigungsfähigkeit in den Vordergrund. Nächstes Thema, idealerweise sogar parallel, sollte die Verbesserung der Standortbedingungen sein. Die Kombination von beiden dürfte dann auch automatisch mehr Wachstum erzeugen.

Kann Deutschland die dafür nötigen gewaltigen Finanzmittel aufbringen? Muss die Schuldenbremse ausgesetzt oder müssen neue Sondervermögen aufgelegt werden?

Es ist Zeit für Ehrlichkeit! Dazu gehört, dass die dringend benötigten Investitionen nicht aus den regulären Haushalten zu bestreiten sind. Die Idee von „Umpriorisierung“ ist Wahlkampfrhetorik. Sinnvoll wäre eine Reform der Schuldenbremse und die Schaffung von gemischt finanzierten Fonds.

Welchen Beitrag können und müssen die Unternehmen leisten, welchen die Bürger und der Sozialstaat?

Der Markt ist der effektivste Allokationsmechanismus. Hier sind die Unternehmen gefragt. Lediglich im Bereich öffentlicher Güter sollte der Staat den Schwerpunkt der Investitionen übernehmen. Die Bürger sollten das Konzept des „Fördern und Fordern“ wieder stärker verinnerlichen.

Wie, glauben Sie, werden die Finanzmärkte und wie sollte die EZB reagieren, um das Vorhaben zum Erfolg zu führen? Und was würde passieren, wenn das misslingt?

Für die Aktienmärkte ist Klarheit wichtig. Darüber hinaus dürfte die Wahl dort keine Relevanz haben. Wichtiger könnten auf Sicht die Anleihemärkte werden, wenn nämlich Deutschland seine fiskalische Orthodoxie lockert. Die EZB sollte das tun, was sie ganz gut kann: sich aus der Politik raushalten.

Zusammenstellung und Fragen: Stephan Lorz